18. März 2021

Filmkritik: “Willkommen auf Deutsch”

 

Sehr interessante Doku: “Willkommen auf Deutsch”

Nicht einmal einen Bäcker gibt es in dem 450-Seelenkaff Appel (Niedersachsen). Doch nun sollen 53 Flüchtlinge im ehemaligen Alten- und Pflegeheim untergebracht werden. Eine mittlere Katastrophe – zumindest für die Bürgerinitiative Appel, die ernsthaft um den Dorffrieden besorgt ist. Etwas muss geschehen. Der Anführer der Bürgerinitiative, Horst Prahm, gibt alles. Der Dokumentarfilm „Willkommen auf Deutsch“ zeigt, wie die deutsche Mittelschicht mit dem Flüchtlingsproblem umgeht. Am Montag war der Film in der „Kurbel“ zu sehen, ein interessantes Publikumsgespräch folgte.

Ein differenziertes Bild

Die Filmemacher Carsten Rau und Hauke Wendler haben 2013 fast ein Jahr lang Flüchtlinge, Anwohner und Behördenmitarbeiter im Landkreis Harburg begleitet. Christian Rau hatte durch einen Zeitungsartikel in der lokalen Presse zufällig von dem Problem in Appel erfahren.

In rund 90 Minuten werden ganz unterschiedliche Perspektiven gezeigt: Die Zwänge des Landkreises, das großartige Engagement der Ehrenamtlichen, aber auch die oft so irrationalen Ängste der Bewohner – vor dem Fremden, vor der Vorstellung, die jungen, alleinstehenden Männer könnten ihre Töchter auf der Straße vergewaltigen. „Wir können nicht die Anlaufstelle für ganz Afrika sein”, heißt es da. Aussagen zum Haare raufen.

Flucht ins Ungewisse

Ein Mitarbeiter des Landkreises fasst die Situation der Asylbewerber aus dem Balkan und Afrika treffend zusammen: „Statt von Wirtschaftsflüchtlingen sollten wir eher von Armutsflüchtlingen sprechen.“ Die Menschen haben in ihrer Heimat unter oft erbärmlichen Bedingungen gelebt und auf der Flucht alles zurückgelassen: ihre Familie, ihre Freunde, ihre Heimat. Die Hoffnung auf ein besseres Leben treibt sie an.

Traumatisiert in Deutschland

“Willkommen auf Deutsch” zeigt auch die Situation von Larissa und ihrer Familie. Vor allem die Mutter hat in Tschetschenien Schreckliches erlebt. Mit ihren insgesamt sechs Kindern flieht sie nach Tespe, einem anderen kleinen Ort in Niedersachsen. Dort bricht sie bei einer Bürgerversammlung unter den Vorwürfen der Einwohner zusammen – sie ist psychisch am Ende, muss sieben Monate in eine Klinik.

Die älteste Tochter kümmert sich um die fünf kleinen Brüder. Überfordert sich, muss selbst ins Krankenhaus. Doch der große Einsatz von zwei ehrenamtlichen Damen verhindert das absolute Chaos in Tespe. Die Seniorinnen kümmern sich um die fünf Jungs, schlafen sogar bei ihnen.

Ehrenamtliche gesucht

Wie es den Flüchtlingen in den Massenunterkünften geht, wird in der Dokumentation ausgeblendet. Stattdessen werden eher privilegierte Wohnformen gezeigt – wie in einer ehemaligen Sparkasse. Dennoch gibt der Film einen realistischen Einblick in die Gedanken und Ängste vieler Deutscher. Fremden wird zunächst mit Skepsis begegnet. Man rechnet mit dem Schlimmsten.

Beim Publikumsgespräch in der „Kurbel“ betonten Flüchtlingshelfer, wie wichtig der Einsatz von Ehrenamtlichen ist. Sei es, um mit Kindern zu basteln, mit Jungs Fußball zu spielen oder Deutsch zu lernen. Mit wenig Aufwand bekommen die oft traumatisierten Menschen so ein wenig Struktur – für viele eine dankbare Abwechslung im tristen Alltag.

Auf der Homepage www.fluechtlingshilfe-karlsruhe.de gibt es weitere Informationen.

 
 
 

 

 
 

 

 

 

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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