Schmöker: “8 1/2 Millionen” von Tom McCarthy
Philosophie trifft Thriller: “8 1/2 Millionen” von Tom McCarthy
Der Brite Tom McCarthy hat mit 8 ½ Millionen ein sehr außergewöhnliches und spannendes Buch geschaffen: einen Thriller mit philosophischem Hintergrund. Verfilmt wurde das literarische Werk nun mit Tom Sturridge. Titel des Films, der 2015 in die Kinos kommen soll: „Remainder“.
Ausgelöschte Erinnerungen
„Etwas fiel vom Himmel. Technologie. Teile, Bruchstücke.“ Sie befördern den Protagonisten ins Koma. Was danach bleibt, ist „eine Leerstelle. Ein weißes Blatt, ein schwarzes Loch“. Im Krankenhaus und in der Reha muss er jede Bewegung neu erlernen. 8 ½ Millionen Pfund bekommt der Londoner als Schmerzensgeld dafür zugesprochen. Das ist die Ausgangssituation.
Erinnerungen tauchen auf
Das große Problem des nur schemenhaft beschriebenen Helden: Jede Bewegung fühlt sich von nun an unecht an, wie „second hand“. Das ganze Leben scheint falsch. Bis er auf einer Party plötzlich ein besonderes Erlebnis hat, Erinnerungsfetzen tauchen auf. An ein mehrstöckiges Hochhaus mit einem Riss in der Wand. Ein Pianist übt dort auf seinem Klavier, eine Frau brät in der Küche eine Leber, auf dem Dach schleichen Katzen umher.
Der namenlose Protagonist beschließt, mit seinem Geld diese Situation nachzustellen. Getrieben von seinem Wunsch nach Authentizität, engagiert er Agenten, lässt ein passendes Haus kaufen und Schauspieler einstellen. Der Wahnsinn nimmt seinen Lauf.
Fragen bleiben unbeantwortet
Das Buch ist sehr klar geschrieben. Die Handlung stringent. Von der ersten Seite an, entwickelt sich eine starke Dynamik. Was passiert da gerade und wo soll das alles hinführen? Ein Lese-Sog entsteht. Fragen bleiben am Ende jedoch unbeantwortet. Das ist Stärke und Schwäche zugleich. Tom McCarthy lässt Interpretationsraum, das befriedigt aber nicht vollkommen. Was genau möchte mir der Autor eigentlich sagen? Damit beschäftigte ich mich zunächst noch ein wenig ratlos nach dem furiosen Finale.
Auf “Zeit online” stieß ich dann auf einen interessanten Artikel. Dort wird das Werk in Bezug zu dem Philosophen Jean Baudrillard gesetzt. Seine These: “Wir seien in eine Phase der Geschichte eingetreten, in der es nur noch wiederholte, recycelte Ereignisse gebe. Alles sei Simulation, nichts real.” Die Fragezeichen verschwanden durch den Artikel. Aber Obacht: Den “Zeit”-Artikel nicht vor dem Buch lesen, die komplette Handlung wird darin verraten.
Ein Drehbuch im Buch
Das Werk von Tom McCarthy ist letztlich wie eine Regie-Anweisung. „Keine Sorge, ich werde uns nicht sterben lassen“, sagt der Protagonist gegen Ende. „Ich möchte nur in dieser Sequenz bleiben.“ Ein Drehbuch im Buch sozusagen. Ich bin auf den Kino-Film schon sehr gespannt.
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