27. Dezember 2020

Schmöker: “Meine geniale Freundin” von Elena Ferrante

Buchkritik: “Meine geniale Freundin” – Zurecht so hochgelobt?

„So etwas haben Sie noch nie gelesen.“ Wenn der Guardian solche Sätze über ein Buch verliert, werde ich neugierig. Was steckt hinter soviel Lob? Auch zahlreiche andere Medien überschlugen sich mit positiven Kommentaren. „Die Zeit“ war sich sicher, dass der Romanzyklus über zwei Freundinnen in die Literaturgeschichte eingehen wird. Ich wollte es genauer wissen und lief sofort zur Buchhandlung, als im Herbst nun auch in Deutschland „Meine geniale Freundin“ von Elena Ferrante herauskam.

Nun bin ich ein wenig hin und hergerissen. Der erste Teil des insgesamt vierbändigen Romanzyklus ist äußerst interessant und macht Freude zu lesen, aber an die Superlativen mag ich mich trotzdem (noch) nicht anschließen.

Neapel in den 1950er-Jahren

Im Mittelpunkt der Geschichte stehen die beiden Freundinnen Elena und Lila. Im ersten Teil, der sich über etwa zehn Jahre zieht, wachsen sie im rauen Neapal nach dem zweiten Weltkrieg auf. Unfälle, Streit und Gewalt stehen an der Tagesordnung. Die Mafia zieht ihre Strippen. Es ist eine harte Zeit für Frauen, um sich selbst zu verwirklichen, Bildung ist keine Selbstverständlichkeit, eine Heirat noch ein hohes Gut, um ein sorgloses Leben zu führen. Freiheit und Unabhängigkeit sind rar.

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht von Elena. Sie steht ein wenig im Schatten ihrer selbstbewussten, klugen und wunderschönen Freundin Lila, die scheinbar stark durch das Leben geht, dann jedoch früh die Schule beenden muss, sehr darunter leidet und sich letztlich schon früh ihrem Schicksal fügt. Es ist eine Mischung aus Zuneigung, Bewunderung und Rivalität zwischen den beiden Mädchen.

Facettenreiche Figuren

Einen richtigen Spannungsbogen gibt es in diesem ersten Teil nicht, Elena erzählt aber sehr genau von den Beziehungsgeflechten in ihrem Viertel, was einer Milieustudie gleich kommt, von ihren Schulerlebnissen, von den ersten Flirtereien mit Jungs und von ihren Zukunftsträumen. Außerdem wimmelt die Geschichte von illustren Figuren, von bösen Unholden, unzüchtigen Dichtern, Mafiamitgliedern und verzweifelten Frauen. Auch sprachlich macht der Roman große Freude.

Vorfreude auf den zweiten Band

Elena Ferrante ist ein Pseudonym. Lange Zeit war nicht bekannt, wer hinter den Werken steckt. Ob es vielleicht doch ein Mann ist oder ein Autorenkollektiv. Seit Oktober ist klar, dass es tatsächlich eine Frau ist, die Elena und Lila erschaffen hat. Es gab einen großen Aufschrei, als ein Journalist die gut geschützte Privatsphäre der Autorin zerstörte.

Auch wenn ich die riesige Euphorie noch nicht ganz verstehen kann, hat mich der erste Teil doch so sehr gepackt, dass ich mir auf jeden Fall den im Januar erscheindenen zweiten Band kaufen werde – ich möchte wissen, was mit den beiden Mädchen passiert, welches Schicksal ihnen Elena Ferrante geschaffen hat.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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