Schmöker: “Die Geschichte der Baltimores” von Joël Dicker

Die Geschichte der Baltimores: Ein spannender Roman über eine Familie
Es gibt Autoren, denen vertraue ich blind. Von ihnen kaufe ich Romane, ohne eine geringste Ahnung davon zu haben, um was es geht. Jonathan Franzen, Siri Hustvedt, Hanya Yanghiara oder Benedict Wells gehören dazu – und Joël Dicker. Von ihm las ich vor einigen Jahren „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“. Ein Buchhändler hatte mir den spannenden Wälzer empfohlen. In Rekordtempo verfolgte ich den Fall um die vermisste Nola, erzählt aus der Perspektive des Protagonisten Marcus Goldmann. Ich versank komplett in diese gut konstruierte Geschichte.
Marcus Goldmann ist nun auch im Nachfolgewerk „Die Geschichte der Baltimores“ Dreh- und Angelpunkt. Wieder spielt das Geschehen in den USA. Dieses Mal an verschiedenen Schauplätzen: in Baltimore (Maryland), in Montclair (New Jersey) und in der Stadt Boca Raton, die im sonnigen Florida liegt.
Ein Sogeffekt wie in einem Krimi
„Ich bin der Schriftsteller“, mit diesem Satz stellt sich Marcus gleich auf der ersten Seite erneut vor und beginnt die Handlung des Familienromans zu erzählen. Eine Leiche gibt es dieses Mal nicht, auch keine Psychospielchen – dafür aber eine Katastrophe. Sie liegt acht Jahre vom Startpunkt der Geschichte zurück. Was ist passiert? Dahin führt Marcus den Leser von Seite zu Seite, verrät in Mini-Häppchen mehr. Dadurch entsteht ein Sogeffekt wie in einem Thriller, nur ohne Blut, ohne Gewalt, ohne ekelhafte Bilder im Kopf zu erzeugen.
Marcus beschreibt „Die Geschichte der Baltimores“ auf verschiedenen Zeitebenen, blickt von der Gegenwart immer wieder zurück in die Vergangenheit. Im Mittelpunkt seiner Erinnerungen steht die Familie Goldmann, im Besonderen sein Cousin Hillel, dessen Adoptivbruder Woody und Marcus selbst.
Hillel gehört zu den Goldmanns aus Baltimore: Sein Vater Saul ist äußerst wohlhabend. Hillel verkehrt dadurch in noblen Kreisen und hat scheinbar das Leben auf der Sonnenseite. Die Goldmanns, zu denen Marcus gehört, haben ihr Zuhause in Montclair. Sie sind eine typische Mittelschichtsfamilie – solide, unaufgeregt und ohne viel Klimbim. Für Marcus ist es schwer auszuhalten, zu diesem Teil der Goldmanns zu gehören – wann immer es möglich ist, besucht er Hilly und Woody. Die Jungs sind lange Zeit untrennbar verbunden, bis die schöne Alexandra auftaucht und sie sich alle in sie verlieben.
Was hat es mit der Katastrophe auf sich?
Die Katastrophe. Immer wieder lässt Joel Dicker seinen Erzähler dieses Wort sagen. Dadurch baut er ständig von Neuem Spannung auf. Durch die verschiedenen Zeitebenen schafft es der Autor, eine interessante Dramaturgie aufzubauen. Wohin führt die Handlung? Innerhalb weniger Tage las ich den Roman, weil ich unbedingt mehr wissen wollte.
Dabei wuchsen mir die Protagonisten sehr ans Herz. Der hochbegabte, aber zarte Hillel, der mit Woody seinen Beschützer findet. Marcus, der mit den Jahren einen großen Entwicklungsprozess durchmacht und mit ansehen muss, wie selbst der größte Reichtum vergänglich sein kann – und Glück fragil ist.
Locker-leichte Unterhaltung
Joël Dicker hat mit „Die Geschichte der Baltimores“ erneut einen sehr guten Unterhaltungsroman geschaffen. Er lässt sich leicht lesen, ist nicht zu flach, aber auch nicht zu tiefgründig. So stark wie „Harry Quebert“ ist der zweite Roman des Autors zwar nicht, aber wer am Feierabend oder an einem sonnigen Wochenende mit einem netten und spannenden Buch entspannen möchte, ist mit „Die Geschichte der Baltimores“ bestens versorgt.
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