22. April 2020

Schmöker: “Oh, Simone!” von Julia Korbik

"Oh, Simone!" von Julia Korbik

“Oh, Simone!” von Julia Korbik – eine Buchkritik

„Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“

An diesen Satz von Simone de Beauvoir musste ich vor wenigen Tagen denken, als ich auf einen Stapel Kindermagazine für Mädchen blickte. Überall blitzte und blinkte es in Rosa. Kleine Glitzer-Accessoires waren dabei und ein Zauberstab von Bibi Blockberg – natürlich auch in Pink. Die Ausgaben für Jungs waren dagegen fast schon düster. Die Cover: verstärkt in Braun- und Dunkelgrüntönen gehalten. Als Gimmicks gab es Lego- und Playmobilfiguren oder eine Detektiv-Lupe.

Als ich meinen Blick darüber schweifen ließ, spürte ich, wie mein Unverständnis wuchs. „Das gibt es doch einfach nicht“, hämmerte es in meinem Kopf. Wie plakativ können selbst heute noch Unterschiede für Mädchen und Jungen sein. Warum gibt es solche geschlechtsspezifischen Magazine überhaupt noch? Spielen nicht auch kleine Damen gerne mit Lego oder erkunden mit Lupen die Welt? Und was ist mit den Jungs, die auf Rosa stehen? Sind sie dann Außenseiter?

Wir sind von Gleichberechtigung meilenweit entfernt

Ich weiß inzwischen gar nicht mehr genau, wann mir zum ersten Mal auffiel, dass unsere Gesellschaft immer noch sehr in Geschlechtsstereotypen denkt – und ich begriff, dass wir auch heute noch meilenweit von Gleichberechtigung entfernt sind. Hier die Mädchen, die von klein auf mit Tüll und Rosa benebelt werden, dort die Jungs, die mit Lupen die Welt entdecken und in Comics gegen Monster bestehen.

Vielleicht war es, als ich ins Arbeitsleben stolperte, die ersten Begegnungen mit konservativen Männern hatte und spürte, wie schwer es ist, als junge Frau ernstgenommen zu werden – unabhängig davon, welche Qualität die Arbeit hat.

Oder als in meinem engeren und weiteren Freundes- und Bekanntenkreis immer mehr Frauen heirateten, Kinder bekamen und fast durchgehend die Regel lautete: Die Frau reduziert bei der Arbeit auf 50 Prozent oder weniger, der Mann arbeitet 100 Prozent. Aber: Nur wenige der Frauen setzten sich mit der Frage auseinander, wie sie sich genau ihre berufliche Zukunft in 15 oder 20 Jahren vorstellen – und wie es später mal mit ihren Rentenansprüchen aussieht. Von Eheverträgen ganz abgesehen.

Vielleicht hat mein Soziologie-Studium dazu beigetragen, dass bei mir alle Alarmglocken schrillten – vor allem die zahlreichen Interviews, die ich von Jutta Allemdinger las. Sie weist bis heute immer wieder auf die Schiefstellung hin.

“Das erste Jahr ist nicht das Problem. Der Wiedereintritt ist es. Weil aus diesem einen Jahr noch zu oft Teilzeit wird – nur zehn Prozent der Mütter sind nach dem ersten Jahr wieder in Vollzeit tätig. (…) Wenn die Frau das erste Jahr unterbrechen würde und der Mann das zweite Jahr, sähe das ganz anders aus. Oder wenn beide zwei Jahre Teilzeit arbeiten würden. Die auf Frauen beschränkte Festschreibung der Arbeitszeiten durch das erste Kind hemmt die berufliche Entwicklung maßgeblich. Sie führt zu einem niedrigen Einkommen, zu flachen Karrieren, zum Gender Pay Gap, zu niedrigen Altersrenten und letztlich dazu, dass wir über Quoten reden.”

Und was passiert eigentlich, wenn Ehen scheitern und Frau jahrelang zurückgesteckt hat?

Ich weiß, das klingt alles furchtbar unromantisch. Dabei hoffe ich selbst, dass ich bis ans Ende meines Lebens glücklich in meiner Beziehung bin. Aber falls nicht, bin ich sehr froh, wenn ich auf meinen eigenen Füßen stehen kann.

Literatur statt Schminke

Aber vielleicht begann alles auch schon viel früher – mit meiner Mutter. Die mir seit meiner Jugend immer wieder sagte: Lerne einen Beruf, der dich ausfüllt und dir Spaß macht, egal was es ist. Heirate nicht zu früh, mach‘ dich von keinem Mann abhängig. Und lies lieber ein Buch, als dich zu viel mit dem Äußeren zu beschäftigen.

Eine Hommage an Simone de Beauvoir

All diese Gedanken kamen mir, als ich „Oh, Simone“ von Julia Korbik las. Das Buch ist eine wunderbare Hommage an die französische Denkerin. Federleicht geschrieben, voller kluger Gedanken und immer noch brandaktuell. Denn bereits Simone stellte vor 70 Jahren fest:

“Die Frau ist nicht nur Opfer, sie ist ebenso Mittäterin und für ihre Passivität und ihren Objektstatus mitverantwortlich. (…) Frauen wählen diesen Status aus diversen Gründen, zum Beispiel weil er ihnen Vorteile bringt oder weil sie Angst vor der Selbstständigkeit haben, Angst vor der Verantwortung, die diese mit sich bringt. Schließlich ist es immer einfacher, alles beim Alten zu lassen, als sich aktiv um Veränderung zu bemühen und das Leben zu ändern.”

Raus aus der konservativen Familie

Simone de Beauvoir musste sich erst selbst aus den Fesseln ihrer konservativen Familie befreien. Anfang des 20. Jahrhunderts war es in Frankreich keineswegs üblich, dass eine Frau Abitur machte und studieren ging. Ihre Eltern sahen einen traditionellen Weg für ihre Tochter vor. Das heißt: Heirat, Kinder, Haushalt.

Doch Simone kämpfte für ihre Interessen, begann ein Philosophie-Studium und ging einen unbequemen Weg – meist an der Seite von Jean-Paul Satre. Mit ihm führte sie eine polyamouröse Beziehung. Gleichberechtigung war für sie elementar. Hatte er mehr Geld, unterstützte er sie. Hatte sie gerade mehr auf dem Bankkonto, half sie ihm über die Runden.

Wir können unser Leben selbst gestalten

Werden. Lieben. Denken. Schreiben. Handeln. Kämpfen.

Das Buch von Julia Korbik ist in sechs verschiedene Teile untergliedert, die das Leben und Schaffen von Simone de Beauvoir ausführlich beleuchten. Julia Korbiks Schreibstil hat mich deshalb so begeistert, weil sie es schafft, selbst komplizierte Sachverhalte spielend einfach zu transportieren. Sie schreibt modern, unprätentiös, aber trotzdem mit unglaublich viel Inhalt. Ich erfuhr dadurch so viel Spannendes über das Leben in Frankreich im 20. Jahrhundert, über die Denkweisen der Linken, die Literatur, die Kunstszene  – und natürlich über den Existenzialismus, den Simone de Beauvoir und Jean-Paul Satre prägten.

Existenzialismus!

Die Grundidee des Existenzialismus kurz zusammengefasst: Der Mensch definiert sich durch sein Handeln. „Er ist nichts anderes, als das, wozu er sich macht“, schreiben sie. Da die beiden Denker keinen Gott in ihre Theorie einbeziehen, muss der Mensch selbst seine eigenen Werte und Maßstäbe finden.

Sie gehen davon aus: Der Mensch ist zwar im Handeln frei, aber eingeschränkt durch bestimmte Umstände – beispielsweise durch biologische, historische oder gesellschaftliche Faktoren. Jedoch ist er in solch einer Situation keineswegs gefangen, sondern kann sie überschreiten. Er hat immer eine Wahl und kann Verantwortung für sein Leben übernehmen.

Das bedeutet: Wir sind nie Opfer unserer eigenen Geschichte, sondern können aktiv etwas verändern. Wir müssen es nur tun!

Objekt statt Subjekt

Da wir aber nicht im luftleeren Raum leben, können sich gesellschaftliche Entwicklungen auf die persönliche Freiheit auswirken. Wie sind wir sozialisiert? Welche Werte spielen eine Rolle? Was gilt als normal?

In „Das andere Geschlecht“ analysiert Simone de Beauvoir 1949 deshalb die Situation der Frau. Sie sieht, dass viele Frauen keineswegs frei leben, kein Subjekt, sondern Objekt sind. Für die Denkerin braucht es deshalb den expliziten Willen, ein selbstbestimmtes Leben führen zu wollen.

Voraussetzung dafür ist: Denken! Also Dinge bewusst zu hinterfragen. Wie möchte ich leben? Worin bin ich gut? Was tue ich nur, weil es mir vorgelebt wird und weil es viele so tun? Was möchte ich wirklich?

Für die Quote in den Vorständen

„Oh, Simone“ ist ein Buch, das ich jeder Frau nur empfehlen kann. Es ist klug und regt zum Nachdenken an. Simone de Beauvoir stellt fest: Auch Nicht-Handeln hat Konsequenzen. Auf die Jetzt-Zeit bezogen: Wollen wir wirklich still hinnehmen, dass die meisten Vorstände in Deutschland männlich sind? Dass wir weniger verdienen – lediglich weil wir ein anderes Geschlecht haben?

Dinge lassen sich nur verändern, wenn wir aktiv werden, uns dafür einsetzen. Letztlich sind wir alle mitverantwortlich für die Gesellschaft, in der wir leben. Am 8. März ist Weltfrauentag – nicht umsonst gibt es ihn!

Info:
Da ich auf Affiliate-Links verzichte, möchte ich darauf hinweisen: Die Badische Landesbibliothek hat zahlreiche Bücher von und über Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre zum Ausleihen. Auch auf Instagram ist die Bibliothek inzwischen vertreten.

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2 thoughts on “Schmöker: “Oh, Simone!” von Julia Korbik

  1. Sven sagt:

    wohl wahr… ich habe auch erst als unser Sohn (jetzt 7) in den Kindergarten kam gemerkt, wie weit wir noch von “gender mainstreaming” entfernt sind… als ich Vorlesebücher für ihn suchte und dann so schöne Titel wie “Wilde Abenteuergeschichten für mutige Jungs” und vice versa spezielle Geschichten “für Mädchen” fand, die so ganz wunderbar die uralten Geschlechtersterotypen abbildeten… und das ging immer so weiter… In der Kita guckte eine Erzieherin (!) meine Sohn ganz irritiert an, als er sich einen rosa Luftballon nehmen wollte – das sei doch eine “Mädchenfarbe”… no comment, oder? Schreib weiter, Du machst das echt toll!

    1. Miriam Steinbach sagt:

      Danke für die netten Worte! :)

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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