6. Mai 2021

Schmöker: „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger

"Der Wal und das Ende der Welt"

Eine große Enttäuschung: „Der Wal und das Ende der Welt“

In Großbritannien droht eine Epidemie. Eine besonders aggressive Form der Grippe ist im Anmarsch. Der Analytiker Joe Haak sieht die Gefahr durch ein Computerprogramm früh kommen. Was wird passieren? Werden sich die Menschen kooperativ oder egoistisch verhalten?

Joe Haak beschließt, kein Risiko einzugehen und das kleine Dorf St. Pieran rechtzeitig zu beschützen. Ein Wal hatte ihn dorthin getragen, nachdem er aus London geflohen war und sich in Cornwall ins Wasser stürzte. Die Arbeit für eine raffgierige Bank hatte ihn seelisch kaputt gemacht.

Mit einem Transporter fährt Joe Haak nun unzählige Male in den Supermarkt und macht Hamsterkäufe deluxe. Gelingt es ihm tatsächlich durch eine Abschottung des Dorfs, die Grippe fern zu halten und das Leben der Einwohner*innen zu retten? Das ist das Szenario, um das sich „Der Wal und das Ende der Welt“ dreht. Leider klingt das alles spannender, als es ist.

Ein schrecklich schlechtes Ende!

Ein gefährliches Virus, Quarantäne, das Horten von Toilettenpapier: Der Roman „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger ist bereits 2015 erschienen, erlebt aber in diesen Monaten einen großen Boom. Viele Parallelen zeigen sich zur Corona-Pandemie, der Autor hat quasi die Krise vorhergesehen. Als ich zufällig von dem Buch hörte, war ich neugierig und kaufte es mir.

Meine Enttäuschung ist riesig. „Der Wal und das Ende der Welt“ ist ein Buch ohne Tiefgang. Es ist vielmehr eine oberflächliche, dahinplätschernde Geschichte, die auch noch eines der schlechtesten Ende hat, das ich seit Langem gelesen habe. John Ironmonger wollte wohl unbedingt am Schluss noch eine Liebesgeschichte unterbringen und konstruiert sie so holprig, dass ich dasaß und dachte: „Ist das wirklich dein Ernst?!“

Platte Metapher!

Der Roman liest sich wie eine seichte Parabel. Bereits zu Beginn wird Joe Haak von einem Wal an die Küste von St. Pieran gespült. Joe und ein Wal. Da sind der biblische Jona und sein tierischer Begleiter keine zwei Gedankensprünge entfernt. Geht es nicht ein bisschen kreativer?

Das Buch ist wie ein Sonntagsabendfilm im ZDF. Einfach zu konsumieren und ein klitzekleiner Funke Spannung trifft auf Küchen-Philosophie. Von inspirierender Literatur ist das meilenweit entfernt. Das tut niemandem weh, bringt einen aber auch nicht weiter.

Die Theorien sind gut!

Es ist schade. Der Ansatz ist prinzipiell gut. Der Autor listet am Ende des Buchs auf, welche wissenschaftliche Literatur er selbst gelesen hat, um die Geschichte von Joe Haak zu erzählen. Da sind interessante Aspekte dabei. Was passiert beispielsweise, wenn die Lieferketten in einer Gesellschaft zusammenbrechen. Ist der Mensch tatsächlich nur drei Essen von der Anarchie entfernt?

John Ironmonger bringt auch Thomas Hobbes und das „Leviathan“-Konstrukt ins Spiel. Der Staatstheoretiker hatte ein sehr pessimistisches Menschenbild und war der Ansicht, dass es einen Gesellschaftsvertrag (Gründung des Staats) benötigt, damit die Menschen ohne Furcht voreinander zusammenleben können. John Ironmonger fragt in „Die Geschichte des Wals und das Ende der Welt“ nun: Was würde passieren, wenn der Staat aufgrund einer Epidemie zusammenbricht?

Oberflächliche Charaktere!

Das klingt alles interessant. Leider ist die Geschichte, in die der Autor diese philosophischen Theorien und wissenschaftlichen Hypothesen packt, sehr trivial geworden. Die Charaktere sind oberflächlich und klischeehaft. Eine liebe Krankenschwester, die laut im Bett ist, eine schwatzhafte Groschenroman-Schreiberin und natürlich geldgierige Investmentbanker in London. Puuh. Differenzierte Figuren sind in dem Roman nicht vorhanden.

Auch Protagonist Joe Haak ist sehr einfach und kitschig gestaltet. Bevor er nach St. Pieran kam, prognostizierte er in London mithilfe des Computerprogramms „Cassie“ mögliche Krisen auf der Welt. Dementsprechend tätigten die Mitarbeiter der Bank sogenannte Leerkäufe. Joe war zu sensibel für die raue Welt. Hals über Kopf hatte er sich deshalb ins Wasser geworfen.

Immer wieder erinnert er sich nun an der Küste an rührselige Geschichten aus der Vergangenheit. Das hat mich nicht berührt, sondern besonders im zweiten Teil, als es um seine Eltern geht, eher genervt. Scheidung, Drama, Tod. Bitte nicht noch eine gefühlsduselige Anekdote, dachte ich irgendwann beim Lesen.

Es entsteht kein Drive – bis zum Schluss

Dass ich das Buch überhaupt bis zum Ende gelesen habe, lag daran, dass ich die ganze Zeit hoffte: Es muss doch noch eine Drehung kommen, irgendwas, das mich überrascht. Aber nein, kein spannendes Finale, kein mitreißender Sog. Der Autor wollte seinen Leser*innen wohl nicht zuviel zumuten.

Auf den letzten Seiten greift er vielmehr nochmals tief in die Kitschkiste. Dadurch ist „Der Wal und das Ende der Welt“ ein Epidemie-Buch zum Wohlfühlen. Für mich war das absolut gar nix.

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One thought on “Schmöker: „Der Wal und das Ende der Welt“ von John Ironmonger

  1. Michael Witt sagt:

    Was soll ich noch sagen, genau so habe ich nach der Lektüre des Buches auch empfunden. Keine Spannung, zu viele Handlungsssprünge in einem Kapitel, seichte Unterhaltung mit stereotypen Figuren, holzschnittartige Dialoge und leider viel zu wenig aus dem aktuellen Thema einer Pandemie gemacht, hier soll noch eine politische Auseinandersetzung für mehr Brisanz sorgen.
    Total überbewerter Roman, nicht lesenswert, da absolut langweilig.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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