28. August 2021

Schmöker: “Alte weiße Männer” von Sophie Passmann

"Alte weiße Männer" von Sophie Passmann

Kritik von „Alte weiße Männer“: ein Buch, das neue Perspektiven liefert!

Sie saß mit Peter Tauber in einer quietschbunten Eisdiele, mit Kevin Kühnert in einem schäbigen Studentencafé und mit Marcel Reif am funkelnden Zürichsee: Einen Sommer lang fuhr Sophie Passmann kreuz und quer durch Deutschland und die Schweiz, um dem Phänomen des alten weißen Mannes näher zu kommen. Was genau steckt dahinter? Ist er wirklich an so vielen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten schuld?

Dass es den Habitus des alten weißen Mannes wirklich gibt, bekam ich selbst zu spüren, als ich in meiner ersten beruflichen Festanstellung in einer wahren Hochburg landete. Konservative, dem Wandel abgeneigte Männer, die junge Frauen lieber ansahen und über sie redeten, als mit ihnen auf Augenhöhe diskutierten. Die entscheidenden Positionen teilten die Herren primär unter sich auf.

Seither weiß ich, wie schwer es ist, besonders als junge Frau in solch einem Milieu voranzukommen. Ich war deshalb gespannt, zu welchen Erkenntnissen Sophie Passmann in ihrem Buch „Alte weiße Männer – ein Schlichtungsversuch“ kommt.

Von Sascha Lobo zu Tim Raue

Mit insgesamt 15 verschiedenen Herren hat die Feministin gesprochen. Das Buch beginnt mit dem Internet-Guru Sascha Lobo und endet mit Sterne-Koch Tim Raue. Sophie Passmann stellte bei der Auswahl ihrer Männer ein buntes Spektrum zusammen – hinsichtlich Alter, politischer Ausrichtung und Beruf.

Einführend hält sie fest:

Nicht jeder Mann, der alt und auch weiß ist, gehört automatisch zum Feindbild des „alten weißen Mann“. Das Gefühl der Überlegenheit gepaart mit der scheinbar völligen Blindheit für die eigenen Privilegien macht für mich eher dieses Feindbild aus. Ich erkenne einen weißen Mann, wenn ich mich mit ihm unterhalte…

Beispielsweise mit dem Chefredakteur der „Welt“, Ulf Poschardt, der selbstverliebt in seinem vollverglasten Büro im „Springer Verlag“ darüber redet, dass er die Frauenquote und die „Quantifizierung der Frauen“ für Terror hält.

Seiner Meinung nach wird vielmehr die Marktwirtschaft alles regeln. Er gibt sich charmant, scheinbar weltoffen, enttarnt sich aber mit einem Zitat selbst als Macho.

Ich bin nicht mal zwei Jahre in meinem Amt, und ich habe elf Ressortleiterinnen bestellt. Ich mache das nicht, weil ich ein Feminist bin, oder die Quote, die Quantifizierung interessant finde, sondern weil ich gerne so arbeite. Vorher waren wir eine zu männliche Redaktion, ich habe doch kein Bock, in irgendwelchen Ressortleiterrunden nur in männliche Gesichter zu schauen.

Wie ein Podcast in Schriftform

Die einzelnen Kapitel sind sehr atmosphärisch geschrieben. Die Autorin beschreibt genau die Location, in der sie sich mit den Interviewten trifft, das nonverbale Verhalten ihres Gegenübers und ihre eigenen Gedanken, die sie im Gespräch manchmal laut und manchmal nur still formuliert.

Ein wenig schwierig finde ich an manchen Stellen den strukturellen Aufbau innerhalb der Kapitel. Sophie Passmann erzählt die Gespräche chronologisch. Dadurch haben die Kapitel etwas von gedruckten Podcast-Gesprächen, die manchmal vor sich hin plätschern – wie bei Robert Habeck.

Die Zitate der Männer erscheinen außerdem immer in ganzen Blöcken, was vielleicht für die Autorisierung dienlich war, aber nicht für den Lesefluss.

Nicht nur passiv abwarten!

Die Kapitel sind unterschiedlich spannend geworden. Während ich die Ausführungen von Christoph Amend und Sascha Lobo zwar sehr nett finde, aber nur wenig neue Infos erhalte, interessieren mich vielmehr die Herren, die vom konservativen Lager kommen – wie Peter Tauber.

Der ehemalige Generalsekretär der CDU dreht die negative Zuschreibung des alten weißen Mannes einfach um:

Man könnte natürlich auch sagen: Ein alter weißer Mann ist jemand in einer Welt, die sich schnell verändert, der eine gewisse Erfahrung gesammelt hat, der eine gewisse Weisheit besitzt, die aufgrund des Lebensalters oder der Bildung oder des Blicks auf die Welt entsteht, vielleicht auch mit Blick auf die Fehler, die er gemacht hat – und dann kann der Blick etwas Positives haben.

Laut Peter Tauber wäre es nun eine Möglichkeit, diese konservativen Männer direkt anzusprechen, sie verbal abzuholen und sie so zum Umdenken zu animieren.

Nur: Wie erfolgsversprechend ist das in der Realtät – bei einem Herrn Gauland beispielsweise? Diese Nachfrage von Sophie Passmann bringt das Dilemma auf den Punkt.

Rainer Langhans redet sich um Kopf und Verstand

Bei den Aussagen von Rainer Langhans konnte ich nur genervt den Kopf schütteln. Ein Alt-Hippie, der gedanklich noch im 20. Jahrhundert lebt: Er spricht vom Opfer-Feminismus. Die Frauen sind seiner Ansicht nach zu passiv und alles würde sich für sie zum Besseren verändern, wenn sie aktiv für ihre Interessen eintreten.

Männer wie er übersehen komplett die strukturelle Benachteiligung von Frauen. Sie erkennen nicht, dass viele Machtpositionen nur deshalb von Herren besetzt sind, weil sie in den richtigen männlichen Netzwerken verkehrten – und nicht, weil sie so viel besser arbeiteten als Frauen. Ein Problem, das nicht zu lösen ist, indem eine einzelne Frau selbstbewusster auftritt.

Kein Kuchen mehr zum Geburtstag

Das Kapitel mit Kevin Kühnert fand ich eines der besten. Er erklärt, dass allein eine Quote leider noch nicht reichen wird, um die strukturelle Ungerechtigkeit zu beseitigen. Für ihn benötigt es vor allem das Hinterfragen von bestehenden Verhältnissen – in allen möglichen Alltagssituationen.

Sophie Passmann hält dazu sehr treffend folgende Gedanken fest:

Niemand zwingt die Frau im Büro, den Kuchen zu backen. Sie tut das höchstens aus Angst oder Erfahrung, dass es sonst niemand macht. Aber wenn so eine Geburtstagsfeier halt ohne Kuchen über die Bühne geht, können Männer darüber nachdenken, wieso sie automatisch davon ausgehen, dass Frauen den Job erledigen…

Ein Denkanstoß

„Alte weiße Männer – ein Schlichtungsversuch“ gibt nicht die eine klare Antwort, wie sich die gesellschaftliche Situation für Frauen verbessern wird. Es hat mir auch nicht viel Neues vermittelt. Das Buch zeigt aber verschiedene Perspektiven auf und regt zum Nachdenken an.

Für Gleichberechtigung sind grundsätzlich alle der interviewten Herren – aber halt mehr oder weniger oberflächlich. Für mich ist beim Lesen klar geworden, dass die alten weißen Männer tatsächlich nicht verstehen, in welch privilegierter Position sie sich befinden. Ihnen das klarzumachen und sie aus ihrer bequemen Komfortzone herauszuholen, ist wohl der wichtigste Schritt.

Es wäre wünschenswert, dass Männer, die immer noch denken, alles sei doch Okay und wird sich schon regeln, endlich beginnen, aktiv ihr Leben und ihre Umwelt kritisch zu hinterfragen. Sophie Passmanns Buch gibt vor allem Menschen, die sich bislang wenig damit auseinandergesetzt haben, die ersten Denkanstöße.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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