Krimskrams: “Göttinnen des Jugendstils” im Badischen Landesmuseum

Ausstellung „Göttinnen des Jugendstils“ im Badischen Landesmuseum Karlsruhe
Die Welt steht Kopf um 1900. Industrialisierung, Modernisierung und Elektrifizierung haben die Gesellschaft durcheinandergewirbelt. Darwins Evolutionstheorie erschüttert die Kirche und stellt das Menschenbild infrage. Neue technische Erfindungen ermöglichen einen Massenkonsum – zumindest für alle, die es sich leisten können. Fortschrittsglaube kollidiert mit Kulturpessimismus. Es entsteht eine Kluft in der Gesellschaft, die erst noch geschlossen werden muss.
Der Jugendstil wendet sich in dieser Phase des Umbruchs gegen den traditionellen Historismus und findet eine eigene Formsprache. Er experimentiert mit Farben, geschwungenen Linien, Schnörkeln und mit unterschiedlichen Schrifttypen. Das zentrale Motiv für Grafiker und Bildhauer: Frauen.
Sie werden aber keineswegs real dargestellt. Vielmehr sind auf Werbeplakaten und Kunstwerken idealisierte junge Damen zu sehen. Oft rekeln sie sich makellos in der Natur, sind leichtbekleidet und umgeben von geschwungenen Linien und Blumen. Im Kontrast dazu symbolisieren gefährliche Frauen wie die Medusa den befürchteten kulturellen Verfall.
Die Ausstellung „Göttinnen des Jugendstils“ im Badischen Landesmuseum präsentiert dieses Phänomen der vielfältigen Frauendarstellungen im Jugendstil auf sehr sehenswerte Weise.


200 Exponate verteilt auf 900 Quadratmetern
Großformatige Gemälde, Elfenbein- und Bronzefiguren, Keramiken sowie Gold- und Silberschmuck: Rund 200 Arbeiten rund um das Thema Jugendstil sind auf etwa 900 Quadratmetern noch bis 19. Juni im Badischen Landesmuseum zu sehen. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Allard Pierson in Amsterdam und dem Braunschweigischen Landesmuseum.
Gleich zu Beginn der Schau empfängt die Büste „La Nature“ von Alfons Mucha die Besucher*innen. „Sie ist eine Ikone des Jugendstils“, erläutert Kuratorin Elke Kollar. Das Weibliche wird überhöht. Das goldene Haar dominiert, schlängelt sich um den Körper und verschmilzt mit den Spiralen des Sockels. Dass Anfang und Ende der Linienführung kaum noch erkennbar sind, ist ein weiteres typisches Merkmal für den Jugendstil.

Zeitschrift „Jugend“ war Namensgeberin des deutschen Jugendstils
Neben der Büste hängen an einer Wand etwa 50 Cover der Zeitschrift „Jugend“ – sie war damals die Namensgeberin des deutschen Jugendstils. Auch diese Titelblätter spiegeln die Ambivalenz des Frauenbilds wider: Femme fatale trifft auf Blumenmädchen. Außerdem sind moderne Frauen zu sehen, die in Pumphosen Fahrrad fahren. Keine Selbstverständlichkeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts.


Kritische Auseinandersetzung mit Frauenbild
„Uns ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem Frauenbild der damaligen Zeit wichtig“, betont Kuratorin Elke Kollar. Deshalb sind in den vier Räumen interaktive Stationen aufgebaut, an denen die Besucher*innen Einordnungen und den Bezug zur Gegenwart von Expert*innen erfahren.

Werbung im Jugendstil: Sex sells
In der Zeit um 1900 spielte der Konsum eine große Rolle. Pompöse Kaufhäuser entstanden und Shoppen wird zum Erlebnis, Werbung ist allgegenwärtig. „In dieser Welt ist auch der Jugendstil verortet“, erläutert die Kuratorin. Frauen werden zu Ikonen für Marken und die Industrie. Sie dienen aber lediglich als Werbeträgerin, mit dem Produkt an sich haben sie häufig nichts zu tun.
Im Badischen Landesmuseum sind zahlreiche Werbeplakate und Skulpturen aus der damaligen Zeit zu sehen. Eine sehr prominente Arbeit: „Spirit of Ecstasy“ vom englischen Bildhauer Charles Robert Sykes, die bekannte Kühlerfigur der Rolls-Royce-Autos. Die kleine Göttin fliegt vorweg, steht für Eleganz und Geschwindigkeit.

Kleidung im Jugendstil: Das Korsett wurde gesprengt
Außerdem sind verschiedene Schmuck- und Kleidungsstücke der Frauen aus der damaligen Zeit im Karlsruher Schloss zu betrachten. Das Korsett wurde damals regelrecht gesprengt. Frauen kämpften für Reformkleidung, also für mehr Bewegungsfreiheit und Raum zum Atmen.
Auch beim Schmuck oder Porzellan ging der Trend weg von der Dekadenz hin zur Massenproduktion. Naturalistische Motive waren charakteristisch – wie Schmetterlinge, Libellen oder auch Fledermäuse und Heuschrecken.

Loïe Fuller und Sarah Bernhardt: Weltstars im Fokus
Frauen sind in der Ausstellung aber nicht nur Objekt, sondern auch Subjekt. Der Fokus liegt besonders auf der Tänzerin Loïe Fuller und der Schauspielerin Sarah Bernhardt. Sie waren im Jugendstil Weltstars, eroberten die Bühnen und setzten auf Exzentrik.
Loïe Fuller erfand in den USA den Serpentinentanz. In der Ausstellung ist eine Videoaufnahme zu sehen, in der sie mit wallenden, meterlangen Seidengewändern auf der Bühne steht. Ihre Arme hat sie mit Bambusstangen verlängert und visualisiert dadurch die fließenden Linien des Jugendstils.

Ein Star der Selbstvermarktung war die bekannte Schauspielerin Sarah Bernhardt. Sie tingelte in den USA mit einem kleinen Privatzoo von Bühne zu Bühne und spielte häufig Rollen in Hosen – wie den Hamlet. Alfons Mucha hielt sie auf seinen Plakaten fest und verlieh ihr dadurch den Status als lebende Ikone.
Info zur Ausstellung
Die Ausstellung „Göttinnen ßdes Jugendstils“ ist bis 19. Juni im Schloss Karlsruhe zu sehen.
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