17. September 2023

Buch- und Serienkritik: “Normale Menschen” von Sally Rooney

Sally Rooney: Normale Menschen

Kritik: „Normale Menschen“ – sowohl das Buch als auch die Serie sind toll!

Der Beziehungsstatus lautet: Es ist kompliziert. Connell ist schön, der Star der Fußballmannschaft und klug. Er wächst bei seiner alleinerziehenden Mutter auf, die die hübsche Villa von der Familie seiner Klassenkameradin Marianne putzt, um über die Runden zu kommen. Auch wenn das Geld knapp ist, leben Connell und seine Mutter harmonisch miteinander.

Marianne dagegen kennt keine materiellen Sorgen. Dafür herrscht in ihrer Familie eine emotionale Eiszeit. Ihr Vater ist verstorben, ihre Mutter interessiert sich nicht für sie, ihr Bruder ist gewalttätig. Marianne tut sich schwer mit ihren Klassenkamerad*innen und ist eine Außenseiterin in der Schule.

Als Connell seine Mutter öfter von der Arbeit in der Villa abholt, lernt er Marianne besser kennen. Es knistert und funkt. Sie schlafen immer wieder miteinander. Doch Connell kann sich nicht durchringen, öffentlich zu Marianne zu stehen. Es kommt zum Bruch.

Nach ihrem Abschluss ziehen sie beide für ihr Studium aus der Kleinstadt im Westen Irlands nach Dublin und begegnen sich zufällig auf einer Party wieder. Nun hat sich das Blatt gewendet. Marianne ist beliebt, genießt ihr Studierendenleben. Connell dagegen ist unsicher. Viele junge Menschen aus reichen Familien sind um ihn herum. Er findet nur schwer Anschluss. Zu Marianne fühlt er sich sofort wieder hingezogen. Finden sie dieses Mal zusammen?

Das erzählt Sally Rooney in ihrem Buch “Normale Menschen” (Normal People). Die Serie dazu ist derzeit über die ZDF Mediathek abrufbar. Dazu weiter unten im Text mehr.

Ein sprachliches Vergnügen

„Normale Menschen“ ist das zweite Buch von Sally Rooney. Die Autorin aus Irland wird zurecht dafür gefeiert. Der Roman ist nicht nur sprachlich ein Vergnügen, sondern auch tiefgründig, zeitgemäß und äußerst kurzweilig. Hat mir bereits ihr Debüt „Gespräche mit Freunden“ sehr gut gefallen, finde ich das Nachfolgerbuch sogar noch einen Ticken besser. Das Liebeswirrwarr von Marianne und Connell ist mir sehr ans Herz gewachsen.

Über rund vier Jahre erzählt Sally Rooney die Geschichte der beiden jungen Menschen. Sie startet im Januar 2011 und endet im Februar 2015. Die Autorin hat zwei Figuren geschaffen, die auf ganz unterschiedliche Weise bereits sehr früh mit dem Leben zu kämpfen haben und beide vaterlos sind. Vor allem ihre Art zu kommunizieren, bringt sie immer wieder zusammen.

„Manchmal hat er das Gefühl, dass Marianne und er wie Eiskunstläufer sind. Sie improvisieren ihre Gespräche so versiert und synchron, dass es sie beide erstaunt. Sie wirft sich anmutig in die Luft und jedes Mal, ohne zu wissen, wie er es tun wird, fängt er sie auf.“

Nah dran an beiden Figuren

Es ist sehr spannend zu lesen, wie sich die beiden Charaktere von ihrer Schulzeit bis zum Ende ihrer Studentenzeit entwickeln. Im Buch wechseln die Perspektiven von Marianne und Connell. Dadurch ist es möglich, an beiden Figuren nah dran zu bleiben.

Themen wie Depressionen, Panikattacken und Angstzustände finden ebenso Platz wie Sexualität, Macht und Emanzipation. Auch wenn es zunächst so scheint, als habe Connell stets die emotionale Oberhand über Marianne, zeigt sich dann doch, wie sehr er sie braucht und vor allem aus Angst immer wieder destruktiv ist.

„Es stimmt, sie ist Connells Typ (…) elegant, gelangweilte Aura, mit der Anmutung perfekter Selbstsicherheit. Und er fühlt sich zu ihr hingezogen, das gibt er zu. Nach diesen Monaten fort von zu Hause erscheint das Leben sehr viel größer und seine persönlichen Dramen sehr viel weniger wichtig. Er ist nicht mehr dieselbe ängstliche Person, die er zu Schulzeiten war, als sich seine Zuneigung zu ihr furchterregend anfühlte, wie ein heranrasender Zug und er sie unter ihn warf.“

Alltagsbeschreibungen voller Poesie

Es ist vor allem die Sprache, die ich an Sally Rooneys Werken so gerne mag. Sie schreibt unfassbar klar, ohne komplizierte Schnörkel und Schachtelsätze, aber trotzdem voller Poesie. Außerdem schafft sie es, selbst die gewöhnlichsten Alltagsbeschreibungen nie trivial erscheinen zu lassen.

„In der Küche gießt Marianne heißes Wasser auf den Kaffee. Der Himmel vor dem Fenster ist tief und wattig, und während der Kaffee aufbrüht, legt sie ihre Stirn an die Glasscheibe. Nach und nach verdeckt der Dunst von ihrem Atem das College. Die Bäume werden unscharf, die Old Library eine schwere Wolke. Studierende eilen mit verschränkten Armen in Wintermänteln über den Front Square, verschwinden zu schmierigen Flecken, verschwinden dann vollständig.“

Ohne Sentimentalitäten

Die On/Off-Beziehung von Marianne und Connell rutscht so nie in nervige Sentimentalitäten ab. Vielmehr bietet Sally Rooney ihren Lesenden durch ihre klare Sprache einen fast schon sterilen Einblick in die Gefühlswelten ihrer Figuren.

War ich mir im letzten Drittel kurz nicht sicher, ob die Geschichte nun nur noch vor sich hin plätschert, dreht sich das Ende plötzlich nochmals in eine sehr positive Richtung. Sally Rooney ermöglicht ihren Figuren einen tollen Entwicklungsprozess, der mich auf den letzten Seiten des Buches sehr bewegte.

Israel-Kritik lässt faden Beigeschmack übrig

Einzig, dass sich Marianne in Dialogen mit anderen Studierenden im Buch gegen Israel äußert, störte mich an dem Roman und ließ mich daran denken, dass auch Sally Rooney der umstrittenen BDS-Bewegung nahe steht. Die Bewegung fordert den wirtschaftlichen und kulturellen Boykott Israels.

Ihren dritten Roman „Schöne neue Welt“ ließt die Autorin beispielsweise gar nicht mehr ins Hebräische übersetzen. Für mich ist das bittere Inkonsequenz, da sie sich auch nicht gegen eine chinesische Ausgabe ihres Romans wehrte, obwohl dort Uiguren gefoltert werden.

“Normal People” als Serie

“Normal People” gibt es auch als Serie. Sie ist derzeit in der Mediathek des ZDF zu sehen. Daisy Edgar-Jones und Paul Mescal spielen die Hauptrollen. Insgesamt gibt es zwölf Folgen, die großartig sind.

Die Serie hält sich sehr stark an die Romanvorlage. Sie entwickelt sich insgesamt sehr langsam, übernimmt viele Dialoge aus dem Buch. Das Besondere ist, dass sie damit sowie den tollen Outfits, dem Soundtrack und der Kulisse genau das Lebensgefühl vieler Millennials trifft.

Missverständnisse beim Daten, die Suche nach dem richtigen Weg, die Verlorenheit, die viele Menschen in ihren 20ern spüren: All das vermittelt die Serie wunderbar. Deutlich wird durch sie auch, wie sehr die unterschiedlichen sozioökonomischen Verhältnisse, in denen Marianne und Connell aufgewachsen sind, sie noch als Erwachsene prägen.

Sehenswert machen die Serie außerdem die wunderschönen Bilder und Einstellungen – es ist eine ästhetische Wohltat, “Normal People” zu schauen. Sie dient definitiv als Vorbild für andere Literatur-Verfilmungen. Sie komprimiert nicht, baut keine unnötigen Drehungen ein oder verändert das Ende. So sollte es öfter sein!

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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