22. Januar 2024

Kritik der ARD-Serie “Asbest”

Serie „Asbest“: Ist der Hype berechtigt?

Dunkle Bilder, viel Gewalt und Drogengeschäfte: Wahrscheinlich hätte ich die Gangster-Serie „Asbest“ komplett ignoriert, wäre ich nicht auf die News gestoßen, dass sie mit drei Millionen Abrufen am Start-Wochenende einen neuen ARD-Mediathek-Rekord hinlegte.

So war ich plötzlich doch neugierig. Was ist dran an der Produktion, bei der Kida Khodr Ramadan (“4 Blocks”) Regie führte und viele bekannte Schauspieler*innen auftauchen – wie Jasmin Tabatabai, David Kross, Wotan Wilke Möhring, Detlev Buck und Frederick Lau? Ist der Hype berechtigt?

Brutal und wenig Raum für differenzierte Figuren

Mein Fazit nach den insgesamt fünf Folgen der ersten Staffel: Nein, finde ich nicht. Schaute ich die ersten zwei Folgen noch konzentriert und mit aufrichtigem Interesse, zogen mich die Ereignisse ab Mitte der dritten Folge immer weniger mit. Warum?

  • die Szenen: an vielen Stellen sehr brutal
  • die Handlung: schreitet viel zu schnell voran und will zu viel in zu kurzer Zeit
  • die Figuren: teilweise klischeehaft, teilweise überzeichnet oder in sich unstimmig
  • das Ende: übertrieben dramatisch und kaum vorstellbar, dass jemand so leicht aus einem Gefängnis marschiert

Um was geht es in „Asbest“?

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Momo Kaval (Xidir Koder Alian). Er ist seinem Traum nah, Fußball-Profi bei Hertha BSC zu werden und damit auf ehrliche Weise Geld zu verdienen. Sein Vater starb einige Jahre zuvor und Momo möchte seine Mutter und seinen jüngeren Bruder Jamal finanziell unterstützen. Auch mit seiner blonden Freundin Dani (Lulu Hacke) ist Momo glücklich. Gemeinsam wünschen sie sich eine bürgerliche Zukunft.

Nur: Das ist gar nicht so einfach. Denn Momo gehört zur Großfamilie Kaval, die in Berlin-Neukölln für Schrecken sorgt. Vor allem sein Onkel Amar (Stipe Erceg) und seine Cousins sind im Drogenhandel aktiv, schrecken vor Überfällen, Körperverletzung und Mord nicht zurück. Eines Tages ziehen sie Momo in ein Verbrechen mit hinein und opfern ihn vor Gericht – er muss neun Jahre lang ins Gefängnis und soll sich dort um die Drogengeschäfte kümmern.

Metamorphose nicht nachvollziehbar

 „Ich wollte gar kein Gangster sein“, sagt Momo. Doch auf seiner neun Quadratmeter großen Zelle und dem rauen Umgang in der Haft verändert er sich zunehmend. Seine Probleme sind auch zahlreich: Sein Vertrag bei Hertha ist annulliert, seine Mutter wird bedroht und Familienmitglieder, die ebenfalls im Gefängnis sind, versuchen ihn mit allen Mitteln zum Drogenhandel anzustiften – nicht nur einmal schlagen sie Momo zusammen. Zu allem Übel sind die Justiz-Wärter korrupt und helfen ihm nicht. Ein Elend.

Fußball kommt zu kurz

So passt sich der einst nette Momo immer mehr an – aber genau diese Metamorphose ist holprig dargestellt. Sein Suizidversuch zu Beginn der Haft ist beispielsweise nur ein kurzes Blitzlicht und wird nicht weiterverfolgt.

Auch dass ihm die Gefängnis-Fußballmannschaft Halt geben soll, wird nur rudimentär angerissen. Die Tiefe fehlt – was vor allem deshalb kurios ist, da das Buch „Fairplay mit Mördern“ von Gerhard Mewes die Vorlage für die Serie ist. Mewes berichtet von seinen realen Erfahrungen als Fußballtrainer in der Hamburger Anstalt „Santa Fu“.

Vielleicht sind fünf Folgen auch zu wenig, um das moralische Kippen einer Figur nachvollziehbar darzustellen. Vor allem da es noch weitere Handlungsstränge gibt. Denn nicht nur Momos Onkel Amar will die Drogengeschäfte in Neukölln kontrollieren, sondern auch Henry (Wotan Wilke Möhring). Zwischen ihm und Amar herrscht seit Jahren Krieg. Eine besondere Rolle spielt eine goldene Uhr, die ausgerechnet bei Momos Mutter ist.

Außerdem ist der “Kurde” im Gefängnis eine wichtige Figur. Er wird dargestellt von Kida Khodr Ramadan selbst. Wer ist nun mit wem verbandelt, wer kämpft gegen wen? Es ist viel los in „Asbest“.

Schräge Situationen

Verschenkt ist auch ein wenig das Potenzial der vielen bekannten Schauspieler*innen. Frederick Lau verkörpert eine schräge Gestalt, die mehr Deko ist, als dass sie der Handlung was bringt. Die Gefängnis-Direktorin, gespielt von Claudia Michelsen, erinnert an eine Karikatur und ließ mich an Katja Riemann und ihre Rolle als Schulleiterin in „Fack ju Göhte“ denken.

Außerdem sind die Dialoge zwischen Dani und ihrem Vater teilweise so hölzern und schlecht, dass ich sehr irritiert darüber war, wie das passieren konnte.

Wann kommt die zweite Staffel von “Asbest”?

Eine zweite Staffel von „Asbest“ ist offiziell bestätigt und soll in den nächsten Monaten über die ARD-Mediathek abrufbar sein. Inzwischen läuft die Serie auch auf Netflix.

Ob ich mir weitere Folgen anschauen werde, bezweifle ich derzeit aber sehr. Zu wenig hat mich die erste Staffel überzeugt. Vor wenigen Wochen wurde Kida Khodr Ramadan außerdem selbst zu einer Haftstrafe verurteilt. Er hat einen Antrag auf Haftaufschub gestellt. Welch Tragik, wenn Kida Khodr Ramadan nicht nur in der Serie, sondern auch im echten Leben im Gefängnis sitzen würde.

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2 thoughts on “Kritik der ARD-Serie “Asbest”

  1. Speedrich Cacophonia sagt:

    Dieser Kritik kann ich mich nur anschließen. Habe jetzt vier von fünf Folgen gesehen und bin genau der gleichen Meinung. Zu wenig Tiefgang bei den Charakteren, teilweise hölzerne Dialoge und unübersichtliche Kollaborationen bzw Konflikte der Gangsterbanden. Zudem passt der Schauspieler von Amar nicht. Er wirkt überhaupt nicht arabisch, spricht auch keine Gossensprache. Unpassend. Der beste Darsteller ist ganz klar Uwe Preuss als Trainer. Von ihm könnte ich viel mehr sehen. Aber er kommt nur ein paar Minuten vor. Unverständlich.

  2. Ulf sagt:

    Danke für die kluge Kritik. Sehe ich auch so. Nur das ich die Schauspieler:inner z.t. absolut unterirdischen finde. Vor allem die Dame, die die Freundin spielt. Und sprechen können fast alle nicht. Dazu kommen nicht raus geschnitrene Versprecher. Handwerklich schlampig und schlecht gemacht.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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