Buchkritik: “Auerhaus” von Bov Bjerg
Rezension: Unglaublich bewegend: “Auerhaus”!
In meiner Wohnung gibt es einen riesigen Stapel an ungelesenen Büchern. Darunter sind Klassiker, aktuelle Bestseller, aber auch Romane, die ich blind in der Buchhandlung kaufe – weil mir der Mitarbeitende sie empfiehlt oder weil sie hübsch aussehen. „Auerhaus“ von Bov Bjerg landete über letzteren Weg bei mir.
Es war vor allem das Cover, an dem mein Blick in der Buchhandlung hängenblieb. Eine Wolke mit Regentropfen und eine Sonne sind darauf zu sehen – auf matt-rotem Untergrund. „Eines der schönsten Bücher unserer Tage“, steht darauf. Es ist ein Zitat von Alex Rühle von der Süddeutschen Zeitung.
Neugierig drehte ich das Buch um, las den Klappentext, der keine Zusammenfassung, sondern eine einzelne Textpassage des Romans ist. Sie verrät nicht viel, aber ist so schön, dass ich sofort beschloss, das Werk von Bov Bjerg zu kaufen.
Melancholie trifft auf Schönheit!
„Wir hatten immer so getan, als ob das Leben im Auerhaus schon unserer richtiges Leben wäre, also ewig. Frieder sagte: Du hast die Augen zu und treibst auf einer Luftmatratze, ein sanfter Wind weht und du denkst, geil, jetzt lebe ich für den Rest meines Lebens hier in dieser Lagune, in der Südsee. Und dann machst du die Augen auf und merkst, es ist bloß ein Nachmittag am Baggersee, und zack ist der auch schon wieder vorbei.“
Zuhause legte ich „Auerhaus“ zunächst auf den Stapel an ungelesenen Büchern. Als ich aber eine längere Zugfahrt vor mir hatte, und das Buch, das ich eigentlich gerade lese (4321 von Paul Auster), zu dick und schwer für meinen Rucksack war, beschloss ich, das Werk von Bov Bjerg einzupacken. Ein Glück.
Um was geht es in “Auerhaus”?
Der Roman hat mich in eine andere Welt und Zeit katapultiert: in die 1980er-Jahre in der schwäbischen Provinz. Dort spielt sich das Geschehen von „Auerhaus“ ab. Erzählt wird die Geschichte von Höppner. Er ist in der Oberstufe auf einem Gymnasium – ebenso wie seine Freundin Vera und sein Kumpel Frieder. Höppners Vater ist verstorben. Seine Mutter hat nun einen neuen Mann, mit dem er sich gar nicht versteht. Er nennt ihn nur F2M2: Fieser Freund meiner Mutter.
Sein Kumpel Frieder kämpft mit dem Leben. So sehr, dass er bereits versucht hat, sich umzubringen. Frieder überlebt, soll aber nach einigen Wochen in der Psychiatrie nicht wieder bei seinen Eltern wohnen. Als er Höppner deshalb bittet, mit ihm in das alte Haus seines verstorbenen Opas zu ziehen, sagt dieser ja. Auch Höppners Freundin Vera sowie Cäcilia, eine Tochter reicher Eltern, packen ihre Koffer und kommen ins Bauernhaus. Zusammen nennen sie ihre neue Unterkunft „Auerhaus“ – nach dem Hit „Our house“ der Band Madness.
„We would have such a very good time, such a fine time, such a happy time and I remember how we play simply waste the day away“.
Das gemeinsame Leben in dem alten Bauernhaus gibt den Jugendlichen eine Wärme, die sie in ihrer Familie nicht hatten. Sie kochen zusammen, fahren mit dem Rad zur Schule und haben ein besonderes Auge auf Frieder, der immer noch voller Schwermut ist. Es ist ein Leben voller Freiheit, aber gleichzeitig großer Verantwortung – vor allem für Höppner, der sich in vielen Gesprächen mit Frieder immer wieder mit der Frage auseinandersetzt, warum er sich das Leben nehmen wollte.
Mit leichter Sprache Schweres erzählt
All das erzählt Bov Bjerg mit wunderbar bildhafter Sprache. Leichte, dynamische Sätze sprudeln aus seinem Protagonisten Höppner heraus. Die Kapitel sind kurz, kompakt und immer unterhaltsam. Selten ist es mir so leichtgefallen, ein Buch zu lesen. Dabei stehen die quirligen Sätze im Kontrast zu Frieders suizidalen Absichten. Genau diese Diskrepanz führt aber dazu, dass die Geschichte trotz des ernsten Themas nie schwer wird.
Bov Bjerg bringt in „Auerhaus“ mit seinen bunten Charakteren und den verqueren Geschichten außerdem unfassbar viel gesellschaftliche Vielfalt in die schwäbische Provinz. Vera ist beispielsweise Fan von der polyamourösen Liebe („Liebe ist kein Kuchen, der kleiner wird, wenn man ihn teilt.“). Höppner drückt sich vor der Bundeswehr. Frieder stopft sich im Supermarkt die Taschen voll mit geklauten Lebensmitteln. Und der spätere Mitbewohner Harry ist homosexuell und geht auf dem Stuttgarter Straßenstrich anschaffen.
„Auerhaus“ ließ mich selbst in die Vergangenheit reisen
„Auerhaus“ brachte mich zum Nachdenken und ließ mich gedanklich selbst in die Oberstufe zurückreisen – nicht in die schwäbische, sondern in die badische Provinz, wo es zwar keine WG gab, aber auch einen großen, engen Freundeskreis, der zusammenhielt, viel Unsinn trieb, Eltern zum Verzweifeln brachte – und der tief trauerte, als im Sommer 2000 einer durch ein Zugunglück tödlich verunglückte.
Innerhalb von zwei Tagen habe ich das Buch gelesen, ich konnte es nicht mehr zur Seite legen. Die Geschichte hat mich so sehr bewegt. Melancholie trifft auf Schönheit. Mit einem ähnlichen Gefühl hatte ich „Tschick“ verschlungen.
„Wir hatten immer so getan, als ob das Leben im Auerhaus schon unserer richtiges Leben wäre, also ewig. Frieder sagte: Du hast die Augen zu und treibst auf einer Luftmatratze, ein sanfter Wind weht und du denkst, geil, jetzt lebe ich für den Rest meines Lebens hier in dieser Lagune, in der Südsee. Und dann machst du die Augen auf und merkst, es ist bloß ein Nachmittag am Baggersee, und zack ist der auch schon wieder vorbei.“
Für mich ist „Auerhaus“ ein Buch, das mir wieder zeigt, wie unglaublich wertvoll das Leben ist!
Auerhaus wurde übrigens auch verfilmt:
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