Buchkritik: „Im Wasser sind wir schwerelos“ von Tomasz Jedrowski

„Im Wasser sind wir schwerelos“ von Tomasz Jedrowski: eine gefühlvolle Liebesgeschichte mit Tiefgang
Schon nach einem Absatz weiß ich, dass ich „Im Wasser sind wir schwerelos“ von Tomasz Jedrowski lieben werde. Es steht da dieser eine Satz, den ich bestimmt fünfmal hintereinander lese, weil ich ihn so toll finde:
„Sicher weiß ich nur: Mein Körper ist ausgelaugt wie ein fremdes Land nach einem Krieg. Und dennoch kann ich nicht mehr einschlafen.“
Dieser Satz beschreibt so wunderbar treffend, wie ich im ersten Jahr mit Baby fühlte. Obwohl ich so kaputt von allem war, lag ich nachts gestresst oft stundenlang wach.
In dem Roman von Tomasz Jedrowski geht es zwar um etwas komplett anderes als das Mutterwerden, nämlich die erste große Liebe eines queeren Mannes Anfang der 1980er-Jahre in Polen, aber mir ist dadurch sofort klar, dass der Autor eine unglaublich beeindruckende Gabe hat, Gefühle poetisch auszudrücken.
Mein erster Eindruck täuscht mich nicht. Innerhalb kürzester Zeit verschlinge ich den Roman und kann ihn kaum aus der Hand legen. Tomasz Jedrowsk ist es gelungen, eine mitreißende Liebesgeschichte in einer gefühlvollen, bilderreichen und wohltuenden Sprache zu schreiben. Noch Tage später geht mir die Geschichte von Ludwik und Janusz durch den Kopf. Der Guardian hat den Roman zu Recht unter die besten Bücher des Jahres gewählt.
Worum geht es in „Im Wasser sind wir schwerelos“?
Tomasz Jedrowski erzählt in seinem Debütroman von der ersten großen Liebe zweier Männer in Polen – aus der Perspektive von Ludwik. Anfang der 1980er-Jahre gehört das Land noch zur Sowjetunion und wird kommunistisch regiert. Die meisten Menschen leben in bitterer Armut. Eine homosexuelle Beziehung ist zwar offiziell nicht verboten, aber gesellschaftlich unvorstellbar.
Als Ludwik und Janusz sich nach dem Studium bei einem mehrwöchigen Ernteeinsatz kennen lernen, sind sie sofort voneinander angetan. Langsam kommen sie sich an einem Fluss abseits des Lagers näher. Es ist ein vorsichtiges Herantasten – voller Angst und Scham vor den eigenen Gefühlen und davor, etwas Unmoralisches zu tun.
Doch die jungen Männer finden einen Weg, sich ihre Gefühle einzugestehen und fahren nach dem Lager gemeinsam in die Masuren. Dort kommen sie sich endlich auch körperlich näher. Tomasz Jedrowski schildert dies einfühlsam und ohne Kitsch.
„Unter der Wasseroberfläche rührte sich etwas Warmes in meinem Bauch. Ich trat näher, konnte die Wassertropfen auf deiner Stirn, der Nasenspitze und in den Mundwinkeln erkennen. Wir schwiegen. Wir sahen uns an, hatten keine Worte. Du warst da, und ich war da, ganz nah, atmend. Ich bewegte mich in deinen Kreis. Zu deinem wartenden Körper und deinem ruhigen offenen Gesicht und den Tropfen auf deinen Lippen. Deine Arme umfingen mich. Fest. Und dann waren wir ein einziger Körper, der schwerelos im See trieb, ohne den Grund zu berühren.“
„Im Wasser sind wir schwerelos“: Einblick in das kommunistische Polen
Die Zeit in den Masuren ist für Ludwik und Janusz wie eine paradiesische Auszeit fernab der tristen Realität, die danach in Warschau auf sie wartet. Zurück im Alltag müssen sie ihre Liebe verstecken.
Doch das ist nicht die einzige Schwierigkeit. Die beiden Männer haben sehr unterschiedliche Ansichten über das politische System: Während Ludwik sich immer wieder kritisch über die kommunistische Einheitspartei äußert und sich ein Leben im Westen vorstellen kann, beginnt Janusz nach dem Studium für die Zensurbehörde zu arbeiten. Geschickt knüpft er Kontakte zu einem Geschwisterpaar, dessen Eltern gute Kontakte zu den Eliten des Regimes pflegen und deshalb in Luxus leben.
Da schon auf den ersten Seiten klar wird, dass sich Ludwik in den USA befindet und von dort aus rückblickend schreibt, ist ein Happy End zwischen den beiden nicht zu erwarten. Aber das macht nichts. Das Buch ist trotzdem wunderschön und zieht mich mit seiner zarten Melancholie von Seite zu Seite.
Weit mehr als eine Liebesgeschichte
„Im Wasser sind wir schwerelos“ ist auch deshalb so lesenswert, weil es dank seiner bildhaften Sprache ein sehr genaues Bild von Warschau in den 1980er-Jahren zeichnet. Tomasz Jedrowski gelingt es, einen spannenden Einblick in den Alltag junger Menschen und die politische Situation zu geben. Damit ist der Roman weit mehr als eine queere Liebesgeschichte.
Immer wieder habe ich auch verschiedene Aspekte noch einmal online nachgelesen – zum Beispiel die territorialen Verschiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg, unter denen auch in Polen viele Menschen zu leiden hatten. So wurden Ludwiks Großeltern von den Sowjets vertrieben und nach Breslau geschickt, wo zuvor deutsche Familien gelebt hatten. Auch der Antisemitismus gegen jüdische Menschen findet seinen Platz im Roman. Aber das überrascht mich nach „Zu viele Männer“ von Lily Brett nicht mehr.
Außerdem muss ich daran denken, dass auch heute noch viele homosexuelle Menschen in Polen in Angst leben. So sind dort gleichgeschlechtliche Ehen und Adoptionen immer noch unmöglich.
Fazit zu „Im Wasser sind wir schwerelos“
Tomasz Jedrowski ist ein sprachlich poetischer und zugleich kritischer Roman gelungen. Ähnlich wie Ocean Vuong mit „Auf Erden sind wir kurz grandios“. „Im Wasser sind wir schwerelos“ ist definitiv eines der schönsten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Es ist ein Roman, der lange nachwirkt.
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