Buchkritik: “Die Interessanten” von Meg Wolitzer
Rezension „Die Interessanten“: ein kluges und wärmendes Buch für die Seele!
Es ist ein Monat, bevor Robert Nixon von seinem Präsidentenamt zurücktritt, als die Außenseiterin Julie Jacobsen von den „Interessanten“ adoptiert wird – und sich in die humorvolle Jules verwandelt. Die fünf anderen Jugendlichen, mit denen sie an einem lauen Abend beim Sommercamp in einem engen Tipi sitzt, kommen alle aus New York. Jules findet:
„ (…) sie waren wie die Mitglieder eines Königshauses oder französische Filmstars.“
Eine tiefe Freundschaft entsteht!
Nun selbst zu dieser glamourösen Clique zu gehören, verändert Jules bislang graues Leben. Sie wohnt mit ihrer Schwester und ihrer Mutter in einem trostlosen Vorort von New York. Ihr Vater starb wenige Monate zuvor an Krebs. Nur wegen eines Stipendiums durfte sie an dem kreativen Sommercamp teilnehmen. Jules blüht dort auf, entdeckt ungeahnte Talente und es tritt danach ein, was sie sich sehnlichst wünscht. Die Freundschaft der Jugendlichen bleibt über die Ferien hinweg bestehen – jahrzehntelang.
Ein Roman ohne Kitsch!
Autorin Meg Wolitzer erzählt in „Die Interessanten“ die Geschichte dieser Clique auf insgesamt 600 Seiten. Es ist ein wunderbares Buch über tiefe Freundschaft und die Herausforderungen des Lebens. Ich bin so sehr in die Welt von Jules & Co. eingetaucht, dass ich das Buch innerhalb nur weniger Tage gelesen habe. „Die Interessanten“ ist ein unglaublich gefühlvoller, kluger Roman – ganz ohne Kitsch.
Über vier Jahrzehnte in den USA
Es beginnt bei Nixon und endet im Zeitalter der Sojamilch: „Die Interessanten“ sind am Anfang der Geschichte Teenager, zum Schluss über 50 Jahre alt. Zu ihnen gehören die schönen Geschwister Ash und Godmann, die aus einem reichen Elternhaus stammen. Die kurvenreiche Cathy, die davon träumt, Tänzerin zu werden, der sensible Jonah, dessen Mutter eine berühmte Folksängerin ist, und außerdem Ethan. Er fiel Jules als einer der Ersten im Camp auf.
„Der grobschlächtige, ungewöhnlich hässliche Ethan Figman, dessen Züge leicht plattgedrückt wirkten, als presste er das Gesicht gegen eine unsichtbare Glaswand, hockte mit schlaff geöffnetem Mund und einer Schallplatte auf dem Schoß da.“
Doch Ethan ist der Kreativste und Talentierteste unter ihnen. Er kommt aus einer zerrütteten Familie und hat sich durch Trickfilme seine ganz eigene Welt geschaffen: Figland. Es ist ein Talent, das ihn sein gesamtes Leben über begleiten wird.
Ethan ist von Beginn an von Jules angetan, versucht ihr näherzukommen. Doch sie blockt ab, wünscht sich vielmehr die Zuneigung des arroganten, aber gutaussehenden Goodman. Es ist eine einseitige Liebe ohne Chance.
Verschiedene Zeiten & Perspektiven
Es gibt keinen gradlinig voranschreitenden Plot in „Die Interessanten“. Meg Wolitzer springt in den Zeiten vor und zurück, wechselt Perspektiven und sucht sich einzelne Spots, die sie beleuchtet. Es braucht tatsächlich aber auch nicht mehr. Die Amerikanerin bringt immer wieder neue Aspekte in die Geschichte ein, schreibt so kurzweilig und mit solch einer Wärme, dass ich völlig die Zeit vergaß und immer weiterlesen wollte.
Feminismus, Neid & Aids
Feminismus, Kunst, Depressionen: Die Autorin verknüpft verschiedene gesellschaftlich relevante Themen in „Die Interessanten“. Auch das HI-Virus, das vor allem in den 1980er- und 1990er-Jahren großen Schrecken verbreitete, findet seinen Platz.
„Die Interessanten“ beschreibt auf lebensnahe Weise, wie sich Freundschaften über die Jahre hinweg verändern können. Wie es sich auswirkt, wenn Erfolg und Geld unterschiedlich vorhanden sind – wie giftig Neid sein kann. Und wie stark sich die Prägungen des Elternhauses auch noch im Erwachsenenalter widerspiegeln, sich schlecht abschütteln lassen. Außerdem beschreibt die Autorin sehr treffend, wie Freundschaften durch Kinder neue Formen annehmen.
(..) doch die Kinder hatten alles verändert. Kaum dass sie kamen, formierten sich die Familien neu, man schloss die Reihen. Das war nicht geplant, aber es geschah. Familien glichen abgelegenen, vom Wasser umgebenen Inselstaaten. Die kleine Bevölkerung hockte instinktiv auf ihrem Stück Fels zusammen, fast schon defensiv und alle außerhalb, selbst wenn es einmal die besten Freunde gewesen waren, wurden zu Außenseitern.
Ein Buch, das ich sehr ins Herz geschlossen habe
Die Stärke des Romans sind seine Vielseitigkeit und die Perspektivwechsel. „Jeder leidet“, stellt Jules irgendwann fest – egal wie schön oder reich er ist. Jeder hat seine Probleme, seinen Kummer, seinen Kampf. „Die Interessanten“ wirft einen Blick auf die Höhen und Tiefen des Lebens, zeigt, wie schnell sich immer alles verändern kann, es sich deshalb nicht lohnt, sich mit anderen zu vergleichen.
“Life is what happens to you while you’re busy making other plans.” An dieses weise Zitat von John Lennon musste ich bei „Die Interessanten“ wieder oft denken. Das Buch hat mich tief berührt, mich emotional bereichert, mich zum Nachdenken über das Leben gebracht. Schade, dass ich nach 600 Seiten von Jules, Ethan & Co. Abschied nehmen musste. Ich hätte sie gerne noch länger begleitet. Ein unglaublich tolles Buch!
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