31. Oktober 2024

Buchkritik: “Windstärke 17” von Caroline Wahl

"Windstärke 17" von Caroline Wahl

“Windstärke 17” von Caroline Wahl: sehr gut zu lesen, aber sehr viel Drama

Es ist ein Wiedersehen mit Ida, Tildas kleiner Schwester, die in „22 Bahnen“ noch zehn Jahre alt war, gerne malte und nur bei schlechtem Wetter ins Freibad gehen wollte. Jetzt, ein Jahrzehnt später, ist Ida aus der mitteldeutschen Kleinstadt auf die Insel Rügen gezogen – mit einem zerkratzten Hartschalenkoffer, ohne Geld und ohne Perspektive.

„Ich schaue auf die Anzeigetafel, sehe einen Zug, der bis Ostseebad Binz fährt. Rügen. Eine Insel. Perfekt. Regionalbahn auch gut.“

Worum geht es bei „Windstärke 17“?

Ida hat einen dicken, fetten Wutklumpen im Bauch. Ihre alkoholabhängige Mutter ist gestorben. Während Tilda inzwischen in Hamburg lebt, war Ida bis zuletzt bei ihrer Mutter im Haus in der Fröhlichstraße und macht sich nun Vorwürfe, dass sie sie nicht retten konnte.

„In mir tobt ein Sturm, ein Tornado, ein Orkan, der alle Fragen aufwirbelt, die ich immer am Boden zertrete, wenn sie auftauchen.“

Ida kämpft auf Rügen gegen ihre inneren Dämonen. Ein Hoffnungsschimmer taucht auf, als sie Knut und Marianne kennenlernt, ein Ehepaar, das sie aufnimmt. Und dann ist da noch Leif, ein smarter Elektro-DJ, der sich auf Rügen eine Auszeit vom schnellen, drogengeschwängerten Nachtleben nimmt. Findet Ida auf Rügen neuen Halt? Es wird wieder spannend in Caroline Wahls zweitem Buch „Windstärke 17“.

Eingängige Sprache, aber nervige Konstruktionen

„Windstärke 17“ kann als Fortsetzung von „22 Bahnen“ gelesen werden, steht aber auch für sich allein. Wieder schreibt Caroline Wahl ihre Geschichte mit einer so eingängigen, angenehmen und bildhaften Sprache, dass ich „Windstärke 17“ in Windeseile lese – trotz des bedrückenden Themas, der Trauer.

Jedoch hat sich Caroline Wahl in ihrem zweiten Roman für eine raue Zitierform entschieden, den unmittelbaren Dialogen:

Ich: Und was arbeitetst du?
Marianne: Ich war Grundschullehrerin. Und du?
Puh.
Ich: Ich studiere Literatur, aber ich höre wahrscheinlich auf
Marianne: Wieso?
Ich: Weil ich eigentlich was anderes machen will.

Zu dieser abgehakten Form lässt sie Ida außerdem öfter ihre Gedanken wörtlich wiederholen. Da Caroline Wahl ohne An- und Abführungszeiten schreibt, steht dann derselbe Satz zweimal da – nur eben mit dem „Ich“ davor. Ein Beispiel:

„Tilda hat früher auch immer Hühnersuppe gemacht, wenn ich krank war.
Ich: Tilda hat früher auch immer Hühnersuppe gemacht, wenn ich krank war.“

Mich stört das auf Dauer. Warum sich die Autorin dafür entschieden hat, ist mir unklar. Bei „22 Bahnen“ war das noch runder.

Wie in einem Superhurrikan

Doch zurück zur Geschichte um Ida. Nach dem Tod ihrer Mutter fühlt sie sich wie in einem Superhurrikan mit Windstärke 17. Jede Nacht träumt sie von der Verstorbenen, kapselt sich völlig von Tilda ab, schaltet ihr Handy auf Flugmodus, um unerreichbar zu sein. Doch auch auf Rügen kann sie ihrer Vergangenheit nicht entfliehen – alles erinnert sie an ihre Mutter. Immer wieder blitzen Flashbacks auf. Ihre Mutter ist in ihren Träumen präsent.

Marianne spürt die Verzweiflung und kümmert sich liebevoll um Ida, macht ihr Frühstück mit aufgebackenen Brötchen, weißen Eszet-Schnitten und Wursttellern. Geht mit ihr spazieren und lässt ihr Zeit, sich zu öffnen. Doch eines Tages erhält Marianne selbst eine schreckliche Nachricht.

Eine halbwegs spannende Liebesgeschichte

Natürlich darf auch in „Windstärke 17“ eine Liebesgeschichte nicht fehlen. Ida verliebt sich in Leif, in den coolen, erfolgreichen Typen, der aber selbst mit dem Leben kämpft.

Mit Leif hat Caroline Wahl auch die schwammigste Figur geschaffen.Was genau mit ihm los ist, lässt sie relativ offen. Sie deutet nur an, dass er bei seinen Großeltern aufgewachsen ist und eine schwierige Kindheit hatte. Aber was genau mit seinen Eltern passierte, was ihn zu seiner Auszeit jetzt auf Rügen gebracht hat, bleibt unklar. Hier hätte ich mir wirklich mehr Informationen gewünscht. Da „Windstärke 17“ nur etwa 250 Seiten hat, hätte das den Rahmen nicht gesprengt.

Auch das schwierige Verhältnis zwischen Marianne und ihrer Tochter Mandy wird von Caroline Wahl nur angerissen. Das ist schade. Diese Nebenschauplätze hätten dem Roman mehr Tiefe gegeben. Denn so dreht sich die Geschichte hauptsächlich um Ida und ihre Gedanken.

Fazit zu „Windstärke 17″: Zu redundant und um sich selbst kreiselnd

Das ist auch mein großer Kritikpunkt an „Windstärke 17″. Obwohl sich der Roman wieder super liest, wird er mir gegen Ende zu redundant und es ist einfach zu viel Drama um Ida. Es kreiselt alles um ihre Probleme. Außerdem frage ich mich, warum an keiner Stelle jemand vorschlägt, dass Ida sich mal professionelle Hilfe sucht.

Meine Begeisterung ist am Ende deshalb verhalten. „22 Bahnen” hat mich definitiv mehr berührt. Trotzdem bin ich gespannt auf das nächste Buch von Caroline Wahl. Denn mitreißend sind ihre Werke allemal.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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