Flimmerkasten: “Parlament”
Kritik der Serie „Parlament“: vier Staffeln voller witziger Politik-Satire
„Es gibt eine TV-Serie über Europa? Wie langweilig“, meint der parlamentarische Assistent Samy (Xavier Lacaille) aus Frankreich in der sechsten Folge der Politik-Satire „Parlament“ zu seiner britischen Kollegin Rose (Liz Kingsman). Von wegen! Was tatsächlich zunächst staubtrocken klingt, ist in diesem Fall großartig gelungen!
„Parlament“ erzählt überspitzt vom Arbeitsalltag im Europäischen Parlament – von all den Mauscheleien, Absurditäten und Herausforderungen. Das ist herrlich komisch anzusehen und schafft es darüber hinaus, einen guten Einblick in die komplizierten Abläufe der EU zu geben.
Seit November 2024 gibt es nun auch die vierte Staffel, die über die ARD-Mediathek abrufbar und auf Netflix zu sehen ist. Während die ersten beiden Staffeln sehr kurzweilig und zugänglich sind, ist die dritte ein wenig sperriger geworden. Deshalb bin ich nun sehr gespannt, ob die vierte und finale Staffel nochmals unterhaltsam ist.
Ein Herz für Samy
Im Mittelpunkt der Ko-Produktion von WDR, france.tv und BeTV steht Samy. Der schlaksige Franzose mit der Hornbrille ist neu in Brüssel und zunächst der Assistent von Michel Specklin (Philippe Duquesne), einem Abgeordneten, der sich gerne vor unangenehmen Aufgaben drückt. Samy ist hochmotiviert, aber völlig naiv und stolpert von einem Chaos ins nächste.
1. Staffel “Parlament”: Willkommen im Haifischbecken
Gleich am ersten Tag lässt er sich von einem italienischen Lobbyisten reinlegen. Statt eigene Änderungsvorschläge im Fischereiausschuss einzubringen, kopiert er unwissentlich die Wünsche einer Ozean-Organisation – was strengsten verboten ist. Die deutsche Politikberaterin Ingeborg (Christiane Paul) bietet Samy daraufhin einen Deal an: Sie hilft ihm, aus diesem Debakel wieder herauszukommen, im Gegenzug soll Samy einen Änderungsantrag zu Finning durchs Parlament bringen.
Finning? Dahinter steckt das Abtrennen der Finne (Rückenflosse) beim Hai. „Seit in China die Nachfrage danach so stark stieg, ist das in Europa Nationalsport“, erklärt Ingeborg dem völlig unwissenden Samy. Verzweifelt geht er auf das Angebot von Ingeborg ein. Von nun an setzt er alles daran, die Haie zu schützen, Samy, the Shark, ist geboren.
Eine dreisprachige Unterhaltung
Englisch, französisch und deutsch: „Parlament“ ist dreisprachig gedreht und läuft mit Untertiteln. Allein schon wegen des British-English von Rose ist das ein Vergnügen. Auch die Charakteristika der einzelnen Figuren sind den Nationalitäten-Klischees angepasst. Ingeborg und ihr Assistent Torsten (Lucas Englander) kommen aus Deutschland, sind kühl, berechnend und ehrgeizig. „Wenn Hexen Albträume haben, träumen sie von Ingeborg“, beschreibt Torsten seine Chefin. Auch das Thema „Wurst“ spielt bei den Deutschen immer wieder eine Rolle.
Die Engländer feiern wöchentlich ihr Brexit-Jubiläum. „Immer montags, damit wir nicht ins Wochenende mit einem Kater starten, sondern in die Arbeitswoche“, erklärt Rose. Sie arbeitet für die EU-Abgeordnete Sharon. Ihre Arbeitsmoral ist spätestens seit dem beschlossenen EU-Austritt ganz verschwunden. Sie macht fröhlich Puzzle, trinkt Tee und geht 53-mal auf EU-Kosten ins Musical „Cats“. Entsprechend ist auch Roses Arbeitsalltag äußerst monoton. „Brexit means Brexit“ tippt sie in Dauerschleife auf ihrer Tastatur.
Samy und sein französischer Chef sind liebenswert, aber völlig verplant. Als Samy eine Besuchergruppe durch das Parlament führen soll, wissen die Teilnehmer besser Bescheid als er. Sein Abgeordneter hat außerdem in drei Jahren keinen einzigen Änderungsantrag eingereicht. Um Wasser für die Kaffeemaschine zu holen, marschiert er durch das ganze Gebäude. Es ist seine Art, die Arbeitszeit totzuschlagen.
2. Staffel von „Parlament“: Um was geht es?
Die zweite Staffel beginnt ein halbes Jahr nach der Finning-Abstimmung, dem Finale der ersten Staffel. Samy möchte nicht mehr für Michel arbeiten, sondern sucht sich mit der Französin Valentine (Georgia Scalliet) eine neue Abgeordnete. Sie ist ganz neu am Parlament und ehrgeizig. Samy ist inzwischen mit den Spielregeln vertraut, hat seine Naivität verloren und geht opportunistisch seinen Weg – ohne Rücksicht auf Verluste. Das bekommt auch sein alter Abgeordneter Michel zu spüren, der Samy sehr ins Herz geschlossen hat.
Standen in der ersten Staffel die Haie im Fokus, ist es nun der sogenannte “Blue Deal” zur Rettung der Ozeane. Dazu ist es für Valentine und Samy wichtig, bei einem sogenannten Trilog den Ministerrat und die Kommission der Europäischen Union von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Das ist gar nicht einfach: Jede Seite kämpft mit allen Mitteln für ihren Vorteil. Wird es trotzdem einen Kompromiss geben?
Rose ist nach dem Brexit auch wieder am Start. Dieses Mal aber als Lobbyistin. Es ist herrlich mitanzusehen, mit welchen Mechanismen sie und ihr Chef versuchen, ihre Interessen an den Mann und die Frau zu bringen – ohne Skrupel, ohne Moral.
Sehr amüsant ist außerdem Samys neue Freundin Lydia (Anaïs Parello), die für eine Nicht-Regierungs-Organisation (NGO) arbeitet. Bei ihr stehen Humanismus und Diversität an oberster Stelle – wer für woke-Diskussionen noch Input benötigt, bekommt durch sie einiges an Vokabular und Argumenten geliefert.
3. Staffel von “Parlament”: ein wenig anstrengend
In der dritten Staffel der Serie pendelt Samy zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission hin und her. Zu Beginn ist er politischer Berater, möchte aber Valentine folgen, die um ihre Stelle in der Kommission kämpft.
Rose ist nun freie Journalistin und zeigt, wie schwierig es sein kann, exklusive Geschichten aus der Politik an internationale Medien zu verkaufen.
Im Mittelpunkt der dritten Staffel steht der Machtkampf um das Amt des Präsidenten zwischen dem Franzosen Michele und dem Deutschen Konrad (Martin Brambach). Konrad verkörpert den steifen konservativen Politikertypus, der im Herzen gerne ein Rockstar wäre.
Im Gegensatz zu den ersten beiden Staffeln ist die dritte Staffel schwerer zugänglich. Ich musste mich sehr konzentrieren, um die Regeln und Abläufe der europäischen Institutionen zu verstehen. Am Ende hatte ich das Gefühl, dass ich mir die dritte Staffel noch einmal von Anfang an ansehen sollte, um wirklich einen Überblick zu bekommen.
Eine perfekte Serie!
Gleichwohl: „Parlament“ ist grundsätzlich eine tolle Serie. Die Dialoge sind witzig und klug. Die Schauspieler überzeugen durchweg. Begeistert hat mich neben Samy Eamon (William Nadylam), der als Beamter im Sekretariat des Fischereiausschusses arbeitet. Er hat eine Büste von Seneca in seinem Zimmer stehen. Er fühlt sich den Stoikern nahe, begründet er: Seneca habe Narren und Tyrannen beraten.
Auch Eamon verzieht keine Miene bei dem Chaos im Parlament, scheint zunächst keinerlei Emotionen in sich zu haben. Doch am Ende der ersten Staffel stellt sich heraus, wie sehr er Samy mag. Ganz großartig ist außerdem sein Tanz im Büro in der zweiten Staffel
Unterhaltsam & klug!
„Parlament“ ist aber nicht nur gute Unterhaltung. Ich habe durch die Serie tatsächlich etwas gelernt. Was genau machen die EU-Abgeordneten, was hat es mit den Änderungsvorschlägen auf sich? Und was ist notwendig, um eine Mehrheit zu bekommen? In all diese Prozesse gibt „Parlament“ einen guten Einblick. Es ist eine Serie, die Unterhaltung mit Informativem perfekt verbindet.
Obwohl das Ende der dritte Staffel bereits rund war, gibt es nun noch eine vierte Staffel von “Parlament”. Es ist nun definitiv die letzte. Ich freue mich schon auf die neuen zehn Folgen und bin gespannt, wie die Serie endet.
Parlament ist derzeit in der ARD-Mediathek und über Netflix abrufbar!
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Das steckt in etwa soviel Satire drin wie „Wag the dog“
Da steckt enorm viel Insiderkenntnis drin und die finde es ich sehr besorglich.
Die Realität ist noch schlimmer!
Tolle Serie