Buchkritik: “Intermezzo” von Sally Rooney
Rezension: “Intermezzo” von Sally Rooney – einfühlsam und klug
Eigentlich war meine Sally-Rooney-Euphorie nach „Schöne Welt, wo bist du“ verflogen. Zu redundant war mir ihr dritter Roman, in dem es um die Irrungen und Wirrungen zweier Liebespaare geht, gepaart mit intellektuellen Gedanken über die Welt. Das überraschte mich nach „Gespräche mit Freunden“ und „Normale Menschen“ nicht mehr.
Deshalb wollte ich mir ihren brandneuen Roman „Intermezzo“ zunächst gar nicht kaufen – schon gar nicht als Hardcover. Doch dann las ich eine Rezension des Buches in der „Zeit“. Die Rezensentin schrieb, es sei Sally Ronneys bisher bestes Werk. Das machte mich neugierig. Als ich kurze Zeit später in meiner Lieblings-Buchhandlung stand, dort das Buch liegen sah, griff ich spontan zu und begann zu Hause zu lesen.
„Intermezzo“ ist tatsächlich ein ganz toller Roman, der die großen Themen Trauer und Liebe auf sehr intelligente Weise miteinander verbindet. Sally Rooney überzeugt sprachlich und inhaltlich. Nie wird es kitschig, nie trivial. Ich tauchte tief in das Geschehen ein, fühlte mich ihren Figuren nahe und wunderbar unterhalten.
Worum geht es in „Intermezzo“?
Im Mittelpunkt von „Intermezzo“ stehen die Brüder Peter und Ivan. Sie haben gerade ihren Vater verloren. Er litt seit Jahren an Krebs. Während Ivan bis zuletzt viel Zeit mit ihm verbrachte, hatte Peter ein eher distanziertes Verhältnis zu ihm. Die Brüder gehen nun sehr unterschiedlich mit dem Verlust um. Während sich der schachbegeisterte Ivan in eine neue Liebe stürzt, entgleitet dem smarten und scheinbar so selbstbewussten Peter das Leben.
Sally Rooney erzählt nun die Geschichte, indem sie abwechselnd aus der Perspektive von Peter und Ivan schreibt. Auch Einblicke von Ivans neuer Liebe Margret finden Platz. Das Tolle ist, dass die irische Autorin den Erzählstil den Gedanken ihrer Protagonist*innen anpasst.
Während Peter sehr schnell und oft chaotisch denkt, sind die Kapitel von Ivan und Margret deutlich langsamer und klarer. Da Sally Rooney auf An- und Abführungszeichen verzichtet, musste ich mich bei den ersten Seiten zu Peter zunächst an den Schreibstil gewöhnen. Aber nach kurzer Zeit kam ich damit super zurecht.
„Intermezzo“: Gefühlswirrwarr bei Peter
„Intermezzo“ lebt von der Unterschiedlichkeit der beiden Brüder und ihrem Umgang mit der Trauer. Peter ist 32 Jahre alt. Er ist ein smarter, gut aussehender Menschenrechtsanwalt. Vor Gericht ist er immer souverän, gewinnt wichtige Fälle. Doch sein Privatleben ist ein einziges Chaos. Nach dem Tod seines Vaters fühlt er sich einsam, von seiner Umwelt abgeschnitten, in seinem Kopf schwirren dunkle Gedanken. Das liegt auch daran, dass er zwischen zwei Frauen steht und völlig überfordert ist.
Emotional hängt er noch sehr an seiner Ex-Freundin Sylvia. Sie ist in seinem Alter, Literaturprofessorin an der Universität und hat ähnliche Interessen wie er. Sie lernten sich als Studierende kennen und waren glücklich miteinander, bis ein schwerer Unfall vor sechs Jahren Sylvias Leben völlig aus der Bahn warf.
Sie erholte sich nie ganz von den Folgen, leidet unter chronischen Schmerzen und beendete die Beziehung, weil sie Peter nicht zur Last fallen wollte. Für ihn brach eine Welt zusammen. Da aber weder Sylvia noch Peter auf den anderen verzichten wollten, sind sie seitdem eng befreundet. Über ihre Gefühle sprechen sie nur oberflächlich.
Seit einem Jahr ist außerdem Naomi Teil seines Lebens. Sie ist zehn Jahre jünger, äußerst attraktiv, studiert noch, lebt in einer wilden WG und hat permanente Geldprobleme. Peter unterstützt sie deshalb finanziell, hält sie emotional aber auf Abstand. Das Verhältnis ist deshalb ein wenig schwierig einzuordnen.
„Der Versuch zu betonen, dass er nichts für sein Geld erwartet, sich nichts dabei denkt, und sowieso nicht einmal abkömmlich ist, um seine Schulden einzutreiben, die sich ausdrücklich nicht aus seiner Überweisung ergeben. (…) Jemand scheint hier jemanden ausnutzen zu müssen. Aber wer und wie? Er sie, finanziell, sexuell? Oder sie ihn, finanziell, emotional?“
Erst im Verlauf der Geschichte wird immer klarer, wie Peter tatsächlich zu Naomi steht.
„Intermezzo“: Der feinfühlige Ivan verliebt sich in eine ältere Frau
Ivan ist das scheinbare Gegenteil von Peter. Er ist ein typischer Nerd. Er arbeitet nach seinem Informatik-Studium als Freelancer, trägt Secondhand-Klamotten und ist ein Schach-Wunderkind. Aus Äußerlichkeiten macht er sich wenig, er hat auch gerade eine Zahnspange, als er Margret in einem Kulturzentrum kennenlernt.
Ivan hat dort ein Schachturnier, Margret ist seine Betreuerin vom Kulturzentrum. Ivan fühlt sich sofort zu der hübschen, 36-jährigen Frau hingezogen. Auch Margret mag ihm, hat aber ihre Zweifel, wie sehr sie sich einen jüngeren Mann einlassen soll. Vor allem die möglichen Reaktionen ihrer konservativen Mutter bremsen sie, sich komplett auf eine Beziehung mit Ivan einzulassen.
Auch Peter reagiert irrtiert, als ihm Ivan von der älteren Margret kommt. Bereits seit Jahren ist das Verhältnis zwischen den Brüdern schwierig, nun kommt es zum großen Streit.
„Als Ivan ungefähr sechszehn, siebzehn war, fingen er und Peter an, sich zu streiten, lautstark sogar, über Politik, Geschichte, egal was, schwangere Frauen in öffentlichen Verkehrsmitteln, und Peter beschimpfte Ivan als Frauenhasser, als Verlierer, alles Mögliche. Das war traurig, weil sie vorher wirklich befreundet gewesen waren. Wenn Peter und Sylvia zusammengeblieben wären, denkt Ivan, wäre es nicht so weit gekommen, sie hatte einen guten Einfluss auf ihn.“
Unglaubliche Tiefe und lebensnahe Geschichten
Sally Rooney erklärt im Laufe der Handlung nach und nach, warum die Beziehung zwischen Ivan und Peter so schwierig ist. Es gelingt ihr auf wunderbare Weise, ihren Figuren und der Geschichte eine unglaubliche Tiefe zu verleihen, die nie konstruiert wirkt, sondern lebensnah. Deshalb entfaltet „Intermezzo“ beim Lesen eine größere Intensität als die drei Vorgänger. Dabei verliert die Handlung nie an Dynamik, es bleibt spannend bis zum Schluss. Sally Rooney gelingt das bestmögliche Ende.
„Intermezzo“: Fazit
Sally Rooneys Bücher sind aus der Perspektive einer weißen, privilegierten Frau geschrieben. Sie versucht gar nicht erst, Diversität in “Intermezzo” zu bringen. Das wird ihr von manchen Seiten vorgeworfen. Aber für mich ist das kein Problem. Nicht jedes Buch muss jedes Thema behandeln. Ich habe „Intermezzo“ sehr gerne gelesen. Es gehört definitiv zu meinen fünf Lieblingsbüchern 2024.
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Liebe Miriam, ich stimme zu 100% mit Deiner wunderbaren Rezension überein. Ich habe das Buch gerade zu Ende gelesen und bin tief ergriffen und musste am Ende sogar ein paar Tränen verdrücken, obwohl ich das sonst eigentlich sehr selten bei Büchern tue. Nach 30 Seiten habe ich aufgrund des Schreibstils der ersten Seiten erwogen, das Buch abzubrechen, denn das hätte ich nicht über ein ganzes Buch durchgehalten. Aber es hat sich sehr gelohnt, es nicht zu tun! Ich habe alle Bücher der Autorin gelesen und empfinde diese auch als ihr bestes Buch!
Ich lese Deinen Blog ausgesprochen gerne! Vielen Dank für alle Deine Rezensionen und eine schöne Weihnachtszeit…Christiane
Ach wie schön! Und danke, das wünsche ich dir auch!