Buchkritik: “Die Zeuginnen” von Margaret Atwood

Buchkritik: “Die Zeuginnen” von Margaret Atwood: sehr unterhaltsam, aber ohne Überraschung
Wie stürzt man einen totalitären Staat? Diese Frage wurde der Autorin Margaret Atwood unzählige Male gestellt, nachdem sie 1985 ihren preisgekrönten Bestseller „Der Report der Magd“ veröffentlicht hatte. 2017 erhielt sie dafür den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Die Frage hat nichts von ihrer Brisanz verloren. Im Gegenteil: Die große Zeit der Demokratien scheint vorbei, autoritäre Herrscher beherrschen die Schlagzeilen.
In „Die Zeuginnen“ gibt Margaret Atwood nun eine Antwort darauf. Sie schreibt in einem Nachwort dazu:
„Totalitäre Staaten können von innen heraus anfangen zu bröckeln, wenn sie die Versprechen, die sie an die Macht gebracht haben, nicht halten. Oder sie werden von außen angegriffen. Oder beides.“
Wie das konkret aussehen kann, erzählt sie in „Die Zeuginnen“ anhand von drei Protagonistinnen, die ganz unterschiedliche Perspektiven auf den fiktiven Staat Gilead haben. Das ist immer noch spannend und unterhaltsam, aber nicht mehr ganz so revolutionär wie die Geschichte im Vorgängerbuch.
Worum geht es in „Die Zeuginnen“?
Die Handlung von „Die Zeuginnen“ setzt 15 Jahre nach dem „Report der Magd“ (Original: „The handmaid’s tale“) ein. Zur Erinnerung: In „Der Report der Magd“ schuf Margret Atwood den fiktiven Staat Gilead. Er liegt auf dem Gebiet der ehemaligen USA, religiöse Extremisten haben dort das Sagen. Gendern spielt hier keine Rolle, denn an der Macht sind ausschließlich Männer. Frauen haben entweder Kinder zu gebären oder als Dienstmädchen im Haushalt zu arbeiten.
Am Ende von „Der Report der Magd“ steigt die Protagonistin Desfred in ein Auto. Wohin sie fährt, bleibt unklar. In „Die Zeuginnen“ spielt Desfred zunächst keine Rolle. Im Mittelpunkt stehen die drei weiblichen Stimmen:
- Tante Lydia: Sie ist eine ehemalige Anwältin, die im totalitären Gilead als Sittenwächterin eine sehr hohe Stellung als Frau einnimmt und Einblicke in das Innenleben des Systems gibt. Sie taucht als einzige bereits im „Der Report der Magd“ auf. Durch sie wird in Rückblenden auch deutlich, wie grausam die Extremisten bei ihrer Eroberung mit den Frauen umgegangen sind.
- Agnes Jemima: Sie wächst als junges Mädchen in Gilead in einer hochrangigen Familie auf. Relativ schnell wird ihr klar, dass ihre Mutter nicht ihre leibliche Mutter ist. Für sie ist das Leben in Gilead normal, sie kennt nichts anderes. Den ihr zugewiesenen Mann will sie aber auf keinen Fall heiraten.
- Daisy: Die Jugendliche lebt zunächst bei Pflegeeltern in Kanada. Diese kommen jedoch gleich zu Beginn bei einem Bombenanschlag ums Leben. Als Personen der Widerstandsbewegung „Mayday” mit Daisy fliehen, wird klar, dass sie eine besondere Rolle spielt.
„Die Zeuginnen“: sehr eingängige Sprache
Die einzelnen Kapitel sind nun aus den verschiedenen Perspektiven der Frauen geschrieben. Entsprechend der Charakteristika der Figuren sind sie sprachlich etwas ausgefeilter (Tante Lydia) oder sehr einfach und zugänglich zum Lesen (Agnes Jemina, Daisy). Gegen Ende wird dann auch klar, was mit Desfred passierte.
Die einzelnen Kapitel sind nun aus den verschiedenen Perspektiven der Frauen geschrieben. Je nach Charakter der Figuren sind sie sprachlich etwas anspruchsvoller (Tante Lydia) oder sehr einfach lesen (Agnes Jemina, Daisy). Gegen Ende wird auch klar, was mit Desfred passiert ist.
„Die Zeuginnen“ ist grundsätzlich ein sehr unterhaltsames Buch. Es ist keineswegs sperrig oder abstrakt. Da die Autorin bereits in „Der Report der Magd“ das Konzept des totalitären Staates erklärt hat, bleiben nun vor allem Ergänzungen – wie die Schilderungen von Tante Lydia über ihre Rekrutierung ganz am Anfang der Diktatur.
Viel Überraschendes passiert insgesamt aber nicht mehr. Die Geschichte ist zwar rund, ich habe sie gerne gelesen. Aber sie hat mich nicht nachhaltig berührt oder über kreative Einfälle staunen lassen.
Erschreckend ist aber für vor allem in diesen Tagen, dass Margret Atwood in einem Interview erzählte, dass sie für ihren Staat Gilead nichts erfinden musste – sie hat ihn aus verschiedenen real existierenden Systemen nachgebaut.
Fazit zu „Die Zeuginnen“
„Die Zeuginnen“ von Margaret Atwood ist ein sehr gut geschriebenes und spannendes Buch. Ich habe es immer wieder gerne in die Hand genommen und schnell durchgelesen. Die Idee des Staates Gilead finde ich immer noch sehr spannend. „Die Zeuginnen“ hat jedoch nicht mehr die innovative Kraft von „Der Report der Magd“. Diese Messlatte ist aber eben auch schon sehr hoch.
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