Buchkritik: “Cleopatra und Frankenstein” von Coco Mellors

“Cleopatra und Frankenstein”: eine moderne Liebesgeschichte aus dem pulsierenden New York
„Cleopatra und Frankenstein“ ist ein totaler Spontankauf in meiner Lieblingsbuchhandlung. Als ich es zu lesen beginne, kann ich nur erahnen, worum es in dem 500 Seiten starken Buch genau geht. Denn der Klappentext bleibt vage: Zwei Menschen treffen sich in der Silvesternacht in New York, stürzen sich in eine Romanze und können dann kaum noch mithalten. Das ist alles. Mehr wird nicht verraten.
Aber schon nach zwei Seiten weiß ich, dass ich die Geschichte von Cleo und Frank lieben werde, egal wohin die Handlung führt. Die Autorin Coco Mellors schreibt so wunderbar eingängig, unterhaltsam und intelligent, dass ich von Satz zu Satz mitgerissen werde. In jeder freien Sekunde nehme ich das Buch in die Hand und habe es innerhalb weniger Tage ausgelesen.
Das Tolle an dem Roman: Coco Mellors Charaktere sind tiefgründig, ihre Lebensbeobachtungen klug und die Liebesgeschichte absolut zeitgemäß. „Cleopatra und Frankenstein“ vereint die sonnigen und die schattigen Momente – im Leben und in New York. Ich bin deshalb großer Fan dieses Buches.
Worum geht es in „Cleopatra und Frankenstein“?
Es ist 22.30 Uhr am Silvesterabend, als sich Cleo und Frank im Fahrstuhl zum ersten Mal begegnen. Sie will schon nach Hause, er noch schnell Zigaretten holen. Cleo ist Mitte 20, Britin, Künstlerin und ständig pleite. Frank ist Anfang 40, Amerikaner, Inhaber einer Werbeagentur, gut aussehend und wohlhabend. Es funkt sofort zwischen den beiden – vor allem körperlich fühlen sie sich von Anfang an zueinander hingezogen. Frank ist wie geblendet von Cleos Schönheit:
„Wie den meisten Menschen war ihm als Erstes ihr Haar ins Auge gestochen. Es fiel ihr über die Schultern wie ein goldener Vorhang, der sich für den mit Spannung erwarteten ersten Akt öffnete: ihr Gesicht. Und ja, dieses Gesicht war wirklich ein Schauspiel. Er wusste instinktiv, dass er es stundenlang hätte betrachten können. Ihre Augen hatte sie mit breiten schwarzen Schwüngen betont, sechzigerjahremässig, und jeden Lidstrich am Ende mit einem goldenen Sternchen gekrönt. (…) Alles an ihr bewusst in Szene gesetzt. Frank war sein Leben lang von schönen Menschen umgeben gewesen, aber er hatte noch nie jemanden getroffen, der so aussah wie sie.“
Da Cleos Studienvisum ausläuft und sie danach die USA verlassen müsste, heiraten sie nur ein halbes Jahr später – der Höhepunkt ihrer Beziehung. Doch schon bald wird klar, dass Cleo viel Ballast mit sich herumschleppt. Nach dem Selbstmord ihrer Mutter hat sie keinen festen emotionalen Halt. Frank trinkt zu viel Alkohol, da auch er unruhige Geister aus seiner Kindheit mit sich herum. So kann er Cleo nicht die Sicherheit geben, die sie braucht. Die Gräben zwischen den beiden werden immer tiefer.
Coco Mellors erzählt die Geschichte von Cleo und Frank aus unterschiedlichen Perspektiven. Außer den beiden Protagonist*innen lässt sie zu Wort kommen:
- Zoe (Franks Schwester)
- Anders (Franks besten Freund)
- Santiago (gemeinsamer Freund von Cleo und Frank)
- Quentin (Cleos Freund)
- Eleanor (Texterin aus Franks Werbeagentur)
Tolles Porträt von New York
So entsteht ein sehr buntes Bild der Beziehung von Cleo und Frank. Auf diese Weise ist „Cleopatra und Frankenstein“ außerdem viel mehr als nur eine Liebesgeschichte. Der Roman ist ein Porträt der New-Yorker-Kreativszene. Er zeigt Menschen, die nach außen hin schön und erfolgreich sind. Die aber tief in ihrem Inneren mit Unsicherheiten, Ängsten und Depressionen zu kämpfen haben – und ihre Dämonen mit Alkohol und Drogen zu vertreiben versuchen.
Bei all den spannenden Geschichten beschreibt Coco Mellors wunderbar treffend die Atmosphäre von New York – wie hier in einem Kapitel aus der Sicht von Eleanor:
„An der Sixth Avenue steige ich aus und bleibe an der Straßenecke stehen. Im letzten Jahr wurde die Buchhandlung geschlossen und das Burgerlokal in eine Saftbar umgewandelt. Vorm Bioladen sitzt ein Bettpärchen mit Pitbull. Die beiden sind komplett zugedröhnt, haben es aber dennoch für nötig gehalten, auf ihrem Pappschild festzuhalten, dass sie vegan sind.“
Wie endet „Cleopatra und Frankenstein“?
Coco Mellors gelingt es auch, der Handlung eine schlüssige Entwicklung zu geben. Letztlich geht es nämlich nicht um ein kitschiges Ende, an dem in der Beziehung alles scheinbar gut wird. Sondern warum Menschen in toxischen Beziehungen landen und wie wichtig es ist, zuerst die eigenen Baustellen aufzuräumen, um in einer Partnerschaft glücklich zu werden. Frank stellt dazu treffend fest:
„Und wir beide hatten keine solche Kindheit – nicht weil wir sie nicht verdient gehabt hätten, sondern weil wir eine andere zugelost bekommen haben. Aber diejenigen, die so an eine Liebe erlebt haben, sind jetzt als Erwachsene eben anders als wir. Gefestigter. Vielleicht nicht ganz so glamourös oder erfolgreich, wie wir es gerne wären. Aber das heißt nicht, dass sie nicht interessant wären. Sie haben einfach nicht das Gefühl, immer einen Stepptanz hinlegen zu müssen, verstehst du? Sie müssen sich nicht ständig beweisen, um Liebe zu verdienen. Weil sie sie einfach so bekommen haben.“
Fazit: „Cleopatra und Frankenstein“ ist absolut lesenswert
Mein erster Gedanke beim Kaufen von „Cleopatra und Frankenstein“ ist, dass es ein ähnliches Buch sei wie „Book Lovers“ von Emily Henry oder „Die theoretische Unwahrscheinlichkeit der Liebe“ von Ali Hazelwood. Aber nein. Coco Mellors schreibt viel tiefgründiger, nuancierter und kreativer. Das Buch ist eher mit den Werken von Sally Rooney vergleichbar. Wer ein zeitgemäßes, modernes und intelligentes Buch lesen möchte, das auch noch unglaublich gut unterhält, sollte „Cleopatra und Frankenstein“ deshalb unbedingt kaufen.
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