Serienkritik: “Gilmore Girls”
Gilmore Girls: eine Wohltat für die Seele
Ja, es hat tatsächlich 20 Jahre gedauert, bis ich den Hype um die „Gilmore Girls“ verstanden habe. Als die Serie in den 2000er-Jahren herauskam, hat mich die Geschichte um eine alleinerziehende Mutter und ihre Tochter überhaupt nicht interessiert – mein eigenes Leben war so aufregend. Abitur, Studium, Dates. Da brauchte ich keine übertriebenen Dramen auf dem Bildschirm.
Dass ich mir die Serie der Fernsehproduzentin Amy Sherman-Palladino nun trotzdem bis zum Ende angeschaut habe, liegt am katastrophalen Schlafverhalten meines Sohnes. Da er mich seit fast zwei Jahren zwischen drei bis zehn Mal pro Nacht weckt, ist mein Nervenkostüm leicht angeschlagen. Spannende Thriller oder komplizierte Handlungsstränge kann ich vor dem Schlafengehen derzeit nicht ertragen. Das schränkt die Auswahl an Serien allerdings stark ein.
Deshalb schienen mir die „Gilmore Girls“ vor einigen Monaten genau das Richtige für mich zu sein. Skurrile und liebenswerte Charaktere, keine Schreckmomente und einfache Geschichten, die nicht überfordern. So tauchte ich immer tiefer in die Welt der fiktiven Kleinstadt Stars Hollow ein. Plötzlich machte es mir richtig Spaß, Lorelai und Rory bei ihren Irrungen und Wirrungen zu begleiten.
Denn nach ein paar Folgen merkte ich: Die Dialoge sind witzig und voller popkultureller Anspielungen, die Geschichten sind liebevoll gemacht und die Serie ist erstaunlich gut gealtert. Die „Gilmore Girls“ sind also viel mehr als nur irgendeine Mutter-Tochter-Serie. Sie hat ihren Kultstatus zu Recht.
Worum geht es in „Gilmore Girls“?
Die zunächst 32-jährige Lorelai (Laura Graham) und ihre 16-jährige gleichnamige Tochter (Alexis Bledel), die von allen nur Rory genannt wird, stehen im Mittelpunkt. Lorelai kommt aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Ihr Vater Richard (Edward Herrmann) hat in Yale studiert, arbeitet bei einer der größten Versicherungsgesellschaften der USA und ist sehr kultiviert. Ihre Mutter Emily (Kelly Bishop) ist eine strenge Frau, die ihre Angestellten schikaniert, sehr ausfallend ist und schnell schnippisch wird.
Als Lorelai mit 16 Jahren von ihrem damaligen Freund Christopher (David Sutcliffe) schwanger wird, ist das für ihre Eltern eine Katastrophe. Lorelai weigert sich zu heiraten, zieht von zu Hause aus, bricht die Schule ab und schlägt sich mit Rory als alleinerziehende Mutter durch. Doch dann arbeitet sie sich im Hotel „Independence Inn“ hoch und kann sich sogar ein kleines Haus leisten. Zu ihren Eltern hat sie über die Jahre kaum Kontakt.
Jetzt ist Rory selbst 16 Jahre alt und so klug, dass sie auf eine elitäre Privatschule gehen darf: Chilton. Das Problem: Das Schulgeld ist teuer. Rorys Großeltern übernehmen es unter einer Bedingung: Rory und Lorelai müssen jeden Freitagabend zum Essen kommen. Und wieder prallen zwei Welten aufeinander – mit vielen Überraschungen.
Die Figuren entwickeln sich toll über die sechs Staffeln
Diese Abendessen sind eine Konstante über sechs Staffeln hinweg. Ansonsten verändert sich über die Folgen hinweg sehr viel im Leben der zwei Protagonist*innen. Aus der schüchternen und braven Schülerin Rory wird eine Studentin, die auch mal Krisen hat und Luxusyachten kapert.
Auch Lorelai, die vor allem in der ersten Staffel noch unglaublich infantil ist und Bindungsängste hat, schafft es im Laufe der Zeit immer besser, ernsthafte Beziehungen zu führen und das Verhältnis zu ihren Eltern zu verbessern – auch wenn Letzteres alles andere als geradlinig funktioniert. Das liegt vor allem an Emily, die ein sehr egozentrischer Charakter ist. Außerdem kämpft Lorelai für ihren Traum vom eigenen Hotel – den sie sich schließlich erfüllt.
Aber nicht nur die vier Gilmores sind über die sechs Staffeln hinweg dabei. Es gibt noch weitere Charaktere, die die ganze Zeit in Stars Hollows leben oder an der Seite von Lorelai und Rory sind. Dazu gehören:
- Luke (Scott Patterson): Ihm gehört das Dinner, in dem Lorelai und Rory Stammgäste sind. Von Anfang an haben Lorelai und Luke ein ganz besonderes Verhältnis.
- Lane (Keiko Agena): Sie ist Rorys beste Freundin in Stars Hollow. Lane ist koreanischstämmig und hat sehr religiöse Eltern. Sie liebt Musik, lernt heimlich Schlagzeug spielen, versteckt CDs unter ihrem Fussboden und gründet eine Band. Lorelai und Rory sind eine Art Ersatzfamilie für sie.
- Sookie (Melissa McCarthy): Sie ist Lorelais beste Freundin, Arbeitskollegin und begeisterte Köchin.
- Jackson (Jackson Douglas): Er ist der Gemüse- und Obstlieferant von den Hotels, in denen Lorelai und Sookie arbeiten. Ab Staffel 1 ist klar, dass er und Sookie füreinander bestimmt sind.
- Michel (Yanic Truesdale): Er arbeitet am Hotel-Empfang mit Lorelai. Er ist eine kleine Diva, oft unhöflich und sarkastisch.
- Paris (Liza Weil): Sie geht wie Rory auf die Chilton und später aufs gleiche College. Zunächst macht sie Rory in der Schule das Leben schwer, irgendwann werden sie aber Freundinnen – das Konkurrenzverhältnis blitzt aber immer mal wieder auf.
- Kirk (Sean Gunn): Er ist definitiv die witzigste Figur in der Serie. Er hat die verschiedensten Jobs, lebt zunächst noch bei seiner Mutter und soll zwölf Geschwister haben. Irgendwann ist er in einer Beziehung mit Lulu. Er ist ein liebenswerter Chaot, der einem aber gern die Nerven raubt.
- Miss Patty (Liz Torres): Sie führt die Tanzschule in Stars Hollow und soll früher eine erfolgreiche Tänzerin gewesen sein. Klatsch und Tratsch gehören zu ihren Lieblingsbeschäftigungen.
- Taylor Doose (Michael Winters): Er ist der Stadtrat in Stars Hollow, hält Versammlungen ab und ist Besitzer von einem Süßwarenladen neben Lukes Dinner. Außerdem hat er noch einen kleinen Supermarkt, in dem Rorys erster Freund Dean (Jared Padalecki) arbeitet. In Stars Hollows passiert nichts Wichtiges, ohne dass Taylor Bescheid weiß.
- Babette und Morey (Sally Struthers & Ted Rooney): Sie sind Lorelais liebevolle, leicht spleenige Nachbarn. Als ihr Kater Cinnamon stirbt, machen sie eine große Trauerfeier für ihn. Babette ist auch mit Miss Patty befreundet und tratscht gerne mit ihr.
Rory und ihre Beziehungen
So richtig gerne habe ich „Gilmore Girls“ geschaut, als Jess (Milo Ventimiglia) in der zweiten Staffel nach Stars Hollow kommt. Er ist der rebellische Neffe von Luke mit Lederjacke, der gerne mal Ärger macht. Jess hat aber auch eine sehr sensible Seite und liebt Bücher. Diese Leidenschaft verbindet ihn mit Rory. Sie fühlt sich sofort zu ihm hingezogen – ist aber noch mit Dean zusammen, ihrer ersten großen Liebe. Das Chaos ist nun groß.
Für mich ist Jess Rorys interessanteste Datingfigur. Dean ist langweilig, Logan (Matt Czuchry), den Rory später am College kennenlernt, ein schnöseliger Typ. Jesse dagegen hat Ecken und Kanten, kämpft mit dem Leben, ist aber trotzdem feinfühlig, klug und sehr attraktiv. Ich konnte Rory deshalb immer gut verstehen.
Schade ist, dass er nach der dritten Staffel nur noch gelegentlich auftaucht und aus dem geplanten Spin-Off nie etwas geworden ist. Ich hätte Jess gerne öfter gesehen.
Leider nicht so gut: Staffel 6 und das Revival “Gilmore Girls: Ein neues Jahr”)
Enttäuschend ist Rorys Liebesleben am Schluss der finalen sechsten Staffel. Dass sie Single ist, stört mich weniger. Aber dass Logan plötzlich so rigoros ist und eine Fernbeziehung so kategorisch ablehnt, fand ich wenig glaubwürdig.
Auch das 2016 erschienene Revival “Gilmore Girls: Ein neues Jahr” konnte das nicht mehr retten. Die allerletzte Szene repräsentiert zwar die oft vorherrschende Parallelität zwischen Mutter und Tochter (Vorsicht: Spoiler folgt). Rory ist schwanger. Aber für mich bleibt zunächst die Frage, von wem nun eigentlich genau. Fan-Foren geben mir dann die finale Antwort: Es ist Logan.
Generell: Die sechste Staffel und das vierteilige Revival sind weniger gelungen. In der letzten offiziellen Staffel merkt man deutlich, dass Amy Sherman-Palladino nicht mehr dabei ist. Die überstürzte Hochzeit von Lorelai in Paris ist völlig unrealistisch und dass sie erst wenige Sekunden vor dem Abspann mit ihrem eigentlichen Traummann glücklich ist, wird ihrer langen gemeinsamen Geschichte nicht gerecht.
Für das Revival hat Amy Sherman-Palladino zwar wieder das Drehbuch geschrieben, aber ich fand es trotzdem irritierend. Plötzlich ist Rory total schusselig und vergisst ihren Freund Paul. Auch ihre Karriere läuft überhaupt gar nicht. Dass der große Traum, Kriegsreporterin zu werden, nicht in Erfüllung geht, ist ja in Ordnung. Auch dass sie nicht mehr über einen Wahlkampf schreibt, stört mich nicht. Aber dass dann für sie beruflich so viel schief läuft und sie “nur” ihre eigene Geschichte aufschreibt, passt nicht zu der klugen, ehrgeizigen Frau, die sie über viele Staffeln ist.
Besser gelungen ist im Revival der Handlungsstrang mit Lorelai. Sie versöhnt sich mit ihrer Mutter und bekommt endlich ihre verdiente Hochzeit. Wobei es schon ein bisschen gruselig ist, wenn man von Staffel sechs auf das Revival umschaltet und plötzlich Lorelais unnatürliches Gesicht vorfindet – dank Botox und wahrscheinlich anderen Eingriffen gleicht ihr Gesicht einer Maske. Schade.
Auch die Geschichte von Lane ist am Ende sehr flach. Sie wird mit Anfang 20 schwanger, bleibt in Stars Hollow und kümmert sich hauptsächlich um die Kinder. Mmmhhh. Ist das wirklich das verdiente Ende einer Musikliebhaberin, die sich gegen ihre gläubige Mutter aufgelehnt hat? Ich finde, da wäre mehr drin gewesen.
Die „Gilmore Girls“ sind meine Wohlfühloase
Aber das ist Kritik auf hohem Niveau. Denn die ersten fünf Staffeln habe ich unheimlich gerne gesehen und die sechste Staffel ist auch noch okay. Zwar musste ich bei den Outfits wirklich oft den Kopf schütteln – aber gut, wir sind in den 2000er-Jahren und in der Kleinstadt Stars Hollow. Figuren wie Carrie Bradshaw hätten da wie ein Fremdkörper gewirkt. Und wer weiß: Die 2000er-Jahre sind modisch wieder in. Vielleicht dient die Serie bald als Inspiration.
Außerdem ist die Serie für ihre Zeit schon sehr fortschrittlich. Die Frauen sind emanzipiert, klug und träumen nicht von einem Mister Big. Auch das Aussehen der Frauen steht nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es um Bildung, gemeinsame Interessen und Werte.
Auch sind die Rollen vielfältig und absolut stimmig besetzt. Ein weiterer Pluspunkt: Es gibt keine sexistischen Witze, wie sie zum Beispiel noch in „Friends“ vorkommen.
„Gilmore Girls“ ist deshalb zu meinem Notanker geworden. Wenn ich gerade keine interessante Serie finde, schaue ich mir Folgen aus der ersten Staffel an. Das mache ich auch, wenn ich einen schlechten Tag habe und mich nach etwas Vertrautem sehne. Denn nach sechs Staffeln und einem Revival sind Lorelai und Rory für mich wie alte Freundinnen.
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