8. Juli 2025

Buchkritik: „Frau Komachi empfiehlt ein Buch” von Michiko Aoyama

„Frau Komachi empfiehlt ein Buch”, Michiko Aoyama

„Frau Komachi empfiehlt ein Buch”: ein feiner Roman, der zu neuen Gedanken anregt

Bücher mit massentauglichen Lebensweisheiten hatte ich in den vergangenen Jahren einige in der Hand. Darunter waren inspirierende („Dienstags bei Morrie“) und wenig überraschende („Das Café am Rande der Welt“). Als mich dann vor einigen Jahren Krisen durchs Leben schüttelten, lernte ich vor allem japanische Weisheiten zu schätzen – wie „Ikigai“.

Auch das Kintsugi-Prinzip ist mir bis heute nachhaltig im Gedächtnis geblieben: eine Reparaturmethode und gleichzeitig eine Philosophie, die besagt, dass man aus Zerbrochenem neue, einzigartige Schönheit erschaffen kann. Scheitern als Chance sozusagen. Jedes Mal, wenn in meinem Leben etwas nicht nach Plan läuft, muss ich an Kintsugi denken. Das gibt mir Zuversicht und Vertrauen.

Auch im Roman „Frau Komachi empfiehlt ein Buch” gibt es fünf wunderbare Geschichten von Menschen, die in einer Sinnkrise stecken und nicht wissen, wie es weitergeht. Auf äußerst erfrischende und überraschende Art gelingt es Autorin Michiko Aoyama, ihren Figuren mithilfe von Sayuri Komachi, einer mächtigen Frauengestalt mit Dutt, die in einer kleinen Bibliothek arbeitet, neue Perspektiven aufzuzeigen. Sie empfiehlt den verlorenen Figuren inspirierende Bücher. Jede Erzählung ist liebevoll gestaltet, sodass es eine große Freude ist, sie zu lesen.

Worum geht es in „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“?

Jede der fünf Geschichten in „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ steht für sich. Durch einige lose Fäden sind sie aber miteinander verbunden. In jedem Kapitel taucht natürlich Sayuri Komachi auf. Wenn sie nicht gerade Menschen berät und wie verrückt in die Tasten ihres Computers haut, filzt sie gerne witzige Gegenstände – wie eine Pfanne oder eine Krabbe.

Als Natsumi, 40 Jahre, ehemalige Zeitschriftenredakteurin, sie zum ersten Mal sieht, beschreibt sie sie so:

„Hinter der Theke saß eine große blasse Frau, deren Alter sich schwer schätzen ließ. Vielleicht war sie um die fünfzig… Ihr weißes, langärmeliges Hemd hatte eine Konfektionsgröße, die man hierzulande schwer in normalen Bekleidungsgeschäften finden konnte. Entweder war es eine Maßanfertigung oder Importware aus Übersee. Mit der elfenbeinfarbenen Schürze und ihrer makellos weißen Haut erinnerte sie mich an Disneys Baymax. Völlig in sich gekehrt, schien sie in eine knifflige Arbeit vertieft zu sein. Neugierig trat ich näher und sah, wie sie mit einer Nadel in eine Wollkugel auf einer Schaumstoffunterlage pikte.“

Sayuri Komachi empfiehlt jeder Figur ein ganz besonderes Buch, das auf den ersten Blick nichts mit deren ursprünglicher Suche in der Bibliothek zu tun hat – beispielsweise eine Kindergeschichte oder ein botanischer Ratgeber. Diese Bücher helfen den Menschen jedoch immer, eine neue Perspektive auf ihr Leben zu erhalten.

Eine Mutter fühlt sich hin- und hergerissen

Besonders gut hat mir die Geschichte von Natsumi gefallen. Die 40-jährige Mutter einer zweijährigen Tochter arbeitet in der Verlagswelt und fühlt sich zwischen Kinderbetreuung und Berufswelt hin- und hergerissen. Ständig hat sie das Gefühl, weder ihrer Tochter noch den Anforderungen im Beruf gerecht zu werden. Obwohl sie sich so sehr bemüht hat, bekommt sie nach der sehr kurzen Elternzeit nicht den leitenden Job, den sie sich erhofft hatte. Um sie als Mutter nicht zu sehr zu belasten, wurde sie von ihrem Chef ins Archiv abgeschoben. Natsumi ist deshalb unglücklich.

Als sie in der Bibliothek für ihre Tochter ein Kinderbuch ausleihen möchte, empfiehlt Sayuri Komachi ihr zusätzlich das Buch „Das Tor zum Mond“. Darin liest sie mehr über die zwei Augen der Seele – das Rationale (Sonne) und das Emotionale (Mond). Ihr wird immer mehr bewusst, dass sich im Leben nicht alles planen lässt und Rückschläge nicht unbedingt ein Scheitern bedeuten, sondern dass sie sich in Bewegung setzen und Veränderungen aktiv herbeiführen kann.

Verschiedene Phasen im Leben

Für ihre Geschichten hat Michiko Aoyama junge und ältere Menschen, Frauen und Männer ausgewählt. Sie alle verkörpern verschiedene Lebensphasen. So ist beispielsweise die 21-jährige Tomoka unzufrieden mit ihrem ersten Job nach der Universität. Außerdem fühlt sie sich ganz allein in Tokio. Masao (65) sucht dagegen nach einer erfüllenden Aufgabe, seit er in Rente gegangen ist. Was soll er mit den vielen freien Stunden tun? Was gibt ihm Sinn?

Das Schöne an „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ ist, dass die Geschichten viel über die japanische Kultur erzählen: den Leistungsdruck in der Arbeitswelt, familiäre Verbindungen und die Zurückhaltung der Menschen. Michiko Aoyama schreibt sehr fein, weise und bildhaft. Bei manchen Worten musste ich schmunzeln. Zum Beispiel bei Pappenstiel und Flegel. Aber das ist vielleicht auch der Übersetzung zuzuschreiben.

Fazit: Wie finde ich „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“?

Es war eine reine Wohltat, „Frau Komachi empfiehlt ein Buch“ zu lesen. Obwohl die Geschichten sehr unaufgeregt sind, sind sie unglaublich spannend. Ich wollte immer unbedingt wissen, welchen kreativen Dreh sich Michiko Aoyama für die jeweilige Hauptfigur hat einfallen lassen. Enttäuscht wurde ich nie. Jede Erzählung ist stimmig, unterhaltsam und regt zum Nachdenken an. Es ist wirklich ein tolles Buch, das ich  jedem empfehlen kann.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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