Buchkritik: „Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead

Rezension von „Die Nickel Boys“: Pulitzer-Preisträger, der wachrüttelt
Der Roman „Die Nickel Boys“ von Colson Whitehead stand schon lange auf meiner Lese-Liste. Ich hatte alle Bücher des amerikanischen Autors darauf gesetzt, nachdem mich sein Werk „Underground Railroad“ so erschüttert hatte. Da ich aber bereits beim Klappentext von „Die Nickel Boys“ ahnte, wie hart auch diese Geschichte sein wird, zog es mich nicht sofort zu ihr. Erst als ich bei der diesjährigen Oscarverleihung sah, dass die Verfilmung des Buches gefeiert wird, besorgte ich mir endlich den Roman.
Das kompakte Buch (mit etwas mehr als 200 Seiten) erfüllte genau meine Erwartungen. Es ist erneut eine Geschichte, die mich aufwühlte, die ich stellenweise kaum ertrug, die aber unglaublich wichtig ist, denn die Nickel Besserungsanstalt für junge Menschen hat es tatsächlich gegeben – 111 Jahre lang in Florida. Ihr Name: Dozier School for Boys in Marianna, Florida.
Colson Whitehead las selbst davon in der Zeitung, erfuhr von unbekannten Gräbern auf dem Gelände und begann danach zu recherchieren. So entstand die erschütternde Geschichte um den Protagonisten Elwood, die im Jahr 2020 auch den Pulitzer-Preis bekommen hat.
Worum geht es in „Die Nickel Boys“?
Der Schrecken der „Nickel Academy“ wird zunächst aus der Sicht von Elwood Curtis erzählt. Bereits auf den ersten Seiten taucht er als Erwachsener auf, der nach der Entdeckung des heimlichen Friedhofs erneut die Anstalt besucht. Danach wird seine eigene Geschichte von Anfang an berichtet. Elwood ist dunkelhäutig und wächst in den 1960er-Jahren im Bundesstaat Florida bei seiner liebevollen Großmutter Harriet auf. Seine Eltern haben sich aus dem Staub gemacht.
Er ist sehr klug, hat einen großen Gerechtigkeitssinn und hört ständig Platten von Martin Luther King. Er engagiert sich bei Demos gegen die Rassentrennung, bleibt dabei aber immer friedlich.
Ein Lehrer unterstützt ihn, da er in der Schule so engagiert ist. Ein College-Platz ist in greifbarer Nähe. Als er mit 16 Jahren als Anhalter in ein Auto steigt, um sich das College anzuschauen, wird ihm das zum Verhängnis. Der Fahrer hat das Auto gestohlen und die Polizei hält die beiden an. Elwood wird festgenommen. Selbst ein Anwalt kann ihm nicht helfen. Ein Ort des Schreckens erwartet ihn: die Nickel-Anstalt für schwer erziehbare Jungs.
Rassismus in der Nickel-Anstalt
Schwarze und weiße Jugendliche sind dort in verschiedenen Gebäuden untergebracht. Die Strafen sind völlig willkürlich und äußerst brutal – und für die Schwarzen Jugendlichen immer noch ein Ticken härter. Es wird gemunkelt, dass die Anstalt ihren Namen auch deshalb hat, weil ein Leben dort nicht mehr wert ist als ein Nickel.
„Das Nickel war eine rassistische Hölle – die Hälfte des Personals schlüpfte am Wochenende sicher in die Kluft des Ku-Klux-Klans –, doch Turner fand, dass das Böse tiefere Ursachen hatte als die Hautfarbe. Spencer war das Böse, Griff war das Böse und alle Eltern, die ihre Kinder hier stranden ließen. Das Böse waren die Leute.
„Die Nickel Boys“: Elwoods Hoffnung schwindet schnell
Elwood hat zu Beginn noch die Hoffnung, dass er schnell wieder rauskommt, wenn er sich an die Regeln hält.
„Ich bin hier gestrandet, aber ich mache das Beste daraus“, sagte sich Elwood, und ich werde versuchen, möglichst kurz hier zu sein. Zu Hause wussten alle, wie ausgeglichen und zuverlässig er war – im Nickel würde man das auch kapieren.“
Jedoch wird ihm schnell klar, dass es dort nicht fair und vorhersehbar zugeht. Sein Gerechtigkeitssinn führt dazu, dass er nachts von den Betreuern abgeholt und auf schlimmste Weise verprügelt wird. Tagelang liegt er danach auf der Krankenstation. Elwood registriert, dass diejenigen, die zu sehr „stören“, spurlos verschwinden. Elwoods Glück im Unglück: Er findet mit Jack Turner einen guten Freund im Nickel. Zusammen stehen sie sich bei.
„Die Nickel Boys“: nichts für schwache Nerven
Colson Whitehead erzählt die Geschichte von Elwood in einer klaren, sehr bildhaften Sprache, die teilweise Jugendslang aufgreift. Das liest sich im Original vermutlich besser als in der deutschen Übersetzung. Einige Sätze sind etwas umständlich formuliert. Dies ist jedoch nur ein kleiner Kritikpunkt an einem wirklich aufrüttelnden und sehr spannenden Buch.
Colson Whiteheads Erzählung ist an manchen Stellen kaum auszuhalten. Einige Absätze habe ich nur quer gelesen, weil ich die Beschreibungen kaum ertragen konnte. Deshalb werde ich mir den Film, egal wie positiv die Kritiken sind, nicht anschauen.
„Die Nickel Boys“: Fiktive Geschichte, aber wahre Basis
Trotzdem ist dieses Buch absolut lesenswert, denn dieser Skandal muss erzählt werden. Colson Whitehead schreibt im Nachwort „Dieser Roman ist fiktiv, alle Charaktere sind erfunden, inspiriert wurde er jedoch durch die Geschichte der Dozier School for Boys in Marianna, Florida“. Es ist ein weiterer schwarzer Fleck in Amerikas Geschichte, dessen Ende nur 60 Jahre zurückliegt.
Ein weiterer großer Pluspunkt ist, dass dem Autor am Ende ein äußerst geschickter Clou gelingt. Ich war wirklich überrascht, welche Wendung die Handlung nahm, aber auch traurig.
Fazit: Wie finde ich das Buch „Die Nickel Boys“?
„Die Nickel Boys” ist definitiv kein Roman für entspannte Stunden. Aber es ist unglaublich gewinnbringende Literatur, die wachrüttelt. Gerade in Zeiten, in denen in den USA durch Donald Trump der Rassismus wieder zunimmt, ist das besonders wichtig. Auch wenn es mir selbst schwerfällt, mich mit so schrecklichen Geschichten auseinanderzusetzen, finde ich es wichtig, sie zu kennen.
Anmerkung: Beim Lesen stellte ich mir folgende Frage: Das „N“-Wort wird immer wieder ausgeschrieben. Ich dachte bislang, dass es komplett tabu ist und auch von Schwarzen Menschen nicht verwendet wird. Wer weiß, warum es in „Nickel Boys” nun plötzlich wieder explizit genannt wird, kann es gerne in die Kommentare schreiben.
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