26. Oktober 2025

Buchkritik: „Das Geschenk“ von Gaea Schoeters

Buchkritik: „Das Geschenk“ von Gaea Schoeters

Rezension von „Das Geschenk“: eine herrliche politische Satire über den Irrsinn unserer Zeit

Es war eine kuriose Meldung im April 2024: Botswanas Präsident Mokgweetsi Masisi schlug vor, 20.000 Elefanten an Deutschland zu verschenken. Er protestierte damit gegen Pläne der EU, die Einfuhr von bestimmten Trophäen zu beschränken – zum Beispiel von Elfenbein. Masisi sagte, dass die Einnahmen aus der Jagd für Botswana wichtig seien. Ein Verbot würde dem Land schaden, die Armut fördern und den Elefantenbestand gefährden. Für ihn seien die EU-Pläne neokoloniale Bevormundung. 

Sein Vorschlag, 20.000 Elefanten zu schicken, war natürlich nur eine Provokation. Die belgische Autorin Gaea Schoeters hat das aber als Vorlage für ihren neuesten Roman „Das Geschenk“ genommen – und die Idee umgesetzt. Über Nacht tauchen in Berlin und Umgebung plötzlich afrikanische Elefanten auf: an der Siegessäule, in der Spree, vor dem Reichstag. Die Stadt steht Kopf. Schafft es Bundeskanzler Hans Christian Winkler, das Problem zu lösen? Es ist schließlich nicht sein einziges: Sein populistischer Widersacher Holger Fuchs macht ihm das Leben vor der Wahl schwer.

Gaea Schoeters ist es nach „Trophäe“ erneut gelungen, einen großartigen Roman zu schreiben. Er ist wie ein wilder Ritt, der sich schnell lesen und tief in das politische Krisenmanagement blicken lässt – und dabei noch richtig witzig ist. Der Roman dreht sich aber auch um ernsthafte Themen wie Postkolonialismus, Klimawandel, Tier- und Umweltfragen, Machtverhältnisse und europäische Verantwortung.

Um was geht es in „Das Geschenk“? 

In den kompakten 130 Seiten von „Das Geschenk“ geht es darum, wie der Bundeskanzler das Elefanten-Problem angeht, welche neuen Herausforderungen dabei auftreten und wie die Gesellschaft reagiert. Insgesamt 435 Tage umfasst die Geschichte. Dabei schafft Gaea Schoeters ein sehr realisitisches Szenario. Beim Lesen dachte ich immer wieder: Ja, tatsächlich, genau so könnte es laufen.

Schnell wird klar: 20.000 Elefanten bringen Mammut-Aufgaben mit sich. Wie eine Biologin erklärt, braucht ein ausgewachsener Elefant am Tag 100 Liter Wasser und 150 bis 200 Kilo Nahrung. Das läuft auf 4000 Tonnen Gras und Gartenabfälle hinaus. Ist damit aber vielleicht eine Gratis-Biomüll-Verwertung möglich? Der Wille der Beteiligten ist noch da, die Situation pragmatisch zu lösen.

Relativ schnell gewöhnen sich auch die Bürger*innen an die neuen Mitbewohner, die sich nach und nach über das ganze Land verteilen.

„Natürlich gab es auch Zwischenfälle. Vor allem in den ersten Tagen hatten sich längst nicht alle an den Sicherheitsabstand gehalten, und Elefanten, die sich in ihrer Distanzzone bedroht fühlte, hattem mehr als einen Selfiesüchtigen mit einem Scheinangriff auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Echte Angriffe waren zum Glück ausgeblieben (abgesehen von der Sache mit dem jungen Elefantenbullen, der von Fußballfans von Hertha BSC zum Maskottchen ernannt worden war und so viel Bier eingeflößt bekommen hatte, dass er danach im Stadio Amok lief – ein Wunder, dass es keine Todesopfer gab).”

„Das Geschenk“: ein Feuerwerk an kreativen Einfällen

Eine gute Idee der Autorin jagt die nächste: Eine große Schwäche haben die Elefanten in Berlin nämlich für das Naturkundemuseum. Sie schauen sich dort gerne die Sonderausstellung über Elefanten an. Als ein Konzert mit zwölf Cellisten und Cellistinnen veranstaltet wird, bei dem Mensch und Tier zusammen das Leid betrauern sollen, das den Loxodonta africana während der Kolonialzeit angetan wurde, eskaliert die Situation. Eine Elefantin greift einen berühmten Cellisten an und kommt nur wenige Meter vor Winkler zu stehen. Er kann gerade noch rechtzeitig gerettet werden – seinem Image tut das gut. 

Hat der Bundeskanzler ein Problem gelöst, taucht das nächste auf. Die Fäkalien der Dickhäuter machen der Müllabfuhr zu schaffen. Sie schreikt. Das Geschrei der Bevölkerung ist groß. Die Politiker*innen im Süden Deutschlands möchten nur wenige Elefanten aufnehmen. Die Partei von Fuchs gewinnt bei jedem Problem an Beliebtheit.

Winkler sucht sich deshalb Hilfe bei seiner Vorgängerin und Mentorin, Erika Lange. Sie entspricht genau dem Typ von Angela Merkel. Sie ist ruhig, abgeklärt und völlig pragmatisch. Im Buch isst sie gerne Lyonerbrötchen zum Frühstück und trinkt Filterkaffe. Sie gibt Winkler den Tipp: 

„Eine andere Person muss für dich die Kastanien aus dem Feuer holen. Wenn es klappt, kannst du den Ruhm einstreichen, wenn es schiefgeht, hast du einen Sündenbock, den du opfern kannst, wenn das Volk Köpfe rollen sehen will. Nicht gerade anständig, aber effizient.“

So kommt eine Ministerin für Elefantenangelegenheiten ins Spiel: Hannelore Hartmann. Sie hat eine bahnbrechende Idee: Aus den Fäkalien soll ein besonders effizienter Dünger entstehen. Dieser Düngermix erobert Europa und bringt viel Geld. Die Freude ist groß. Auch als in Hamm das erste Elefantenbaby, Kika, geboren wird – live übertragen. Die Marketingwelle rollt. 

Kurze Zeit später gibt es dort aber einen dramatischen Autobahnunfall mit der Mutter von Kika. Der Aufschrei ist groß. Dazu kommt, die japanische Pflanze Kudzu wächst plötzlich überall wie Unkraut. 

„Ein smaragdgrünes Blütenmeer erstreckt sich bis zum Horizent, alles, aber auch wirklich alles ist überwuchert. Auf ihrem unaufhaltsamen Vormarsch haben die Kletterpflanzen jedes Objekt verschlucktm das ihnen unterwegs begegnet ist – jedenfalls wirkt es so. Leitplanken, Verkehrrschilder, Strommasten, Wartehäuschen, Scheunen und große Bauernhöfe wurden in pflanzenartige Skulpturen verwandelt, deren Form den einzigen Hinweis darauf gibt, was sich darunter befindet.“

Der Grund: Der Düngehersteller aus Thüringen scheint einen Fehler gemacht zu haben. Da mit seinem Produkt aber auch Landwirte in ganz Europa beliefert wurden, drohen nun immense Schadensersatzsummen für Deutschland.

„Das Geschenk“: Der Bundeskanzler muss sich entscheiden

Als sich die Situation immer weiter zuspitzt, steht Winkler vor der Wahl: Sollen die Elefanten in einen Drittstadt abgeschoben werden? Hannelore Hartmann redet ihm ins Gewissen, zeigt ihm die Vorteile fürs Klima auf, wenn die Elefanten blieben. Dabei legt ihr Gaea Schoeters Worte in den Mund, die auch die reale Situation der deutschen Politik sehr gut treffen. 

„Wir haben so viel Angst vor dem rechten Aufmarsch, dass wir uns nicht mehr trauen, zu regieren, aber das Klima verändert sich schneller als Politik. Um den Herausforderungen von morgen die Stirn bieten zu können, musst du dich trauen, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Nicht einen Stein ins Wasser zu werfen, sondern einen großen. Im Vergleich zu den Klimaproblemen, die auf uns zukommen, ist Fuchs nur eine Kräuselung auf der Oberfläche. (…) Du denkst immer noch in Amtszeiten von vier Jahren, während wir Generationen im Voraus planen müssen. Parteipolitik ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr erlauben können.“

Wie wird sich Winkler entscheiden? Schiebt er die Elefanten trotzdem ab?

Viele Parallelen zur realen Politik

„Das Geschenk“ ist ein blitzgescheiter Roman. Die Parallelen zur deutschen Politik sind einfach so gut. Ich kann mir Markus Söder lebhaft vorstellen, wie er statt Windräder nun die Elefanten ablehnt. Wie Jens Spahn nicht die Geflüchteten, sondern die grauen Tiere nach Ruanda abschieben möchte. Oder wie Tino Chrupalla bei Markus Lanz sitzt und mit seinen dumpfen Floskeln und populisitschen Forderungen Friedrich Merz in den Wahnsinn treibt. 

Wie auch in „Trophäe“ schreibt Gaea Schoters so eingänglich, bildhaft und mitreißend, dass es ein riesiges Vergnügen ist, dieses Buch zu lesen. Da es so kurz ist, hat es keinerlei Längen, sondern ist dicht bepackt. Die Autorin ist übrigens Tochter eines belgischen Politkers.

Fazit: Wie finde ich „Das Geschenk“?

Nachdem mich „Trophäe“ an manchen Stellen sehr an meine Grenzen brachte, konnte ich „Das Geschenk“ mit Leichtigkeit lesen. Es führt einem die Absurditäten, den Aktionsmus und die Klüngeleien des Politikbetriebs vor Augen.

Letztlich macht das Ende wenig Hoffnung. Es zeigt vielmehr, wie verfahren die derzeitige Situation ist und wie wichtig es wäre, dass sich die bürgerlichen Parteien bei bedeutenden Fragen zusammentun – und sich nicht von den Populisten und Populistinnen treiben lassen. „Das Geschenk“ regt dadurch zum Nachdenken an. Es ist zu hoffen, dass sich auch aktive Politker*innen damit beschäftigen. Mehr Mut und Weitsicht sind in diesen Tagen zwei wichtige Eigenschaften.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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