Rezension: „In ihrem Haus“ von Yael van der Wouden

„In ihrem Haus“: ein stiller, eindringlicher Roman über Isolation, queere Liebe und die Nachwirkungen des Holocausts
Wie reagiert man, wenn das eigene Leben zurückgezogen und überschaubar ist und plötzlich Dinge geschehen, die alles ins Wanken bringen? Was passiert, wenn Begegnungen intensiver sind, als man es erwartet, und die Grenzen zwischen Nähe und Distanz verschwimmen?
Mit diesen Fragen muss sich Isabel auseinandersetzen, die Hauptfigur in Yael van der Woudens hochgelobtem Debütroman „In ihrem Haus“. Es ist ein ganz besonderes Buch, denn es behandelt die Nachwirkungen des Holocausts in den 1960er-Jahren und queere Liebe.
Der Roman verbindet diese Themen auf subtile, eindringliche Weise. Obwohl der Text ruhig wirkt, spürte ich beim Lesen stets die Spannung, die sich zwischen den Zeilen aufbaut. Ich wollte unbedingt wissen, wohin die Geschichte führt - und fand es toll, wie Yael van der Wouden am Ende alles zusammenführt. Selbst nach dem Zuschlagen des Buches hallen die Fragen und Gefühle noch lange nach.
Worum geht es in „In ihrem Haus“?
Isabel lebt allein in einem Haus auf dem Land im Osten der Niederlande. Das Haus liegt abgeschieden – still, fast unheimlich idyllisch. Dorthin kam sie gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit ihren Brüdern Hendrik und Louis von Amsterdam. Ihre Mutter folgte kurz darauf. Damals herrschte im Westen des Landes eine große Hungersnot, und ein Onkel vermittelte ihnen das leerstehende Haus – komplett eingerichtet, als wäre die Zeit darin stehen geblieben. Sogar feines Porzellan steht noch in der Vitrine, als sie dort ankommen.
Nun, 1961, ist Isabel 28 Jahre alt. Sie lebt zurückgezogen, fast hermetisch von der Welt abgeschottet. Nur selten kommt Besuch: Eine Haushaltshilfe, die sich um das Nötigste kümmert, und der Nachbar Johan, der ihr immer wieder Avancen macht. Doch Isabel bleibt distanziert, misstrauisch, unnahbar.
Schon in der Schulzeit war sie eine Außenseiterin. Sie konnte sich nie für die Jungs-Schwärmereien ihrer Mitschülerinnen begeistern, hatte selbst kein Interesse an Romanzen. Nur zu ihren Brüdern hält sie engen Kontakt – Hendrik, der überlegt, mit seinem Lebensgefährten nach Frankreich zu ziehen, und Louis, der ständig neue Frauen an seiner Seite hat.
Eines Abends bringt Louis eine neue Freundin mit: Eva. Für Isabel ist sie vom ersten Moment an ein Störfaktor.
„Seine neue Freundin stand betreten daneben, auf den Lippen ein zittriges, verkrampftes Lächeln. Sie trug einen grell blondierten Bob und ein schlecht vernähtes Kleid – um die Taille zu eng, die Säume ungleichmäßig. Ihr Gesicht war sehr rot. Ansonsten war sie das, was Männer eben so hübsch fanden.“
Als Louis kurz darauf für einige Wochen verreisen muss, bittet er Isabel, Eva bei sich aufzunehmen. Gegen ihren Willen stimmt sie zu – und bereut es sofort. Misstrauisch überwacht sie die junge Frau, beobachtet jede Bewegung, jedes Wort, jede Geste. Doch mit der Zeit beginnen die klaren Grenzen zu verschwimmen. Isabels Abwehr bröckelt, und zwischen den beiden Frauen entsteht eine Nähe, die sie selbst nicht begreifen kann – und die alles verändert.
Poetische und präzise Sprache
„In ihrem Haus“ ist kein Roman, den man einfach nebenbei liest. Er entfaltet sich langsam, mit einem fast körperlichen Spannungsgefühl. Yael van der Wouden schreibt mit einer Sprache, die gleichzeitig präzise und poetisch ist. Jedes Detail – ein Rascheln, ein Blick, ein Atemzug – bekommt Bedeutung. Obwohl die Handlung Anfang der 1960er-Jahre spielt, ist die Vergangenheit des Hauses deutlich spürbar. Etwas Unerzähltes liegt in der Luft, etwas, das aus der Zeit des Krieges stammt. Andeutungen, Erinnerungsfetzen und Leerstellen erzeugen eine eindringliche Stille, die den Text prägt.
Zwischen Isabel und Eva entsteht eine Dynamik, die sich kaum greifen lässt: feindselig, zärtlich, beklemmend. Auch hier spielt das Thema Schuld eine Rolle – nicht nur die historische, sondern auch die persönliche. Erst nach und nach begreift Isabel, wer Eva wirklich ist.
Für mich war zwar schnell klar, wem das Haus zuvor gehörte und was Eva damit zu tun, aber das ändert nichts daran, dass ich wissen wollte, was genau passierte.
Fazit: Wie hat mir „In ihrem Haus“ gefallen?
„In ihrem Haus“ ist ein stiller, aber unglaublich intensiver Roman über Isolation, das Leid, das jüdischen Menschen angetan wurde, Begehren und das, was unausgesprochen bleibt. Er zeigt, wie die Vergangenheit in Räumen und Menschen weiterwirkt, auch dann, wenn niemand mehr über sie spricht.
Ich fand es interessant, wie konsequent der Roman in seiner Stimmung bleibt. Es gibt keine Effekthascherei, keine lauten Wendungen – stattdessen ein psychologisches Kammerspiel über Kontrolle, Erinnerung und ein Verlangen, das sich kaum benennen lässt. Auch die Sexszenen sind immer stilvoll und ästhetisch.
Am Ende blieb bei mir dieses eigenartige Gefühl zurück, das nur wirklich gute Bücher hinterlassen: eine stille Beklemmung, die man nicht sofort abschütteln kann. Es ist kein Roman, der tröstet, aber einer, der lange nachwirkt.
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