29. Januar 2022

Buchkritik: “Die verschwindende Hälfte” von Brit Bennett

"Die verschwindende Hälfte" I Brit Bennett

„Die verschwindende Hälfte“: ein großer Roman über Rassismus und Liebe

Es ist der 14. August 1954, als die Schwarzen Zwillinge Stella und Desiree Vignes nach dem Stadtgründer-Fest spurlos aus Mallard verschwinden. 16 Jahre sind sie damals alt. Keiner im kleinen Südstaaten-Städtchen ahnt, wohin sie gegangen sind. Es herrscht große Aufregung. Vor allem für ihre Mutter, eine mittellose Witwe, ist es ein schwerer Schlag.

Das Besondere an Mallard: Es ist keine gewöhnliche Kleinstadt in Louisiana. Die Bewohner*innen werden von Generation zu Generation immer weißer.

„(…) wie eine Tasse Kaffee, die man immer weiter mit Sahne verdünnt. Immer perfektere Negroes. Eine Generation hellhäutiger als die andere.“

Vor allem Stella macht sich diese Eigenschaft zunutze. Sie gibt sich mit ihrem hellbraunen Teint als Weiße aus, heiratet einen reichen Mann und beginnt ein komplett neues Leben – mit all den Privilegien, die für sie als Schwarze Frau völlig unerreichbar gewesen wären. Ein Seitenwechsel, den Autorin Brit Bennett unglaublich spannend, gefühlvoll und mitreißend in „Die verschwindende Hälfte“ beschreibt.

Weiterlesen »
keine Kommentare
18. Januar 2022

Schmöker: “I love Dick” von Chris Kraus

i love dick - chris kraus

“I love Dick”: einfach nur anstrengend

Bereits nach fünf Seiten kam ich ins Zweifeln. Das soll das „wichtigste Buch über Frauen und Männer im 20. Jahrhundert sein“ (The Guardian)? Und „mitreißend schön“ (Der Spiegel)? Ich war irritiert. Denn von der ersten Seite an fehlte mir bei „I love Dick“ jegliches Gefühl. Vielmehr liest sich der Roman von Chris Kraus konstruiert und schwerfällig.

Die Liebe in „I love Dick“ verkommt zur Performance. Jede Handlung der verkopften Protagonistin ist durchdacht. Die Sätze sind absolut nüchtern geschrieben, an keiner einzigen Stelle war ich berührt. Freude beim Lesen? Fehlanzeige. Auf Seite 161 von 292 resignierte ich und gab den literarischen Kampf auf.

Weiterlesen »
keine Kommentare
15. Januar 2022

Schmöker: “Die Interessanten” von Meg Wolitzer

"Die Interessanten" von Meg Wolitzer

„Die Interessanten“: ein kluges und wärmendes Buch für die Seele!

Es ist ein Monat, bevor Robert Nixon von seinem Präsidentenamt zurücktritt, als die Außenseiterin Julie Jacobsen von den „Interessanten“ adoptiert wird – und sich in die humorvolle Jules verwandelt. Die fünf anderen Jugendlichen, mit denen sie an einem lauen Abend beim Sommercamp in einem engen Tipi sitzt, kommen alle aus New York. Jules findet:

„ (…) sie waren wie die Mitglieder eines Königshauses oder französische Filmstars.“

Weiterlesen »
keine Kommentare
31. Dezember 2021

Schmöker: “Crossroads” von Jonathan Franzen

"Crossroads" von Jonathan Franzen

„Crossroads“ von Jonathan Franzen: Familie Hildebrandt steht am Scheideweg

Chicago, 23. Dezember 1971: Anstatt sich auf das Weihnachtsfest mit seiner Frau und den vier Kindern zu freuen, drehen sich die Gedanken von Pfarrer Russ Hildebrandt nur darum, wie er mit der attraktiven Witwe Frances eine Romanze beginnen kann.

Gemeinsam sitzen sie in seinem Kleinwagen und kämpfen sich über die schneebedeckten Straßen Chicagos, um Weihnachtsgeschenke zu einer armen Gemeinde zu bringen. Der 45-Jährige gibt alles, um Frances von sich zu überzeugen. Es wird peinlich.

Russ scheint in sich völlig verloren. In der Ehe mit seiner Frau Marion knirscht es auf vielen Ebenen und auch das Verhältnis mit seinen Kindern ist schwierig. Nun biedert er sich Frances regelrecht an. Die Todsünde „Wollust“ hat den Pfarrer ergriffen.

Aber nicht nur Vater Russ kämpft an diesem Tag vor Heiligabend mit seinem Leben. Auch Mutter Marion und die drei ältesten Kinder Clemens, Becky und Perry haben Probleme.

Autor Jonathan Franzen erzählt in „Crossroads“ nun abwechselnd aus den verschiedenen Perspektiven die Ereignisse am 23. Dezember und darüber hinaus. Das ist unfassbar spannend, tiefgründig und zog mich beim Lesen komplett in die USA der 1970er-Jahre.

Weiterlesen »
2 Kommentare
29. Dezember 2021

Buchkritik: “Über Menschen” von Juli Zeh

"Über Menschen" von Juli Zeh

Raus aus den Filterblasen: „Über Menschen“ von Juli Zeh bricht das Schwarz-Weiß-Denken

Mitten in der Corona-Pandemie hält es Dora bei ihrem Freund in der hippen Wohnung in Berlin-Kreuzberg nicht mehr aus. Sie kauft sich heimlich ein altes Haus in der tiefsten Provinz Brandenburgs, packt ihre Koffer und zieht mit ihrer Hündin raus aufs Land.

Die 36-Jährige möchte nun aber keineswegs Marmelade selbst einkochen oder mit Yogaübungen die Entschleunigung suchen. Vielmehr fühlt sie sich überfordert von der Welt, von all den globalen Entwicklungen, die auf ihr Leben immer größeren Einfluss nehmen. Sie möchte einfach ihre Ruhe.

„Social Distancing. Exponentielles Wachstum. Übersterblichkeit und Spuckschutzscheibe. Dora kommt schon seit Wochen nicht mehr mit. Vielleicht auch schon seit Monaten oder Jahren, aber durch Corona ist das Nicht-mehr-Mitkommen manifest geworden. Die neuen Begriffe umschwirren ihre Kopf wie Fliegen, die sich nicht vertreiben lassen.“

Aber auch auf dem Land wird ihr moralischer Kompass gehörig durcheinander gebracht. Ihr neuer hilfsbereiter Nachbar Gote ist der Dorf-Nazi. Die Begegnung mit ihm stellt ihr Leben nun komplett auf den Kopf, bringt sie in ein riesiges Gefühlschaos, bricht aber auch mit den typischen Klischees und Gut-Böse-Schemata.

Weiterlesen »
1 Kommentar
16. Dezember 2021

Heimat: “Ein Nachmittag im A&S Bücherland”

A&S Bücherland Karlsruhe

Eine Oase in Karlsruhe: das A&S Bücherland 

Als die Regale des Supermarkts in der Rintheimer Straße 19 leer geräumt waren, alle Gläser mit eingelegten Gurken, Nudelpackungen und Chipstüten verschwanden, zogen die Bücher ein. Im Frühjahr 2003 war das.

Die beiden Freunde Klaus Ackermann und Thomas Stieber schleppten damals in großen Kisten 24.000 Exemplare in den 380 Quadratmeter großen Raum in der untersten Etage des Hochhauses. Manche hatten Knicke, andere zierten unterkringelte Sätze, einige waren nahezu unversehrt. „Wir sammelten sie monatelang und lagerten sie in mehreren Kellern und Garagen“, erinnert sich Thomas Stieber, als ich an diesem winterlichen Nachmittag bei ihm im A&S Bücherland in der Karlsruher Oststadt stehe.  

Viele Romane und Sachbücher bekamen die Männer zum Start von Freunden und Bekannten, außerdem stöberten sie auf zahlreichen Flohmärkten, suchten nach Raritäten aus bedrucktem Papier, eingerahmt von einem Einband, der mal härter, mal weicher, mal sauberer, mal schmutziger ist.

A&S Bücherland Karlsruhe
Weiterlesen »
1 Kommentar
2. Dezember 2021

Schmöker: “Altes Land” von Dörte Hansen

"Altes Land" von Dörte Hansen

“Altes Land”: Mehr als ein Frauenroman!

Annes Welt gerät gehörig ins Wanken, als ihr Mann sie betrügt – mit der hübschen Lektorin mit den blutroten Fußnägeln und den langen schwarzen Haaren. Christoph liebt Carola. Die Gewissheit haut Anne um. Die junge Mutter will nur noch weg. Raus aus Hamburg-Ottensen. Sie packt ihre Habseligkeiten zusammen, setzt ihren kleinen Sohn Leon in einen Sprinter und fährt zu ihrer kranteligen Tante Vera, die auf einem heruntergekommenen Hof auf dem “Alten Land” lebt – seit 60 Jahren. Nach dem Zweiten Weltkrieg landete sie als kleines Mädchen in dem ächzenden Haus mit Reetdach – ausgehungert und durchgefroren nach dem langen Marsch aus Ostpreußen.

Weiterlesen »
keine Kommentare
26. November 2021

Buchkritik: “Die Stunden” von Michael Cunningham

Wunderbares Buch: „Die Stunden“ von Michael Cunningham

Es war ausgerechnet ein Netflix-Abend, der mich zu „The Hours“ von Michael Cunningham führte. Ich hatte wahllos nach unkomplizierter Unterhaltung gesucht und war dabei auf „The Hours“ gestoßen. 97 Prozent Übereinstimmung mit meinen Interessen, hatte der Streamingdienst errechnet. Okay. Der Algorithmus muss es ja wissen. Ich klickte auf Play – ohne zu ahnen, was mich erwartete.

Schon nach wenigen Minuten wusste ich: Perfekt, das ist genau meins. Drei Geschichten von drei Frauen, die in verschiedenen Jahrzehnten und an verschiedenen Orten leben, aber alle durch eine Gemeinsamkeit verbunden sind – durch “Mrs. Dalloway” von Virginia Woolf.
Weiterlesen »

keine Kommentare
24. November 2021

Schmöker: “Der Nachtwächter” von Louise Erdrich

"Der Nachtwächter" von Louise Erdrich

„Der Nachtwächter“: Über den Kampf eines Indianer-Stammes um Selbstständigkeit

Bevor gleich irgendjemand aufschreit und mir rassistische Sprache vorwirft: Bis mir „Der Nachtwächter“ von Louise Erdrich in die Hände fiel, hatte ich selbst das Wort Indianer gemieden. Hatte von Ureinwohnern oder Native Americans gesprochen, also die politisch korrekte Bezeichnung gewählt.

Als ich dann vor wenigen Wochen den Roman zu lesen begann, war ich irritiert: In dem Buch, in dem es um die drohende Enteignung von amerikanischen Ureinwohnern in North Dakota geht, wimmelt es nur so vom Ausdruck Indianer.

Ich kam ins Grübeln, klickte mich durchs Netz. Dass der Aufbau-Verlag so unsensibel mit diesem brisanten Thema umgeht, konnte ich mir nicht vorstellen. Vor allem da der Roman mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde. Also begann ich intensiver zu recherchieren. Was ist nun richtig, was falsch? Dann stieß ich auf einer Seite, die rechtliche Zusammenhänge hinsichtlich Diskrimierungen erklärt, auf folgende Erläuterung:

„Es ist vielmehr der Kontext, in dem der Begriff verwendet wird, entscheidend. (…) Der Begriff Indianer wird im allgemeinen Sprachgebrauch nicht bereits als Herabwürdigung einer Person verstanden, sondern wird vielmehr häufig mit positiven Aspekten wie der Naturverbundenheit oder außerordentlicher Tapferkeit verbunden.“

Okay, es war nun Licht im Dunkel.

Weiterlesen »
keine Kommentare
17. November 2021

Karlsruhe: “Ein Abend mit Stefanie Sargnagel”

Stefanie SargnagelLesung von Stefanie Sargnagel im P8

Stefanie Sargnagel ist erwachsen geworden. Ein bisschen zumindest. Statt tagelang verkatert zu sein und sich mit Minimal-Budget durchs Leben zu kämpfen, macht die 32-Jährige nun tatsächlich Sport, geht zur Psychotherapie und trägt an diesem Abend auf der Bühne ganz besondere Ohrringe: zwei Exemplare aus der Schmuckkollektion von Natascha Kampusch.

“60 Euro haben sie gekostet”, erzählt sie. Das sei nun drin bei ihrem Erfolg und dem vielen Geld – also gemessen an ihren Verhältnissen. Von einem Leben mit Alkoholproblemen an der Wiener Kunstakademie hin zur erfolgreichen Autorin: “Das ist doch mal eine Geschichte mit Happy End”, resümiert sie zufrieden.

Selbstironisch, sarkastisch, politisch: Es ist ein riesiges Vergnügen, Stefanie Sargnagel dabei zuzuhören, wie sie im ausverkauften P8 in Karlsruhe unter anderem aus ihrem neuen Buch “Statusmeldungen” vorliest, gesellschaftliche Entwicklungen und sich selbst analysiert sowie von ihren Erfahrungen in einem Callcenter berichtet. Das hat Witz, Treffsicherheit und Intelligenz. Weiterlesen »

keine Kommentare
1 3 4 5 6 7 8 9 15

Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

Newsletter abonnieren
Etwas verloren?
Vergangenes
Facebook
Instagram
Instagram@miriam_steinbach