Fernweh: “Ein Tag in Jerusalem”
Jerusalem – ein Tag voller unglaublicher Eindrücke
Punkt 6 Uhr klingelt der Wecker. Puh. Unser Ausflug nach Jerusalem geht früh los. Um möglichst viel an einem Tag zu sehen, haben wir uns für eine geführte Tour mit dem Anbieter „Viator“ entschieden. Eine der teuersten, aber auch eine der umfangreichsten. Es erwartet uns ein Tag voller Geschichte, Religion und unglaublichen Bildern. Es ist so bewegend, dass der Ausflug auch Monate später noch unglaublich präsent in meinem Kopf ist.
Anekdoten von Yoda
Kurz nach 7 Uhr holt uns ein Minivan in der Nähe unserer Airbnb-Unterkunft in Tel Aviv ab. Es ist Sonntag und noch relativ ruhig in der Stadt, also fahren wir gemütlich von Hotel zu Hotel, holen andere Leute ab, machen noch einen kurzen Zwischenstopp – bevor es dann mit einem großen Reisebus nach Jerusalem geht.
Unser Reiseleiter heißt an diesem Tag Yoda. Ein freundlicher älterer Herr, der während der Fahrt noch einmal die Geschichte Israels zusammenfasst, von den aktuellen politischen Spannungen erzählt und von den Besonderheiten des Landes – zum Beispiel vom Wassermangel im Jordantal oder vom Export der Jaffa-Orangen.
Chaos auf den Straßen
Alles läuft gut, bis wir Jerusalem erreichen, dann geht es auf der Straße drunter und drüber. Hupen, Bremsen, Fluchen, unser Busfahrer gibt alles. Haben wir von Tel Aviv bis in die Hauptstadt 90 Minuten gebraucht, quälen wir uns in der Stadt noch einmal so lange im Schneckentempo Richtung Ölberg. Yoda bleibt entspannt, unterhält mit Anekdoten und weist immer wieder auf die Grenzen hin, die bis zum Sechstagekrieg 1967 durch die Stadt verliefen.
Ultraorthodoxe Juden leben in Me’a Sche’arim
Die Spannungen sind bis heute in der Stadt geblieben. In Jerusalem leben viele ultraorthodoxe Juden und Muslime nebeneinander, aber meist nicht miteinander. Es gibt sogar einen Stadtteil, Me’a Sche’arim, in dem fast ausschließlich ultraorthodoxe Juden leben, die Jiddisch sprechen.
Am Shabbat dürfen dort keine Autos fahren, elektrische Geräte dürfen nur sehr eingeschränkt benutzt werden. Und für Frauen gelten generell sehr strenge Bekleidungsvorschriften, die auch noch einmal auf Schildern in den Straßen zur Mahnung hängen. Insgesamt habe ich in meinem ganzen Leben noch nie so viele Frauen mit Perücken gesehen wie in diesen sechs Tagen in Israel.
Panoramasicht vom Ölberg aus
Auf dem Ölberg angekommen, haben wir einen herrlichen Panoramablick auf den Tempelberg und den Felsendom mit seiner goldenen Kuppel. Der Anblick dieses so umstrittenen Ortes ist unglaublich beeindruckend. Wir bleiben nicht lange, haben nur Zeit für ein paar Fotos, dann geht es mit dem Bus weiter in Richtung Altstadt.
Berg Zion: Dormitio-Kirche, Abendmahlsaal, Davidsgrab
Eine mächtige Stadtmauer umschließt die Altstadt, die auch UNESO-Weltkulturerbe ist. Unterteilt ist sie in fünf verschiedene Bereiche: in ein christliches, muslimisches, armenisches, jüdisches und marokkanisches Viertel. Wir starten mit unserer mehrstündigen Erkundungstour in der Dormitio-Kirche, die sich auf dem Berg Zion befindet, der knapp außerhalb der Stadtmauer liegt. In der römisch-katholischen Kirche soll Maria gestorben sein.
Von dort aus laufen wir weiter zum nahe gelegenen Abendmahlsaal, wo Jesu kurz vor seiner Kreuzigung ein letztes Mal mit den Jüngern speiste. Im gleichen Gebäude befindet sich im unteren Geschoss auch das Davidsgrab – eine der heiligsten Stätten des Judentums.
Cardo
Dann endlich passieren wir die mächtige Stadtmauer und befinden uns mitten im jüdischen Viertel. Unser erster Stopp ist dort der Cardo. Das ist die ehemalige Hauptstraße aus römisch-byzantinischer Zeit, die sich vier Meter unterhalb des Viertels befindet. Auf einem rekonstruierten Abschnitt sieht es dort heute wieder so aus wie vor 1.500 Jahren. Es gibt unter anderem Wandmalereien und zahlreiche Säulen.
Die Klagemauer
Vom Cardo aus bringt uns Yoda dann zu einem ganz besonderen Ort, der Klagemauer. Überall sind dort an diesem Tag Soldaten zu sehen. Der Grund: Am Abend findet eine Zeremonie zum Gedenken der gefallenen Soldaten statt. Es ist eine merkwürdige Situation, junge Männer, die lachend in der Sonne stehen – aber mit Uniformen und schweren Maschinengewehren.
Trotz dieser Kulisse kommt aber keine Unruhe in mir auf, wir müssen nämlich eine strenge Sicherheitskontrolle durchqueren, bevor wir direkt zur Klagemauer dürfen. Dort Waffen durchzuschmuggeln, ist nahezu unmöglich.
Die Klagemauer ist unterteilt: links beten die Männer, rechts die Frauen. Muslime stehen neben Juden, wir mittendrin. Es ist eine bedächtige Stimmung und überall liegen kleine Papierzettelchen auf dem Boden, die aus den Ritzen der Wand gefallen sind.
Yoda hat uns an der Klagemauer 30 Minuten Freizeit gegeben, so setzen wir uns auf weiße Plastikstühle, die wenige Meter von der Klagemauer enfernt aufgereiht sind, und beobachten das Treiben. Ich hätte den ganzen Tag dort verbringen können und einfach nur schauen, wie sich die verschiedensten Menschen dort treffen. Aber es geht dann weiter: zur Via Dolorosa, dem Leidensweg Jesu.
Via Dolorosa
Über 14 Stationen läuft der Leidensweg, größtenteils im muslimischen Viertel der Altstadt Jerusalems. Dort geht es generell unfassbar lebendig zu. Immer wieder kommen mir beim Gehen durch die engen Gassen Erinnerungen an den Basar in Istanbul: kleine Lädchen am Rand, Marktschreier, orientalischer Krimskrams und Süßes.
Die Via Dolorosa abzulaufen und sich vorzustellen, was auf diesem Weg schon alles passierte, hat aber auch etwas sehr Magisches. Unser Ende ist an der 14. Station, der Grabeskirche, wo der Überlieferung nach die Kreuzigung von Jesus stattfand und auch sein Grab war.
Die Grabeskirche
Solch ein Gewusel wie in dieser Kirche im christlichen Viertel der Altstadt habe ich selten erlebt. Unzählige Menschen sind dort überall – in jeder der zahlreichen Ecken und Nischen, die es in der großen, verwinkelten Kirche gibt. Wir haben Glück, nur wenige Wochen vorher wurden umfangreiche Renovierungsarbeiten am Heiligen Grab in der Kirche abgeschlossen – aber der Andrang ist so groß, dass wir nach zehn Minuten wieder den Auszug aus der Kirche beschließen.
Yad Vashem
Unser Ausflug in die Altstadt endet mit dem Besuch der Grabeskirche, es geht zurück zum Bus und weiter zur Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, die ein wenig außerhalb der Stadt liegt. Die Gedenkstätte hat einen riesigen Außenbereich mit Bäumen, Installationen und Steinen, die an die Opfer des Holocausts erinnern.
In einem Raum, der Halle der Erinnerung, brennt im Dunkeln nur eine Flamme, im begehbaren Denkmal für die verstorbenen Kinder werden fünf Kerzen in der Dunkelheit so reflektiert, dass ein ganzer Sternenhimmel entsteht. Im unterirdischen Museum ist außerdem in neun Galerien die Geschichte der Judenverfolgung dokumentiert – mittels Fotos, Videos, Briefen und Kunstwerken. Das ist so eindrucksvoll, dass die zwei Stunden, die wir dort verbringen, überhaupt nicht reichen.
Sehnsuchtsort: Israel
Nochmals in Ruhe nach Yad Vashem zu gehen, ist aber nur ein Grund, warum ich nächstes Frühjahr wieder nach Israel möchte. Trotz all der politischen Konflikte hat mich das Land völlig in seinen Bann gezogen. Es ist paradox, eigentlich mag ich es ruhig und still, Tel Aviv und Jerusalem dagegen waren so laut und hektisch, trotzdem habe ich mich so sehr verliebt, dass ich es kaum erwarten kann, wieder zurückzukehren.
Als wir am Abend wieder in Tel Aviv ankommen, ist die Stadt wie ausgestorben. Kurz vor 20 Uhr ist wegen des Gedenktags für die Soldaten, dem Yom HaZikaron, bereits alles geschlossen – auch die Supermärkte, Kneipen und Restaurants. Die Rollläden sind unten, alles wirkt gespenstisch, vereinsamt, leer. Eine große Melancholie überkommt mich. „So kann ich nicht Abschied nehmen von dieser wunderbaren Stadt, ich muss ganz schnell wiederkommen“, dieser Gedanke ploppt in meinem Kopf auf, bleibt, bis heute.
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