Rezension von “22 Bahnen”: leise Liebesgeschichte, die auch sprachlich verzaubert
An einem verregneten Tag im Freibad sieht Tilda plötzlich Viktor wieder. Jahrelang war er aus der Kleinstadt verschwunden. Nun ist er wieder da. Warum nur?
„Unsere Blicke treffen sich, und wir starren uns an. Ich will eigentlich wegschauen, aber wenn er nicht wegschaut, dann darf ich ihn auch weiter anstarren. Erkennt er mich? Wir waren in derselben Schule, und er weiß bestimmt, dass ich mit seinem Bruder befreundet war. Zumindest hat er mich auf der Beerdigung gesehen. Da ist irgendwas in seinem Gesicht, das mich nicht loslässt. Vielleicht dieses überhebliche, belustigte Funkeln in seinen Augen und das kaum bemerkbare Zucken seines Mundwinkels, das ich nur erahnen kann.“
Viktor ist der große Bruder von Ivan, mit dem Tilda und ihre Freundin Marlene kurz nach dem Abitur einen Sommer lang Zeit verbracht haben. Viktors Auftauchen weckt nicht nur romantische Gefühle in ihr, sondern auch dunkle Erinnerungen.
Tilda ringt außerdem mit einer Entscheidung, die ihr ganzes Leben betrifft. Der Mathematik-Studentin wurde ein Promotionsstudium in Berlin angeboten. Die Aussicht auf ein selbstbestimmtes Leben in der Hauptstadt ist verlockend. Wären da nicht die Probleme mit ihrer Mutter und die Verantwortung für ihre kleine Schwester, die Tilda bisher an das Leben in der Kleinstadt fesseln.
Wie wird Tilda sich entscheiden? Darum geht es in „22 Bahnen“ von Caroline Wahl – ihrem ganz leisen, wunderbar geschriebenen Debütroman. Wochenlang stand er zu Recht auf Platz 1 der Bestsellerlisten. Ich habe das Buch in zwei Tagen verschlungen, so sehr hat mich die Geschichte von Tilda mitgerissen. Es ist eine gefühlvolle, aber ganz und gar unkitschige Liebesgeschichte, verbunden mit einer mutigen Selbstbefreiung.
Weiterlesen »