7. April 2023

Buchkritik: “Mr. Loverman” von Bernardine Evaristo

"Mr. Loverman" von Bernardine Evaristo

“Mr. Loverman” von Bernardine Evaristo: ein humorvoller Roman über Mut und wichtige Lebensentscheidungen

Barry ist ein Gentleman der besonderen Art: Er trägt feine Kleidung, liest Shakespeare und liebt guten Rum. In Londoner Clubs versucht er immer noch, seine Hüften in Hula-Hoop-Manier zu schwingen – obwohl er inzwischen 74 Jahre alt ist. Seine Frau Carmel wartet zu Hause auf ihn und wird wütend, wenn er frühmorgens betrunken wie ein Teenager nach Hause torkelt. Sie ist sich seit Jahrzehnten sicher, dass er sie mit anderen Frauen betrügt.

Carmel ahnt nicht, dass Barry schon zu Schulzeiten sein Herz an einen bestimmten Menschen verloren hat: an seinen besten Freund Morris. Seit sie 14 Jahre alt sind, führen die beiden Herren eine heimliche Liebesbeziehung. Doch das Versteckspiel soll nun im Alter ein Ende haben. Barry will sich von seiner Frau Carmel trennen und zu Morris stehen, aber er hat auch Angst vor diesem großen Schritt. Was wird er tun?

Ohne Moralkeule

Bernardine Evaristo hat mit „Mr. Loverman“ einen bezaubernden Roman geschrieben. Mit viel Humor und einer lebendigen Sprache entführt sie die Lesenden in das pulsierende London der 2010er-Jahre und auf die Karibikinsel Antigua, die ursprüngliche Heimat von Barry, Morris und Carmel. Sie kamen Anfang der 1960er-Jahre mit dem Schiff nach England und bauten sich eine neue Existenz auf.

Die Autorin verbindet so große Themen wie Homosexualität und Rassismus (Intersektionalität) – aber nicht schwerfällig. Sie schwingt keineswegs die Moralkeule, bleibt differenziert und damit herrlich erfrischend im Vergleich zu den oft hart geführten Identitätsdiskussionen in den Medien.

Vor fünfzig Jahren hat’s mich nach Stokey verschlagen, und jetzt bin ich hier verwurzelt
Das. Ist. Mein. Zuhause.
Hat allerdings gedauert, denn als wir ankamen, kannten uns die Anwohner nicht, begriffen uns nicht und hielten vor allem nichts davon, wie wir aussahn. Wir hatten uns zum Auswandern entschlossen, wir warn also auf Fremdes gefasst, aber sie hatten ihr Zuhause. Mit der Weisheit der Rückschau erkenn ich jetzt, dass sie sich schlichtweg nicht mehr auskannten.

Aber ein paar benahmen sich wirklich daneben – und zwar sehr, sehr lang.
Andere waren aber auch wirklich nett, allen voran die Trippies.

Quelle: Mr. Loverman

Selbstbewusste und facettenreiche Figuren

Bernardine Evaristo zeichnet ihre Schwarzen Figuren keineswegs als Opfer, sondern als selbstbewusste und facettenreiche Charaktere. Barry zum Beispiel beschreibt sich selbst so:

Ein echter Saga Boy bin ich noch. Und immer noch da, dem Himmel sei Dank. Immer noch rausgeputzt im schicken Zwirn, mit doch recht männlichem Gebaren. Immer noch eins achtzig und paar Zerquetschte, von Schrumpfen keine Rede. Das alte Je-ne-sais-wasgenau immer noch am Start. Haare habe ich zwar keine mehr auf dem Kopf, dafür aber noch den wohlgestutzten Oberlippenbart im Stil der alten Hollywood-Herzensbrecher. Früher haben mir die Leute gesagt, ich seh aus wie der junge Sidney Poitier. Heute sagen sie, wie ein (etwas) älterer Denzel Washington. Was soll ich da groß widersprechen? Tatsachen sind Tatsachen.

Quelle: Mr. Loverman

Von seinem Geld profitieren vor allem seine geliebte Tochter Maxine, die sich in der Modebranche selbstständig machen will – mit experimentellen Kleidern, deren Knöpfe oder Rüschen aus Bonbons, Zuckerwatte oder Popcorn bestehen sollen. Oder sein Enkel Daniel, ein Teenager, der dank Barrys finanzieller Hilfe eine Privatschule besucht, schnöselige Klamotten trägt und von einer großen Karriere als Politiker träumt.

Verschiedene Schreibstile

Mr. Loverman” ist in 18 Kapitel unterteilt. Ein Großteil davon spielt im Jahr 2010 und konzentriert sich jeweils auf bestimmte Situationen: einen Clubbesuch, ein sonntägliches Mittagessen mit Carmels religiösen Freundinnen oder eine Kneipentour von Barry und Morris mit Maxine und ihren jüngeren queeren Freunden, die eine andere Perspektive auf das homosexuelle Leben haben als die beiden Senioren.

Eingestreut sind auch Rückblenden von Carmel, die 1960 beginnen und sich dann im Zehnjahresrhythmus fortsetzen. Das Besondere daran: Bernandine Evaristo hat diese Kapitel als Selbstgespräche von Carmel verfasst. Wie schon in ihrem Buch „Mädchen, Frau etc.“ kommen sie ganz ohne Punkte am Satzende aus, was eine besondere Dynamik erzeugt und diese Erinnerungen sprachlich vom Rest des Buches abhebt.

Die Selbstgespräche machen deutlich, wie schwer es für einen Menschen ist, in einer Beziehung nicht geliebt zu werden. Da Carmel sehr religiös ist, kommt eine Trennung für sie nicht infrage. Sie fügt sich, lebt dadurch aber fast 50 Jahre wie ein Vogel im Käfig und wird immer unzufriedener. Ist es vielleicht auch für sie eine Chance, wenn Barry endlich mit der Wahrheit herausrückt?

Bücher von Bernadine Evaristo sind eine große Freude

„Mr. Loverman“ schildert die unterschiedlichsten Herausforderungen, die das Leben mit sich bringt – dank der humorvollen und authentischen Sprache mit einer großer Leichtigkeit. Es ist außerdem ein sehr kluger und präziser Roman, der mit vielen popkulturellen Anspielungen unterhält.

Bücher von Bernadine Evaristo zu lesen macht mir deshalb nicht nur unglaublich viel Spaß, sondern bietet mir auch immer wieder neue Perspektiven auf die Welt. Ich bin also gespannt, was als nächstes von ihr kommt.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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