9. April 2024

Buchkritik: „Ich, Eleanor Oliphant“ von Gail Honeyman

Buchkritik: „Ich, Eleanor Oliphant“ von Gail Honeyman

„Ich, Eleanor Oliphant“: Bridget Jones reloaded mit Reese Witherspoon

Dass im Leben von Eleanor Oliphant etwas nicht stimmt, wird mir bereits nach wenigen Seiten klar, als sie von ihren kuriosen Wochenend-Routinen erzählt.

„Freitags nehme ich nach der Arbeit nicht sofort den Bus, sondern gehe in den Supermarkt gleich um die Ecke von der Agentur, kaufe mir eine Pizza Margherita, einen Chianti und zwei Flaschen Wodka. Zu Hause esse ich dann die Pizza und trinke den Wein, danach noch ein bisschen Wodka (…) Meistens wache ich dann so gegen drei Uhr morgens auf dem Sofa auf und schleppe mich ins Bett. Den Rest des Wodkas trinke ich regelmäßig über das Wochenende verteilt, sodass ich nie ganz nüchtern, aber auch nicht betrunken bin. Bis Montag ist es lange hin.“

Quelle: „Ich, Eleanor Oliphant“

Königin der Einsamkeit

Verwirrt bin ich vor allem deshalb, weil Eleanor keine flippige Partyqueen ist, die mit 29 Jahren gerne Feiern geht und über die Stränge schlägt. Nein, die Buchhalterin ist vielmehr die Königin der Einsamkeit.

Dank vieler schräger Marotten hat sie keine Freund*innen und ihre Kolleg*innen machen sich gerne über sie lustig. Auch in Sachen Familie sieht es düster aus. Zu ihrer Mommy hat sie ein sehr gestörtes Verhältnis, zu ihrem Erzeuger keinen Kontakt. Wie sich herausstellt, ist Eleanor das Ergebnis einer Vergewaltigung.

Doch zu Beginn der Geschichte ist sie trotz all dieser Widrigkeiten bester Laune, denn Eleanor ist frisch verliebt – in einen Sänger, den sie auf der Bühne gesehen hat. Sie ist sich sicher: Das ist der Richtige! Dass diese Schwärmerei nur in einer Katastrophe enden kann, liegt auf der Hand.

Ein verdrängtes Traum blockiert Eleanor

„Ich, Eleanor Oliphant“ von Gail Honeyman ist ein wunderbares Buch. Ohne Mühe bin ich sofort in das Leben von Eleanor eingetaucht. Gail Honeyman lässt ihre Protagonistin selbst erzählen. Dadurch bekommen Lesende einen direkten Zugang zu ihren oft lebensfremden und gleichzeitig sehr sarkastischen Gedanken. Das ist oft herrlich komisch, manchmal aber auch sehr traurig.

Schnell wird klar, dass Eleanor unter einem verdrängten Trauma leidet, das sie blockiert und ihr die Freiheit nimmt, ein buntes und aufregendes Leben zu führen. Nach und nach entblättert sich, dass Eleanor als Kind etwas zugestoßen ist – und dass ihre Mutter daran beteiligt war. Denn Eleanor war bei Pflegeeltern und bekommt auch als Erwachsene noch Besuch von einer Sozialarbeiterin, die nach dem Rechten sieht.

Toxisches Mutter-Tochter-Verhältnis

Eleanor telefoniert einmal pro Woche mit ihrer Mutter. Wo sich diese genau aufhält, ist lange Zeit unklar. Vieles deutet zunächst auf ein Gefängnis oder eine geschlossene Psychiatrie hin. Es sind furchtbare Gespräche. Statt liebevoller Worte hat ihre Mutter nur Beschimpfungen für Eleanor übrig. Doch Eleanor hört brav zu und verinnerlicht, dass sie nichts wert ist und kein schönes Leben verdient hat.

Erst als sie durch ein Computerproblem bei der Arbeit mit Raymond in Kontakt kommt und sich langsam eine Freundschaft zwischen den beiden entwickelt, erkennt Eleanor, dass das Leben mehr sein kann als einsame Wochenenden mit Wodka.

Naive, aber kluge Perspektive

Obwohl Eleanor viele schräge Eigenschaften hat und manchmal sehr streng oder schroff mit ihren Mitmenschen umgeht, habe ich sie schnell ins Herz geschlossen. Ihre naive, aber sehr kluge Weltsicht eröffnet neue Lebensperspektiven.

Allein die Kaufhausszene mit Bobbi Brown, die Pizzabestellung beim Lieferservice oder ihre Schwärmerei für den Sänger sind herrlich komisch. Auch wenn klar ist, dass letztere kein Happy End haben wird.

Eine sehr berührende Geschichte

Gail Honeyman hat mit „Ich, Eleanor Oliphant“ ein berührendes und sehr eingängiges Buch über die Selbstbefreiung einer Frau, die Kraft der Therapie und die Bedeutung von Freundschaft geschrieben. Ganz ohne Kitsch, vielmehr mit Humor und sogar ein wenig Spannung. Ständig wollte ich wissen, wie es weitergeht und den Roman gar nicht mehr aus der Hand legen, so gerne war ich an Eleanors Seite – ich hätte locker noch 200 Seiten mehr gelesen.

„Ich, Eleanor Oliphant“ wird von Reese Witherspoon verfilmt

Eleanor ist für mich definitiv eine der liebsten Romanfiguren, die ich bisher kennengelernt habe! Auch wenn sie ein ganz anderes Schicksal als Bridget Jones hat, musste ich beim Lesen an sie denken.

Ihre manchmal so unbeholfene, aber so ehrliche und liebenswerte Art ist einfach umwerfend. Ich recherchierte im Netz, ob es eine Verfilmung geben wird – und tatsächlich: Reese Witherspoon hat sich die Rechte gesichert und wird Eleanor auch spielen. It’s a match!

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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