31. Dezember 2020

Schmöker: “Underground Railroad” von Colson Whitehead

Underground Railroad von Colson Whitehead

Ein Blick in das finstere Amerika: „Underground Railroad“

Erbarmungslos, grausam und an vielen Stellen kaum zum Aushalten: „Underground Railroad“ hat mich emotional fertiggemacht. Manche Absätze musste ich überspringen, weil die Beschreibungen über das Leben von Sklaven auf einer Baumwollplantage in Georgia so furchtbar waren, dass es mir den Magen zusammenzog, mich erschaudern ließ.

Die Erzählungen von Autor Colson Whitehead trafen mich deshalb so sehr, weil sie zwar fiktiv sind, gleichwohl die wahren Begebenheiten in den USA im 19. Jahrhundert widerspiegeln. Genau aus diesem Grund ist das Buch auch so wichtig: Es führt zurück zu den Rassismus-Wurzeln in den Südstaaten und ermöglicht dadurch ein besseres Verständnis der heutigen Konflikte.

„Wie bei allem im Süden fing es mit der Baumwolle an. Die erbarmungslose Baumwollmaschine verlangte ihren Treibstoff, afrikanische Leiber. Schiffe fuhren kreuz und quer über den Ozean und schafften Leiber herbei, damit sie das Land bearbeiteten und weitere Leiber erzeugten.“

Colson Whitehead bekam den Pulitzer Preis

Die Sklaverei. Ein Thema, das mir in diesem Jahr durch die Bewegung „Black Lives Matter“ wieder mehr ins Bewusstsein rückte. Ich spürte, dass ich noch zu wenig Details darüber weiß und griff deshalb zu „Underground Railroad“. Ein Buch, das den Pulitzer Preis und den National Book Award gewann und ein Jahr lang ununterbrochen auf der New-York-Times-Bestseller-Liste stand.

Im Mittelpunkt von „Underground Railroad“ steht das Sklavenmädchen Cora. Sie arbeitet auf einer Baumwollplantage in Georgia. Das Leben dort ist hart, voller Gewalt und der Tod lauert an jeder Ecke.

„Der Ort hatte sie zugrunde gerichtet. Sie scherzten, sie pflückten schneller, wenn die Augen der Bosse auf sie gerichtet war, und sie spielten sich auf, aber nach Mitternacht in der Hütte weinten sie, sie schrien vor Albträumen und bösen Erinnerungen. In Caesars Hütte, in den Hütten nebenan und in jedem Sklavendorf nah und fern. Wenn die Arbeit und die Strafen des Tages hinter ihnen lagen, wartete die Nacht als Schauplatz ihrer wahren Einsamkeit und Verzweiflung.“

Eines Tages fragt der Sklavenjunge Caesar Cora, ob sie mit ihm fliehen möchte, ein riskanter Plan. Sklavenfänger sind im ganzen Land unterwegs, suchen die Entlaufenen. Werden sie gefunden, ist ihnen ein grausamer Tod sicher – mit einer öffentlichen Folter und Misshandlungen davor, um die anderen Sklaven abzuschrecken

Flucht über die Underground Railroad

Aber Cora und Caesar wagen es. Eines Nachts schleichen sich die beiden jungen Sklaven bei Mondlicht davon. Ihr Ziel: Über die Unterground Railroad wollen sie in Richtung Norden des Landes, wo die Sklaverei verboten ist und sie ein freieres Leben führen können.

Colson Whitehead erzählt die Geschichte von Cora aus mehreren Perspektiven –unter anderem aus Sicht der jungen Frau, eines Sklavenfängers und eines Ehepaars, das Cora in North Carolina Unterschlupf auf dem Dachboden gewährt.

Poetische Schachtelsätze

Die Sprache in „Unterground Railroad“ ist sehr bildhaft und poetisch, teilweise durch Einschübe und Schachtelkonstruktionen aber anstrengend zu lesen. Ein leichtes Darüberfliegen ist kaum möglich. Vielmehr musste ich mein Lese-Tempo drosseln und jeden Satz genau lesen. Dadurch entsteht aber auch eine enorme Intensität, die der Geschichte gerecht wird.

Harte Geschichten über die Sklaverei

„Unterground Railroad“ hat auf sehr unterschiedliche Weise mein Wissen über die Sklaverei erweitert. Den Begriff “Underground Railroad” hatte ich zwar davor schon öfter gehört, nun bekam ich aber zum ersten Mal einen konkreten Einblick in dieses Schleusernetzwerk – in die versteckten Routen und Menschen, die sich unter hohem Risiko dafür einsetzten, dass die Sklaven vom Süden in den Norden der USA gelangten.

Stellenweise erinnert die Geschichte an die Verbrechen im Dritten Reich. Es gab ärztliche Programme zur „Anpassungen an das Fortpflanzungsmuster“, um diejenigen Schwarzen mit melancholischen Neigungen und sexueller Aggressivität auszumerzen. Alle weißen Menschen, die Sklaven halfen, mussten selbst mit dem Tod rechnen. Außerdem fand eine völlige Entmenschlichung der Sklaven statt. Vielmehr setzten die Plantagenbesitzer sie mit Tieren gleich.

„Michael, der fragliche Sklave, hatte tatsächlich die Fähigkeit besessen, lange Passagen auswendig aufzusagen. Laut Connelly, der die Geschichte von einem Niggerhändler gehört hatte, war Michaels früherer Besitzer fasziniert von den Fähigkeiten südafrikanischer Papageien und überlegte, dass man, wenn man einem Vogel Limericks beibringen konnte, vielleicht auch einem Sklaven beibringen könnte, Dinge auswendig zu lernen. Schließlich verriet einem schon ein flüchtiger Blick auf den Schädel, dass ein Nigger ein größeres Hirn besaß als ein Vogel.“

Ministrel Shows: der Ursprung des Blackfacings

Colson Whitehead beschreibt außerdem die sogenannten „Ministrel Shows“. Bei ihnen traten weiße Menschen auf, die ihr Gesicht mit Kork schwärzten. Ihre Intention: sich über schwarze Menschen lustig machen. Es ist der Ursprung des sogenannten „Blackfacings“.

Da ich unbedingt wissen wollte, wie es Cora auf ihrer Flucht ergeht, habe ich „Underground Railroad“ innerhalb nur weniger Tage gelesen. Es war kein Vergnügen, aber dafür sehr lehrreich. Das Buch sollte im Englischunterricht eine Pflichtlektüre sein. Es ist so unglaublich wichtig, die Vergangenheit zu kennen, um die aktuellen Konflikte zu verstehen – und etwas verändern zu können.

.

(Visited 406 time, 1 visit today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

Newsletter abonnieren
Etwas verloren?
Vergangenes
Facebook
Instagram
Instagram@miriam_steinbach