Heimat: Silvia Bächli & Eric Hattan in der Kunsthalle Karlsruhe
Zeichnungen und Videos: Silvia Bächli und Eric Hattan zeigen ihre Arbeiten in der Kunsthalle Karlsruhe
Ihr filigraner Körper ist leicht nach vorne gekippt. Auch der Hocker, auf dessen Kante sie sitzt, ist ins Schwanken geraten. Die junge Frau stützt ihre Hände auf ihre Knie, gibt sich dadurch selbst Halt. Ihr Blick: in sich gekehrt, nach unten gesenkt. Ruht sie sich aus? Denkt sie nach? Ist sie traurig? All diese Assoziationen schießen in meinen Kopf, als ich die Öl-Pastell-Zeichnung aus dem Jahr 1983 von Silvia Bächli in der Kunsthalle Karlsruhe betrachte.
Im Mittelpunkt: der weibliche Körper
Es ist das erste Werk, das anlässlich der Ausstellung “shift” in der 16 Meter langen Tischvitrine im Roten Saal der Kunsthalle Karlsruhe liegt. Ihm folgen weitere Zeichnungen, chronologisch nach ihrem Entstehungsdatum sortiert. Ihr Hauptmotiv: der weibliche Körper. Durch die Aneinanderreihung der Werke erzählt sich auch die Entwicklung der Schweizer Künstlerin.
Zeichnete sie die nachdenkliche Dame noch in ihrer Gesamtheit und detailliert, werden die folgenden Körper reduzierter, zu Fragmenten. Mal sind es nur Augen oder ein Torso oder zwei Beine. Am Ende der Reihe liegt die Skizze eines angedeuteten Frauenkörpers, von den Knien bis zum Hals, betrachtet von der linken Seite – die schwarzen Striche sind flüchtig, Silvia Bächli lässt dem Betrachter dadurch viel Raum für Imagination.
Eric Hattan: Videoarbeiten über Alltägliches und Verlassenes
Noch bis zum 29. September ist „shift“ in der Kunsthalle Karlsruhe zu sehen – gemeinsam mit der Parallel-Ausstellung „Eric Hattan – entlang“. Der Schweizer präsentiert 18 Videoarbeiten mit Wand-Projektionen und Monitor-Präsentationen. Ihr Inhalt: Flüchtiges, Alltägliches, stille Streifzüge durch die Natur und durch verlassene Gebäude, aber auch eine Momentaufnahme vom Geschehen an einem Zebrastreifen in einer Metropole. Wie verhalten sich dort Wartende? Eric Hattan beobachtet mit seiner Kamera, lässt den Dingen ihren Lauf – ergebnisoffen.
Alles entsteht aus dem Moment heraus
Das ist auch eine Besonderheit von Silvia Bächli, die von 1992 bis 2016 an der Kunstakademie Karlsruhe lehrte. Vorbereitungsskizzen? Nicht ihr Ding. Jede ihrer Zeichnungen entsteht im Moment. Sie lässt sich von ihren inneren Empfindungen leiten, eine Anfangsidee kann sich während des Schaffensprozesses komplett verändern, heißt es in der „Klangzeichnung“ zur Ausstellung. Diese multimediale Collage aus Texten, Musik und mit Ausführungen von Silvia Bächli begleitet statt eines Audio-Guides durch „shift“.
Konstantes und Überraschendes
„shift“ bietet unterschiedliche Wahrnehmungserfahrungen: Es gibt Sprünge, Überraschendes, aber auch Konstantes. Bereits die Anordnung der Werke variiert. Silvia Bächli entschied sich im ersten Raum für die Tischvitrine – auch deshalb, weil der Saal denkmalgeschützt ist, keine Wandhängungen möglich sind. Um die Zeichnungen zu betrachten, müssen Betrachter deshalb ihren Blick senken und können der Reihe nach die Entwicklung der Künstlerin verfolgen. Vier Skulpturen sind außerdem am Ende des Raums auf einem Tisch drapiert – ebenfalls genau nebeneinander.
Eine Choreografie mit Zeichnungen
Im dritten Raum dagegen, einem 35 Meter langen Saal, hängen ihre Zeichnungen an der Wand – in unterschiedlichen Größen, auf verschiedenen Höhen. Der Blick des Betrachters springt nun, nach hinten, nach links, nach rechts und wieder zurück. Mit diesen Werken, die in London entstanden, hat Silvia Bächli ihre ganz eigene Partitur geschrieben. Mit dichten Stellen, Pausen, Wiederholungen und Echos. Linien dominieren. Sie wandern vertikal oder horizontal über das Papier. Im vorderen Teil des Raums sind sie vorranigig in Grün und Grau gehalten, weiter hinten verstärkt in hellem Rot und Braun. Trotz ihrer Einfachheit strömen die Werke eine unglaubliche Kraft und Dynamik aus.
Der Rand steht im Fokus
Was immer wieder auffällig ist: Die Schweizerin arbeitet mit dem Rand, viele Zeichnungen berühren ihn, gehen über ihn hinaus oder scheinen in der Peripherie zu beginnen und dann ins Bild zu wandern. Silvia Bächli spielt mit dem Raum, mit der Leere, mit der Vorstellungskraft.
Viele offene Fragen
Auch Eric Hattan lässt den Betrachter mit seinen Videos viel Platz für Imagination. In einer seiner Arbeiten taucht plötzlich neben einem alten Auto-Wrack ein Hund auf. Er möchte über eine vielbefahrene Straße laufen – es ist eine Situation voller Spannung und Dynamik. Woher kommt der Hund, wo will er hin? Warum ist er alleine? Eric Hattan zeigt aber nur einen kurzen Ausschnitt, weitere Antworten gibt er keine.
Die Kraft des Alltäglichen
Eric Hattan zeigt außerdem Alltägliches wie eine Chips-Tüte, die der Wind über den Boden weht. Oder eine Frau, die mit Schwamm und Tuch ein großes Fenster putzt und sich dabei unterhält. Er lässt seine Kamera verlassene Bauwerke inspizieren, gibt Einblicke in eine in die Jahre gekommene Fabrik und präsentiert das Zusammenwirken von Natur und Zivilisation.
In vielen Videoarbeiten von Eric Hattan dominieren ebenfalls Linien. Ein durchgehender Brückenschlitz lässt beispielsweises ein lineares Lichtfeld auf den Boden fallen. Rohre, Gleise und Zebrastreifen dienen als Fluchtpunkte.
„To have a shelf life“
Die geraden Striche verbinden außerdem die gemeinsame Arbeit, die Eric Hattan und Silvia Bächli für die Kunsthalle Karlsruhe Karlsruhe erschaffen haben. Der Titel: „To have a shelf life“. Die Wandinstallation besteht aus Brettern, die in Karlsruhe gesammelt wurden und die Silvia Bächli erst vor Ort in der Kunsthalle mit Linien versah. Das raue und rohe Holz-Material unterhalb der edlen Wandmalereien des Saals – es ist ein ganz besonderer Kontrast.
Verkauf der Regalbretter
Die Regalbretter sind am letzten Ausstellungstag, am 29. September, ab 14 Uhr, auch zu kaufen – ein Exemplar für 100 Euro. Reservierungen sind an der Kasse der Kunsthalle möglich.
Anmerkung: Bei diesem Artikel handelt es sich um eine bezahlte Kooperation mit der Kunsthalle Karlsruhe – ich konnte aber völlig frei schreiben.
Infos zur Kunsthalle:
Adresse: Hans-Thoma-Straße 2-6
76133 Karlsruhe
Öffnungszeiten: 10 bis 18 Uhr, montags geschlossen.
Öffentliche Führungen: sonntags 15 Uhr.
Weitere Infos: kunsthalle-karlsruhe.de
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Der Blog ist komplett ohne Werbung, ich schreibe völlig frei, falls du mich dabei mit einem Kaffee unterstützen möchtest, freu ich mich.
ein Regalbrett würde ich jetzt nicht kaufen, aber danke für den interessanten Beitrag…
lg wolfgang
Liebe Miriam,
hab vielen Dank für den schönen Beitrag und das Teilen deiner Gedanken zu den beiden Ausstellungen!
Herzliche Grüße aus der Kunsthalle
Tabea
hoi Miriam
toller & informativer & ästhetisch ansprechender Blog: Aus Grau wird Kunterbunt
= schön!
Gerne zahle ich den Kaffee,
wenn wir uns treffen
bis dahin mit herzlichen Grüssen
Birgit