“Ein Nachmittag mit Rita Miskevych”
Die ukrainische Künstlerin Rita Miskevych arbeitet in Ettlingen an ihren abstrakten und figurativen Malereien
Als am 24. Februar russische Soldaten in die Ukraine einmarschieren und Bomben vom Himmel fallen, erschüttert das auch die Welt von Künstlerin Rita Miskevych. Die Ukrainerin liest davon in ihrer Wohnung im Süden Deutschlands. „Zuerst verfiel ich in eine Schockstarre, dann begann ich meinen Freund*innen in Charkiw zu schreiben“, erzählt sie mir, als ich sie Ende April in ihrem Atelier in Ettlingen besuche.
“Wie geht es dir?” Wo bist du?” Diese Fragen verschickt Rita per SMS. Nach und nach trudeln die Rückmeldungen aus der Ukraine ein. Ihre ehemaligen Kommiliton*innen beschreiben die beunruhigende Lage vor Ort. Für Rita steht fest: Sie möchte unbedingt von Deutschland aus helfen. „Ich konnte nicht untätig herumsitzen, sondern wollte etwas aktiv tun.“
In ihrem Atelier entdeckt sie Bestandteile ihrer Diplomarbeit an der Kunstakademie in Mainz aus dem Jahr 2016. Zahlreiche Magazinseiten hat sie dafür bearbeitet. Das heißt: den vorhandenen Inhalt der Magazinseiten mit Lösungsmittel eliminiert und die Seiten neugestaltet. Am Ende entsteht daraus eine Installation.
Um nun zu Kriegsbeginn schnell und unkompliziert Geld für ihre Freund*innen in der Ukraine sammeln zu können, nimmt Rita einzelne Arbeiten aus dieser Installation und bietet sie zum Verkauf an. Mit Erfolg.
„Die Hilfsbereitschaft ist hier zum Glück groß“, erzählt mir die Künstlerin. Gleichwohl ist der Kriegszustand nach wie vor kaum auszuhalten. „Es ist eine menschliche Tragödie, es zieht so viel von meiner Kraft“, meint Rita dann leise mit gesenktem Blick. „Es macht mich sprachlos.“
Kunststudium in Charkiw
Rita wächst auf der Krim auf und beginnt nach dem Abitur ein Kunststudium in Charkiw. „Die Lehre dort war sehr akademisch“, erinnert sie sich. Die Technik steht im Fokus. Wie genau male ich ein Porträt, wie ein Stillleben? Wie verhält es sich mit dem Licht? „Wir haben sehr viele Basics gelernt, hatten aber nur wenig Raum, um uns frei zu entwickeln und unseren eigenen Stil zu finden“, beschreibt sie ihre Erfahrungen.
Dazu kommt: Große Meisterwerke kennt sie bis dahin nur aus Büchern. Sie sehnt sich danach, in Museen in Frankreich oder Italien Originale betrachten zu können. Selbst zu sehen, wie die Farbe aufgetragen ist, wie sie wirkt. Deshalb fällt sie nach ihrem Abschluss in Charkiw eine Entscheidung, die ihr Leben grundlegend verändert. Die Künstlerin möchte weiter studieren, aber in Europa.
Freies Arbeiten in Deutschland
Rita zieht nach Mainz. „Ich habe Deutsch bereits in der Schule gelernt, das Sprachdiplom wurde hier anerkannt“, erzählt sie mir. Die Umstellung ist trotzdem sehr groß. In Mainz hat sie im Studium nun große Freiheiten. Sie probiert sich aus. Versucht sich beispielsweise an der Bildhauerei, findet dann aber wieder zur Malerei zurück und bleibt dabei. Nach ihrem Abschluss in Mainz setzt sie noch ein Aufbau-Studium in Freiburg und Karlsruhe dran und beschließt, weiter in Deutschland zu bleiben.
Ritas Arbeiten sind facettenreich – was die Formate, die Farbwahl und die Motive betrifft. Ihnen gemeinsam ist, dass sie reduziert und klar sind. In ihrem Atelier in Ettlingen hängen bei meinem Besuch mehrere kleine Formate mit figurativen Ansätzen, aber auch eine große abstrakte Arbeit, die an das Universum und Leere denken lässt. Eine zweite Arbeit im gleichen Format und mit ähnlicher Ausrichtung soll dazu entstehen.
Inspiration aus Magazinen
„Ich male sehr intuitiv, mache keine Konzeptarbeiten“, beschreibt die Künstlerin. Vielmehr lässt sie sich für ihre figurativen Arbeiten beispielsweise von Fotografien oder Covern von Magazinen inspirieren. In einem Heft entdeckte sie beispielsweise eine junge Frau mit traurigem Blick. Rita hat schemenhaft ihren Gesichtsausdruck für eine Arbeit verwendet, die nun im Atelier hängt.
Auch Kritzeleien, die sie während des Telefonierens häufig mit dem Kugelschreiber macht, dienen ihr als Vorlage für rudimentäre Porträts. Meist dominieren die Augen, während die anderen Elemente nur vage zu erkennen sind.
Auch eine Arbeit, bei der die Oberschenkel einer Frau und ein Gitterboden zu sehen sind, ist in ihrem Atelier zu sehen. „Das weibliche Schönheitsideal interessiert mich sehr“, sagt sie.
Schwarz für sich entdeckt
„Zurzeit lasse ich außerdem gerne die Farbe auf den Bildern fließen“, ergänzt Rita. Als eine Atelier-Nachbarin bei ihr vorbeischaut und solch eine Arbeit sieht, meint sie scherzhaft: „Das Bild weint.” Während Rita das leicht lächelnd erzählt, bleibt ihr Blick traurig. Seit dem Ausbruch des Kriegs habe sie die Farbe Schwarz verstärkt für sich entdeckt, meinte sie dann. „Nowar“ steht auch in ihrem Atelier auf dem Boden – schwarze Buchstaben umgeben von bunten Farbklecksen.
Corona-Pandemie brachte Zukunftspläne durcheinander
Neben ihrem Atelier in Ettlingen hat Rita seit einigen Monaten noch ein zweites am Bodensee. Dort unterrichtet sie Kunst an einer Waldorfschule und pendelt zwischen den Landkreisen Karlsruhe und Konstanz hin und her. „Kaum war ich mit meinem Studium fertig, kam die Corona-Pandemie und es gab fast keine Ausstellungen“, begründet sie ihre Lehrtätigkeit. Sie hofft, dass sich wenigstens das nun wieder normalisiert und sie ihre Malereien in der Öffentlichkeit zeigen kann.
Im Gedanken ist sie derzeit weiterhin häufig bei ihren Freund*innen aus der Ukraine, die in den Westen des Landes, nach Polen oder Montenegro flüchten konnten. „Ich hoffe so sehr, dass der Krieg bald aufhört“, sagt Rita zum Abschluss unseres Gesprächs. Ihr Blick wandert zu einer Mappe, in der sie einzelne Magazinarbeiten aufbewahrt. Auch darauf ist ein Schriftzug zu lesen: “Stop war in Ukraine”.
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