14. Dezember 2023

Buchkritik: “Eine Frage der Chemie” von Bonnie Garmus

"Eine Frage der Chemie" von Bonnie Garmus

“Eine Frage der Chemie”: was für tolle Unterhaltung

„Kurz gesagt, Frauen Männer unterzuordnen und Männer Frauen überzuordnen ist nicht biologisch: Es ist kulturell. Und das alles fängt mit zwei Wörtern an: rosa und blau. Ab da geht alles unaufhaltsam den Bach runter.“

Elizabeth Zott in „Eine Frage der Chemie“

Mit „Eine Frage der Chemie“ feiere ich vor wenigen Wochen eine besondere Premiere: Es ist mein allererstes Hörbuch. Ich lausche der Erzählerin von „Bookbeat“ an heißen Spätsommertagen nachmittags auf dem Bett. Es ist zu diesem Zeitpunkt die einzige Möglichkeit, weiterhin dem Inhalt von Büchern nahe zu kommen.

Der Grund: Mein damals nur wenige Monate alte Sohn schläft sowohl am Tag als auch in der Nacht nur mit Körperkontakt. Ein Buch in die Hand zu nehmen, ist für mich über viele Wochen hinweg unmöglich. Hörbücher sind mein einziger Trost. 

Einblick in die sexistischen 1950er- und 1960er-Jahre

Der Bestseller „Eine Frage der Chemie“ eignet sich für diese Premiere perfekt. Die Autorin Bonnie Garmus hat rund um ihre selbstbewusste und charismatische Protagonistin, die Chemikerin Elizabeth Zott, eine wunderbar unterhaltsame Erzählung geschaffen, die einem Massenpublikum auf sehr nahebare Weise den ausgeprägten Sexismus der 1950er- und 1960er-Jahre näher bringt – von dem leider immer noch mehr als genug in unserer heutigen Gesellschaft vorhanden ist.

Das Besondere an dem Buch: Elizabeth Zott ist keine typische Frau ihrer Zeit. Sie ist eigenwillig, authentisch und sehr rational. Ohne Umschweife sagt sie, was ihr gerade durch den Kopf geht. Diplomatie? Nicht ihre Sache. In schwierigen Familienverhältnissen aufgewachsen, träumt Elizabeth weder von einem Prinzen, der sie heiratet, noch von einem Leben als Hausfrau mit vielen Kindern. Sie will einfach nur Chemikerin werden.

Sexueller Übergriff vom Professor

An der Universität gelingt ihr das zunächst gut. Sie tüftelt erfolgreich im Labor, bis ihr Professor ihr zu nahe kommt, sie körperlich bedrängt und Elizabeth ihn nur mit einem Messer abwehren kann. Ihre Verteidigung, es sei Notwehr gewesen, geht ins Leere. An der Universität glauben alle dem Professor, der sich keiner Schuld bewusst zeigt. Ihre akademische Karriere ist damit beendet, eine Promotion unmöglich.

An einem Forschungsinstitut in Kalifornien, dem Hastings, beginnt sie danach unter ihren Möglichkeiten als einfache Angestellte zu arbeiten und lernt dort 1952 Calvin Evans kennen, einen supererfolgreichen Nobelpreiskandidaten. Sie verlieben sich ineinander und beginnen eine Beziehung, die ganz untypisch für ihre Zeit ist. Calvin erkennt Elizabeths große chemischen Fähigkeiten und akzeptiert ihre feministischen Vorstellungen. 

„Elizabeth Zott war ebenfalls nachtragend. Doch sie war das hauptsächlich in Bezug auf eine patriarchalische Gesellschaft, die auf der Idee fußte, Frauen seien weniger. Weniger fähig. Weniger intelligent. Weniger schöpferisch. Eine Gesellschaft, die es für richtig hielt, dass Männer arbeiten gingen und wichtige Dinge taten – Planeten entdecken, Produkte entwickeln, Gesetze verfassen –, während Frauen zu Hause blieben und Kinder großzogen. Sie wollte keine Kinder – das wusste sie –, aber sie wusste auch, dass viele andere Frauen Kinder haben und berufstätig sein wollten. Und was war daran falsch? Nichts. Es war genau das, was Männer ganz selbstverständlich bekamen.“

Quelle: „Eine Frage der Chemie“

“Essen nach sechs” – eine Fernsehshow für Elizabeth

Einige Jahre später landet Elizabeth Zott durch unvorhersehbare Ereignisse bei einem Fernsehsender und bekommt dort eine eigene Sendung: „Essen um sechs“. Es ist ihr großer Durchbruch. Sie bringt den Zuschauenden nicht nur bei, wie sie leckere Gerichten zubereiten können, sondern auch, wie viel Chemie im Kochen und in den Lebensmitteln steckt. Die Menschen sind begeistert. Doch in Elizabeths Leben läuft selten etwas lange geradlinig. Die nächste Überraschung wartet.

Vielschichtige Charaktere

„Eine Frage der Chemie“ vereint alles, was ein guter Unterhaltungsroman haben sollte: Er ist federleicht zu lesen (hören), trotzdem nicht trivial, wartet immer wieder mit überraschenden Wendungen auf, wird aber trotz einiger ernster Themen nie schwer. 

Was das Buch außerdem so charmant macht: Bonnie Garmus hat in ihrem Bestseller wunderbar vielschichtige Charaktere geschaffen. Neben der für ihre Zeit ungewöhnlichen Frauenfigur Elizabeth gibt es den warmherzigen, ruderbegeisterten Wissenschaftler Calvin, der wie seine Frau eine schwere Kindheit hinter sich hat.

Dazu kommen die hilfsbereite Nachbarin Harriet, die sich im Alter noch einmal emanzipiert, der alleinerziehende Fernsehproduzent Walter, der Elizabeth für “Essen um sechs” engagiert, und nicht zuletzt der Hund “Halbsieben”, der weitaus mehr Fähigkeiten hat, als ein gewöhnliches Haustier. 

Lesen ist besser als hören

Kurzum: „Eine Frage der Chemie“ ist großartig. Ich hatte eine wirklich tolle Zeit damit. Und mein Fazit zu “Bookbeat”: Nach insgesamt drei Hörbüchern („Noch wach“ von Benjamin von Stuckrad-Barre und „Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ von Alena Schröder) bin ich froh, inzwischen wieder Bücher in die Hand nehmen zu können. Selbst zu lesen, ist für mich ein intensiveres Erlebnis als zu hören.

Die Rezension zu „Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid“ von Alena Schröder kommt bald. Bei „Noch wach“ bin ich aber zu oft abgeschweift. Die Abrechnung mit Julian Reichelt und Matthias Döpfner hatte ich in der Realität bereits über die Medien ausführlich verfolgt. Das Buch hatte dann nur noch wenige überraschende Momente.

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One thought on “Buchkritik: “Eine Frage der Chemie” von Bonnie Garmus

  1. Hartmut Hensgen sagt:

    Ein tolles Buch über eine Frau, die alle Widerstände überwindet. Dazu noch eine ganze Palette interessanter Charaktere, die das Buch bereichern. Sehr zu empfehlen!

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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