22. August 2024

Buchkritik: “I love Dick” von Chris Kraus

i love dick - chris kraus

Rezension von “I love Dick”: einfach nur anstrengend

Schon nach fünf Seiten kamen mir Zweifel. Das soll das „wichtigste Buch über Frauen und Männer im 20. Jahrhundert“ (The Guardian) sein? Und „mitreißend schön“ (Der Spiegel)? Ich war irritiert. Denn von der ersten Seite an fehlte mir in „I love Dick“ jede Emotion. Im Gegenteil: Chris Kraus’ Roman liest sich konstruiert und schwerfällig.

Die Liebe in „I love Dick“ verkommt zur Performance. Jede Handlung der verkopften Protagonistin ist durchdacht. Die Sätze sind absolut nüchtern geschrieben, ich war an keiner Stelle berührt. Lesevergnügen? Fehlanzeige. Auf Seite 161 von 292 habe ich resigniert und den literarischen Kampf aufgegeben.

Wer hat bitte mit dem Schwachsinn angefangen?

PoMo-Rhetorik, apokryph und wer bitte ist Vita Sackville-West? Manchmal frage ich mich wirklich, wie viele Kritiker*innen im Feuilleton auf die Idee kommen, Romane in den Himmel zu loben, bei denen ein*e durchschnittlich gebildete*r Leser*in ständig mit Fragezeichen über dem Kopf auf der Couch sitzt. Google ich jetzt oder riskiere ich, wieder etwas nicht verstanden zu haben? Mit diesem Konflikt war ich bei I love Dick” ständig konfrontiert.

Amazon hat eine Serie daraus gemacht

Eigentlich klingt die Grundidee des Buches sehr gut. Chris Kraus, eine amerikanische Künstlerin, verliebt sich bei einem Abendessen in Dick, einen Freund ihres Mannes Sylvère. Völlig überwältigt von ihren Gefühlen beginnt sie, ihm Briefe zu schreiben – zunächst gemeinsam mit Sylvère, später allein. Amazon hat daraus sogar eine Serie gemacht.

Nerviges Namedropping

Fiktion oder nicht? So eindeutig ist das nicht. Chris Kraus hat viel Autobiografisches in den Roman einfließen lassen. Sie schreibt über ihre Kämpfe als Videokünstlerin und ihre Selbstzweifel als Frau. In zahlreichen Briefen und Essays verbindet sie zudem kulturkritische Aspekte mit feministischer Theorie.

Das ist leider an vielen Stellen unglaublich anstrengend für mich, da ich mit diesen Disziplinen nicht weitreichend vertraut bin. Das einzige, was ich daraus schließen kann, ist, dass die Autorin wahrscheinlich sehr klug ist. Leider nützt mir das nichts, wenn sie ständig nur Dinge anreißt, aber nicht in die Tiefe geht, und ich dadurch nichts mitnehmen kann.

Außerdem wuchs bei mir von Seite zu Seite die Abneigung gegen diese neurotische Frau. Sie schreibt einen Brief nach dem anderen – in einem totalen Wahn, der für mich absolut nichts mit Liebe zu tun hat. Immer wieder dachte ich nur: Warum lässt sie sich das gefallen?

Nur für eine kleine Zielgruppe gedacht

„I love Dick“ ist wahrscheinlich nur für eine sehr kleine Zielgruppe geschrieben – für Leute, die entweder Kulturtheorie oder ein ähnliches Fach studiert haben. Oder generell ein großes Interesse an diesen Themen haben und bereits Vorkenntnisse mitbringen. Wer nicht dazu gehört, wird mit dem Werk von Chris Kraus wohl wenig Freude haben. Das ist schade.

(Visited 1.148 time, 1 visit today)

2 thoughts on “Buchkritik: “I love Dick” von Chris Kraus

  1. Nils Czert sagt:

    Habe nur die Serie gesehen, stimme aber vollkommen zu!
    Die Geschichte der gebildeten Großstädterin, die von ihrem viel zu braven Ehemann gelangweilt ist und es kurz vor dem Klimakterium noch mal mit einem Bad Boy versuchen will, ist nun wirklich schon oft, aber eben auch viel mitreißender erzählt worden.
    Tipp: Buch und Film “Ich atme mit dem Herzen” (“A Winter Tan”). Wesentlich ehrlicher, radikaler und feministischer.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

Newsletter abonnieren
Etwas verloren?
Vergangenes
Facebook
Instagram
Instagram@miriam_steinbach