Schmöker: “Unterwegs” von Jack Kerouac
Unterwegs mit Sex, Drugs ’n’ Jazz – ein literarischer Roadtrip
Jack Kerouac hat mich fertig gemacht. In einem berauschenden Tempo sauste ich in “Unterwegs” mit seinem Protagonisten Sal Paradise durch die USA – von Denver nach San Francisco, nach New Orleans oder nach Mexico. Meist per Anhalter, manchmal auch auf Güterzügen oder mit geklauten Autos. Kritzelte immer wieder mit Bleistift die Namen der Personen und Routen ins Buch, um den Überblick zu behalten, machte Knicke in die Seiten mit besonders schönen Sätzen.
Nun halte ich ein Buch in der Hand, das durch diesen Prozess selbst seine Form verändert hat. „Unterwegs“ oder „On the road“ wie es im Original heißt, ist so unendlich voll gepackt mit Poesie und wunderbaren Worten. Es gibt deshalb kaum noch eine Seite in meinem Buch, die in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten blieb.
Ein Manifest der Beat Generation
Sie sind immer unterwegs: Der Roman von Jack Kerouac kam 1957 heraus und gilt als eines der wichtigsten Werke der sogenannten Beat Generation. In ihrem Leben dreht sich alles um Freiheit, Jazz, Drogen, Sex und die Schönheit der Sprache. Auch wenn der Autor mit Sal Paradise einen Protagonisten mit anderem Namen erzählen lässt, hat sein Werk viele autobiographische Züge. So ist beispielsweise Carlo Marx Allen Ginsberg zuzuordnen und Sals engster Buddy Dean weist viele Parallelen zu Neal Cassady auf.
Das Besonderes an „Unterwegs“: Die Geschichte rast tatsächlich. Das liegt zum einen daran, dass Jack Kerouac das Manuskript in einem einzigen Zug an der Schreibmaschine tippte und dieser Entstehungsprozess auch im Roman deutlich spürbar ist – es entsteht ein Gefühl wie in einem Film, der in nur einem einzigen Take gedreht wurde.
Zum anderen sind auch die Sätze voller Dynamik. Jack Kerouac schreibt zwar sehr klar, ohne Schnörkel, verschwendet aber keinen Platz an Banalitäten, jede einzelne Konstruktion hat ihre Bedeutung. Das führt dazu, dass oft innerhalb von wenigen Sätzen unfassbar viel passiert – passte ich nicht richtig auf beim Lesen oder kam einige Tage nicht dazu, musste ich zurück, um den Kontext wieder zu finden. So kamen bereits nach einigen Seiten die Bleistift-Skizzen ins Spiel – sie halfen mir, bei all dem Trubel, der sich auf jeder Seite abspielt, einen Überblick zu behalten.
Wunderbare Wortvielfalt
Was mich beim Lesen immer wieder ins Staunen brachte, ist die wunderbare Wortvielfalt, mit der Jack Kerouac arbeitet. Bei ihm fährt ein Auto nicht nur, sondern saust oder flitzt auch. Außerdem habe ich selten solch wundervolle Beschreibungen von Szenen gelesen wie in „Unterwegs“:
„Tief geduckt wie Groucho Marx kam er mit verblüffend flinken Füßen aus der Kneipe geflogen wie eine Erscheinung, den Ballondaumen hoch in den Nachthimmel gereckt, macht eine schlitternde Vollbremsung auf der Straße und verrenkte den Kopf nach den Straßenschildern. Sie waren im Dunkeln schlecht zu erkennen, und Dean dreht sich ein Dutzend Mal auf der Straße, den Daumen hoch in der Luft, und all dies in atemlosem, beklemmendem Schweigen, ein wild zerzauster Mensch, der seinen Ballondaumen hoch empor hielt wie eine große Himmelsgans und durch die Nacht kreiselte und kreiselte, lässig die andere Hand in die Hosentasche geschoben.“
Oder:
“Das dritte Sax war ein Alt, ein nachdenklicher cooler schwarzer Charlie-Parker-Typ von achtzehn Jahren, frisch von der Highschool, mit wulstigen Lippen, größer als die anderen und sehr ernst bei der Sache. Er hob sein Horn und blies leise und vorsichtig hinein und entlockte ihm federleichte Phrasen und logische Architekturen wie Miles Davis. Das waren die Kinder der großen Bepop-Erneurer.”
Erfüllt und erschöpft am Ende
Durch Sals Touren durch die USA bekam ich außerdem einen Einblick in die Landschaft und das Leben dort nach dem Zweiten Weltkrieg. Er macht in Hollywood Halt, lässt einen Blick zu in die groteske Blingbling-Welt. Ich lernte durch ihn Saisonarbeiter kennen, die sich auf der Suche nach Arbeit kaputt machen. Sal hadert außerdem ständig mit dem Leben, sucht nach Arbeit, Liebe, Sinn. Er sieht sich selbst an einer Stelle als desillusionierter Weißer: „(…) denn ich spürte, dass auch das Beste, was die Welt der Weißen zu bieten hatte, mir nicht genug Ekstase bot, nicht genug Leben, Freude, Spaß, Dunkelheit, Musik, nicht genug Nacht.“
Sal bei seiner Reise zu begleiten, ist atemberaubend und spannend – am Ende dieses Roadtrips war ich erschöpft, von all der Schönheit, aber auch der Fülle an Eindrücken. Ich musste selbst kurz durchatmen nach diesem literarischen Abenteuer. „Unterwegs“ ist ein besonderes Buch.
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