24. Juni 2021

Schmöker: “Americanah” von Chimamanda Ngozi Adichie

"Americanah" von Chimamanda Ngozi Adichie

Kritik von “Americanah”: Ein kluger Roman, der sich mit den wichtigen Themen unserer Zeit befasst!

Es ist der Beton auf ihrer Seele, der Ifemelu dazu bringt, nach 13 Jahren wieder nach Nigeria zurückzukehren. Schicht für Schicht hat sich in den USA die Unzufriedenheit in ihr breitgemacht. Wieder nach Afrika zu fliegen, ist aber keine leichte Entscheidung für die junge Frau. In Princeton hat sie ein begehrtes Stipendium erhalten, mit ihrem Freund Blaine führt sie eine solide Beziehung und ihr Blog über Rassismus wird von Tausenden Menschen gelesen.

Doch Ifemelu hat Sehnsucht. Sie möchte zurück nach Lagos, wo ihre Familie und ihre Jugendliebe Obinze (Zed) leben. Zu Zed hat sie einige Jahre zuvor jäh den Kontakt abgebrochen. Nun ist er ein erfolgreicher Geschäftsmann, mit einer anderen Frau verheiratet und hat eine kleine Tochter. Trotzdem schreibt sie ihm eine Email und kündigt ihre Rückkehr an. Was wird passieren?

Über Rassismus und Identitätsfragen

„Americanah“ lautet der Titel des wunderbaren und modernen Romans von Chimamanda Ngozi Adichie aus dem Jahr 2013. Der Begriff ist auch die Bezeichnung für all diejenigen, die eine Zeit lang in den USA lebten und wieder zurück nach Nigeria kommen. Chimamanda Ngozi Adichie gelingt es, eine gefühlvolle Liebesgeschichte mit weisen Fakten rund um die Themen Identität und Rassismus zu kombinieren. Das Buch zu lesen, hat deshalb nicht nur mein Herz berührt, sondern auch mein Wissen erweitert.

„In Amerika existiert eine Leiter der rassischen Hierarchie. Weiß ist immer ganz oben, insbesondere weiße angelsächsische Protestanten, auch WASP genannt, und amerikanische Schwarze sind immer ganz unten, was sich dazwischen befindet, ist immer abhängig von Ort und Zeit. (…) In Amerikas Rassenleiter ist jüdisch zwar weiß, aber einige Stufen unterhalb von weiß.“

Über zwei Jahrzehnte und drei Kontinente

Die Geschichte in „Americanah“ umfasst eine Zeitspanne von etwa 20 Jahren. Chimamanda Ngozi Adichie erzählt sie aber nicht chronologisch, sondern springt in den Zeiten und Perspektiven. Dadurch entstehen eine angenehme Dynamik und ein facettenreiches Bild – von drei Kontinenten: Afrika, Amerika und Europa.

Denn während Ifemelu als Studentin die ständigen Stromausfälle, Streiks und Korruptionen in Nigeria leid ist und die Möglichkeit erhält, in der USA eine Universität zu besuchen, ergeht es Zed einige Jahre später anders. Nach dem 11. September 2001 haben es schwarze Menschen aus Afrika deutlich schwerer, ein Visum für die USA zu erhalten.

Zed scheitert mehrmals mit seinem Antrag. Er landet schließlich als illegaler Einwanderer in Großbritannien. Plötzlich befindet er sich auf der gesellschaftlichen Stufe ganz unten – muss mit falscher Identität auf dem Bau arbeiten und sieht sich jeglicher Würde beraubt. Bei einem Abendessen mit wohlhabenden Bekannten aus London wird ihm klar:

“(…) sie würden das Bedürfnis, der bedrückenden Lethargie und Chancenlosigkeit zu entkommen, nie begreifen. Sie verstanden nicht, warum Menschen wie er, die gut genährt und ohne Durst, aber eingemauert in Unzufriedenheit aufgewachsen waren, die von Geburt an dazu konditioniert waren, auf andere Orte zu blicken, und felsenfest davon überzeugt waren, dass das wahre Leben an diesen Orten stattfand, dass diese Menschen jetzt entschlossen waren, gefährliche Dinge zu tun, illegale Dinge, um zu entkommen.“

Blogbeiträge über Rassismus

Das Besondere an „Americanah“ ist, dass Chimamanda Ngozi Adichie in die Erzählstruktur die Blogbeiträge von Ifemelu einbettet. Ihr fiktives Online-Projekt heißt: „Raceteenth oder Ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht amerikanischen Schwarzen“. Auf ihrem Blog erzählt sie von ihren Rassismus-Erfahrungen und Beobachtungen, die sie im Alltag macht.

Denn zum ersten Mal in ihrem Leben wird sie in den USA mit ihrer Hautfarbe konfrontiert. War es in Nigeria für sie selbstverständlich, schwarz zu sein, erfährt sie nun plötzlich Rassismus – auf unterschiedlichen Ebenen: bei der Jobsuche, an der Universität und von der reichen, weißen Mutter ihres Freundes. Sie hält fest:

„Ich komme aus einem Land, in dem Rasse kein Thema war. Ich habe mich selbst nicht als Schwarze gesehen, ich wurde erst schwarz, als ich nach Amerika kam. Wenn man sich in Amerika als Schwarze in einen Weißen verliebt, spielt Rasse keine Rolle, wenn man allein ist, du und deine Liebe. Doch sobald du rausgehst, spielt Rasse eine Rolle. Aber wir reden nicht darüber.“

Wie funktioniert ein gutes Zusammenleben?

Auch wenn die gesellschaftliche Struktur in den USA und Deutschland nur bedingt miteinander vergleichbar ist: „Americanah“ behandelt all die gesellschaftspolitischen Fragen, die nun auch zeitverzögert in Deutschland diskutiert werden. Wie funktioniert ein gutes Zusammenleben in einer bunten Gesellschaft? Wie viel Assimilation ist notwendig? Wann beginnt Rassismus?

Chimamanda Ngozi Adichie hilft durch ihre Geschichte auch Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft wie mir, mit all den Unsicherheiten umzugehen, die es derzeit gibt. Was können weiße Menschen tun?

„Ich bin nicht sicher. Zuhören vielleicht. Hören, was gesagt wird. Und daran denken, dass es nicht um euch geht geht. Schwarze Amerikaner sagen nicht, dass ihr schuld seid. Sie erzählen euch nur, wie es ist. Wenn ihr es nicht versteht, stellt Fragen. Wenn es euch unangenehm ist, Fragen zu stellen, dann sagt, dass es euch unangenehm ist, Fragen zu stellen, und fragt trotzdem. Man merkt leicht, wenn eine Frage aus guten Gründen gestellt wird. Und dann hört wieder zu. Manchmal wollen die Leute einfach nur gehört werden. Auf die Möglichkeiten zu Freundschaften, Beziehungen und Verständnis.“

Ein Buch, das ich jedem nur empfehlen kann!

„Americanah“ enthält alle Elemente, die gute Literatur für mich benötigt: Eine angenehme Sprache, die bunte Bilder in meinen Kopf zaubert. Eine Geschichte, die einen unvorhersehbaren Spannungsbogen enthält und mich immer weiter mitzieht. Außerdem sind die Figuren vielschichtig, nicht perfekt, sondern machen auch mal Fehler und müssen sich durch das Leben kämpfen.

Durch den Roman erfuhr ich darüber hinaus so viel Neues und Interessantes über Nigeria. Wie funktioniert dort das Zusammenleben? Welche Träume haben junge Menschen und wie unterscheidet sich die Arbeitswelt von unserer?

Mir hat das Buch so gut gefallen, dass ich am Ende am liebsten wieder von vorne begonnen hätte – wäre nicht der Stapel an ungelesenen Romanen so groß in meinem Regal. Es ist aber definitiv nicht das letzte Buch von Chimamanda Ngozi Adichie, das ich gelesen habe. „Blauer Hibiskus“ steht bereits auf meiner Liste.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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