Heimat: “Ein Besuch bei ,Inschrift Heimat'”
“Inschrift Heimat”: ein Projekt des Volkstheaters Karlsruhe
Es piepst, summt und klingelt auf die verschiedensten Arten. Hoch, tief, mehrmals hintereinander. Dann ist die Stimme eines jungen Manns zu hören. Er beginnt zu erzählen, von whatsapp und Instagram, den Apps, mit denen er sein Leben organisiert. Für die er viel Zeit aufwendet, die zu seinem Leben dazu gehören, die Verknüpfungspunkt zu seinen Freunden sind. „Nur Facebook ist bei uns inzwischen out“, sagt er. „Da sind auch meine Eltern angemeldet.“
Die Stimme des jungen Herrn tönt aus einer kleinen schwarzen Box, die in einer Unterführung auf dem Schlachthofgelände hängt. Insgesamt neun solcher Lautsprecher mit MP3-Player sind dort verteilt. Aus jeder einzelnen Box strömen an diesem Abend Geschichten und Klänge, die sich auf ganz unterschiedliche Art mit dem Thema „Heimat“ beschäftigen.
Diese Sound-Präsentation ist Teil der dritten Episode des Projekts „Inschrift Heimat“, das vom Volkstheater, der jüngsten Sparte des Badischen Staatstheaters, ins Leben gerufen und derzeit realisiert wird. Die beiden Sound-Künstler Felicitas Wetzel und Friedrich Greiling sorgten für die Umsetzung.
Fünf Episoden und ein großes Finale
Die konkrete Idee hinter „Inschrift Heimat“: Von Oktober 2016 bis Mai 2017 sammelt ein Projekt-Team an insgesamt fünf verschiedenen Orten in Karlsruhe von Bürgern Geschichten zum Thema „Heimat“ – jeweils zwei Wochen lang in einer Forschungsstation mit Bauwagen. So entstehen fünf Episoden, deren Ergebnisse am 24. Juni und 13. Juli 2017 bei einer großen Inszenierung am Staatsthater präsentiert werden. Die künstlerische Leitung für „Inschrift Heimat“ hat Beata Anna Schmutz, sie ist die Spatenleiterin des Volkstheaters.
Im Wandel der Zeit
„Wir möchten mit den Karlsruhern den Heimat-Begriff auf ganz unterschiedliche Art erforschen“, erzählt mir Johanna Benrath, die zur Projektgruppe gehört. Ist Heimat ein Ort, ein Gefühl oder ein Gegenstand? „Heimat ist ein sehr offener und spannender Begriff, der sich mit der Zeit und den Veränderungen in der Gesellschaft stetig wandelt und verschiedene Zuschreibungen erhält“, erläutert Johanna. Gerade in Zeiten, in denen Berufstätige ständig flexibel sein sollen, schnell mal den Wohnort wechseln, Sharing-Konzepte boomen und es viele Flüchtlinge gibt, ist es interessant zu erfahren: Was genau ist für die Karlsruher Heimat?
Ein imposantes Labor
Um die Menschen in der Fächerstadt auf ihr Projekt aufmerksam zu machen und zum Erzählen einzuladen, hat Beata Anna Schmutz mit den Szenografen Susanne Hiller und Nicolas Rauch eine eindrucksvolle Forschungsstation entwickelt, die sich aus zwei entkernten Wohnwägen zusammensetzt. Sie sind mit Holz- und Stahlkonstruktionen verkleidet, Lichterketten leuchten über ihnen im Dunkeln, verbinden sie mit der Umgebung. „Unsere Forschungsstation soll sich ins Stadtbild einfügen, aber auch Neugierde hervorrufen“, sagt mir Johanna, als ich sie im Bauwagen besuche. Eine Couch hat darin Platz gefunden, Stühle sowie ein Tisch und an diesem Tag auch Musikinstrumente und Aufnahmegeräte.
Episode I: Werderplatz Karlsruhe
Zum ersten Mal stellte das Team die Forschungsstation im Oktober 2016 mitten auf dem Werderplatz auf. „Das Interessse der Karlsruher war sofort da“, erinnert sich Johanna. Es kamen ältere Menschen vorbei, Studenten und eingefleischte KSC-Fans. Am Anfang hatte das Team noch einen standardisierten Fragekatalog, mit dem es die Bürger interviewte. „Wir verwarfen ihn dann aber, weil wir bemerken, dass es besser ist, die Menschen frei erzählen zu lassen“, sagt Johanna.
Episode II: Oberreut
Die zweite Episode folgte im Dezember 2016 in Oberreut. Dort stand die Forschungsstation zwischen zwei Supermärkten: einem russischen Laden und einem deutschen Discounter. Vor dem Bauwagen gab es außerdem eine kleine Wohnzimmer-Insel, wo sich Interessierte hinsetzen und Kaffee trinken konnten. „Dort saßen dann trotz der Kälte jeden Tage viele Oberreuter“, erzählt Johanna. Viele freuten sich sehr über das Interesse an ihren Geschichten und Biografien.
Während es in der Südstadt als Abschluss-Präsentation einen Soundwalk durch die Südstadt gab, war es in Oberreut eine große Feier mit Tanz. „Viele Russlanddeutsche lassen mit traditonellen Festen ihr Heimatgefühl aufleben“, begründet Johanna. Und nun, bei der dritten Station am Schlachthof, fiel die Wahl auf die Klang-Präsentation von Felicitas Wetzel und Friedrich Greiling.
Heimat: Mehr als nur Worte!
Die beiden Soundkünstler sind gerade im Bauwagen, als ich vorbeikomme. Friedrich ist für „Inschrift Heimat“ extra von Berlin nach Karlsruhe gereist. Der freie Musikkomponist hat in der Hauptstadt mehrere Bands und arbeitete bereits mit verschiedenen Theatergruppen für Projekte zusammen. Felicitas Wetzel lebt in Karlsruhe, sie hat Medienkunst an der Hochschule für Gestaltung studiert, zu ihren zahlreichen Sound-Projekten gehört unter anderem ein Live-Hörspiel.
„Durch die Nähe zum Menschenrechtszentrum kommen viele Flüchtlinge vorbei, die kein oder nur wenige Deutsch sprechen – mit ihnen auch über Töne und Melodien zu kommunizieren, lag nahe“, erläutert Felicitas Wetzel. Zusammen kreierten die beiden Künstler deshalb mit verschiedenen Klanginstrumenten neun Geschichten, die nun bei der Abschluss-Präsentation aus den Lautsprechern tönen.
Außer dem jungen Mann, der über Apps redet, erzählt ein Durlacher, wie wohl er sich in der Fächerstadt fühlt. Seine Worte sind verbunden mit den Geräuschen der Stadt – wie das Bremsen einer Straßenbahn oder Baustellen-Lärm. Rhythmische Trommelklänge strömen aus einem weiteren Lautsprecher. Eine Afrikanerin gab diesen Impuls. Heimat klingt an diesem Abend auf dem Schlachthofgelände ganz schön bunt. Es piepst, summt und klingelt auf die verschiedensten Arten.
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