Karlsruhe: “Ein Morgen mit Craig Judkins im Electric Eel”
Ein fester Anker am Werderplatz Karlsruhe: das Electric Eel
Sonntagmorgen. Die Kaffeemaschine läuft gerade auf Hochtouren, als ich im Electric Eel ankomme. Es klackt und brummt leise. Auf dem Plattenspieler dreht eine Vinylscheibe ihre Runden, entspannte Musik summt aus den Lautsprechern. Besitzer Craig Judkins steht gutgelaunt hinter der Theke, eine schwarze Wollmütze bändigt seine graumelierten Haare. „Alles gut bei dir?“, fragt er mich auf Englisch. Ich nicke und setze mich.
Vor etwa 2,5 Jahren eröffnete der gebürtige Amerikaner die Bar am Werderplatz. Wo einst bemalte Fliesen und Vintagemöbel dem Vorgänger Bento eine gemütliche, aber auch raue Atmosphäre gaben, zogen stilvolle Möbel ein – in warmen Braun- und Goldtönen.
Die handgeschriebene Getränkeliste an der Wand verschwand, eine mehrseitige Karte mit außergewöhnlichen Drinks liegt nun auf dem Tisch. Darauf zu finden: hausgemachte Limonaden mit Rosmarin oder Blaubeeren, Espresso Tonic, Craft Beer und Cocktails mit Namen wie Roses are free. Die Veränderung war enorm, die Skepsis vor allem bei Bento-Stammgästen zunächst groß. Sie hat sich aber inzwischen gelegt. Das Electric Eel ist fest am Werderplatz etabliert.
In Karlsruhe selbst etwas bewegen statt lamentieren
„Mein ganzes Herz steckt in der Bar“, sagt Craig und lacht, als er seinen Blick durch das Electric Eel schweifen lässt. Aufgewachsen ist er in Iowa. Als Programmierer landete er in London, wo er seine Ehefrau Eva kennenlernte. Die Mediengestalterin begann kurze Zeit später ein Studium an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. „Auf diese Weise sind wir hier gelandet“, erzählt er.
Craig und Eva waren von Anfang in der Fächerstadt aktiv, wollten nicht lamentieren, sondern etwas bewegen. Eines ihrer ersten größeren Projekte zusammen: der Commodore Room in der Amalienstraße. „Inspirationen für einen Co-Working-Space sammelte ich in New York und London“, erzählt Craig. In den Metropolen hatten sich die Gemeinschaftsräume zum Arbeiten schon vor zehn Jahren etabliert. Als Craig 2011 in London in einer Flüsterkneipe, der Speakeasy-Bar Experimental Cocktail Club war, fand er das Konzept so interessant, dass ihm die Idee kam, einen Ort zu schaffen, wo sich Büro und Bar miteinander verbinden – und so auch Arbeit und Freude.
Der Commodore Room!
Eva und er hatten sich bereits 2005 in Karlsruhe selbstständig gemacht, arbeiteten damals noch in einem Büro in der Südendstraße, wollten dort aber raus. Auf der Suche nach einem neuen Ort zum Arbeiten, stießen sie auf die zunächst noch unscheinbaren Räume in einem Hinterhof in der Innenstadt-West. „Als ich sie sah, lief sofort ein Film in meinem Kopf ab“, sagt Craig. Erinnerungen an den Raum in London tauchten auf, Elemente aus der Fernserie „Boardwalk Empire“ kamen dazu.
Das Paar machte sich an die Arbeit, schuf mit dem Commodore Room ein kleines Paradies aus dem Nichts. Ein cleaner Bereich diente dort zum Arbeiten, ein prunkvoller Raum zum Reden und Trinken. Edle Vintagemöbel fanden Platz auf riesigen Teppichen, große Lampen sorgten für Gemütlichkeit. Ein Porträt von Craig als Kapitän schmückte die Wand – neben weiteren Kunstwerken mit maritimen Motiven. Ein Krake zierte das Logo.
Die Resonanz war enorm. Mitarbeiter von Nivea und Mercedes kamen zum Arbeiten. Zur Happy Hour, die freitags zwischen 18 und 22 Uhr stattfand, trafen sich nach kurzer Zeit bis zu 70 Leute – unter ihnen viele, die allein wegen des Ambientes und der Drinks den Commodore Room schätzten. „Wir spürten dadurch, dass es in Karlsruhe ein riesiges Bedürfnis nach einer guten Bar gibt“, erinnert sich Craig. Die Idee für das Electric Eel kam auf, reifte langsam.
Aus dem Bento wird das Electric Eel
Als sie erfuhren, dass das Bento am Werderplatz schließen und der Raum frei werden wird, war sofort ihr Interesse geweckt. „Wir mögen die Südstadt sehr“, sagt Craig. Das bunte Publikum, die verschiedenen Geschäfte, das internationale Flair. Sie entschieden sich für die Bento-Nachfolge und machten sich wieder an die Arbeit.
Renovieren, die Inneneinrichtung auswählen, eine Getränkekarte konzipieren und das Team zusammenstellen. Der Commodore Room lief zunächst parallel weiter, nur ohne Happy Hour. „Wir wollten von Anfang an, dass die Bar unabhängig davon ist, für sich alleine steht“, betont Craig. Kein Commodore Room 2.0. Einzig beim Namen gibt es wieder eine Gemeinsamkeit: den Bezug zum Wasser.
Drinks, Musik, ein engagiertes Team: „Mir war es von Anfang an wichtig, dass alles zusammenpasst“, sagt Craig. Freunde, DJ, Barkeeper. Grenzen verschwimmen im Electric Eel, es gibt keine Schubladen, keine strikte Einordnung, wer was genau ist.
Auch bei den Rahmenbedingungen hat Craig seine Visionen genau umgesetzt. Musik kommt im Electric Eel nur von der Platte. Auf bestimmte Getränkemarken verzichtet er strikt: Im Electric Eel gibt es keine Coca Cola, kein Aperol Spritz. Stattdessen setzt der Amerikaner auf regionale Anbieter wie die Kaffeerösterei Tostino. Außerdem fuhr er mit seinem Team vor geraumer Zeit gemeinsam ins Elsass und tüftelte dort an Drinks mit außergewöhnlichen Zutaten aus der Natur – mit Honig, Mohn und Heu. „Das war ein wunderbares Wochenende“, erinnert er sich.
Kein Stillstand!
Um immer wieder Neues, Innovatives bieten zu können, reist Craig gerne durch die Welt und steht im ständigen Austausch mit internationalen Barkeepern. Für die “Porträt”-Serie mixten erfolgreiche Profis extra für die Karlsruher Bar individuelle Drinks. Ihre Inspiration: Fotos von Stammgästen. In Stockholm entstand auf diese Weise “Julius”. Eine Mischung aus Vermouth, Fernet Branca und Whiskey.
Auch 2019 warten wieder außergewöhnliche Specials: „Es wird Drinks zu Karlsruher Plätzen und Orten geben”, verrät Craig. Beispielsweise mit Bestandteilen wie Popcorn zur Schauburg und mit russischem Wodka und amerikanischen Bourbon zum Alten Flugplatz.
Der einzige Haken: die Öffnungszeiten
Vieles ist in den vergangenen Jahren gut gelaufen für Eva und Craig. Doch 2018 traf sie ein harter Schlag: Das Gebäude, in dem sich der Commodore Room befand, bekam einen neuen Besitzer, die Brandschutzregelungen wurden daraufhin geprüft. Das Fazit: Sie genügen nicht, der Commodore Room muss schließen. „Das war sehr bitter“, sagt Craig.
Ein weiterer Wermutstropfen: Das Electric Eel muss jeden Abend um 22 Uhr schließen – unter der Woche und am Wochenende. Der Bebauungsplan für die Südstadt von 1986 macht dies erforderlich. Jegliche Bemühungen von Craig und Eva schmetterte die Stadt bislang ab. “Wir kommen mit unseren Argumenten derzeit nicht weiter”, sagt Craig. Es sei enttäuschend. Schließlich sei das Electric Eel ein positiver Anker auf dem aufgewühlten Platz. “Wenn wir nur eine Stunde länger am Abend öffnen könnten, wäre das schon eine große Erleichterung – wir werden weiter darum kämpfen”, sagt Craig und dreht sich dann wieder zur Kaffeemaschine. Die nächste Bestellung wartet schon.
Weitere Infos zum Electric Eel gibt es auf Facebook. Zu Sebastian Heck auf seiner Webseite.
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