9. Mai 2021

Schmöker: „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada

Ein eindringlicher Roman: „Jeder stirbt für sich allein“ von Hans Fallada

Berlin 1940. Es ist ein Brief, der Otto und Anna Quangel die traurige Nachricht bringt: Ihr einziger Sohn ist im Krieg gefallen. Die Quangels sind fassungslos. Ihnen wird klar: Adolf Hitler und sein Regime bringen nur Unheil, es darf nicht so weitergehen.

Otto Quangel greift deshalb zu Tinte und Papier, schreibt eindringliche Warnungen. Heimlich verteilt er diese besonderen Postkarten im Berliner Stadtgebiet in den Häusern. Seine Frau Anna begleitet ihn fast immer, unterstützt ihn. Es ist ein mutiges Unterfangen – ohne Happy End.

Die Kerngeschichte von „Jeder stirbt für sich allein“ beruht auf wahren Ereignissen. Sie bezieht sich auf das Leben von Elise und Otto Hampel, die zwischen 1940 und 1942 Widerstand gegen das NS-Regime leisteten und dafür zum Tode verurteilt wurden. Bilder von ihnen und Original-Postkarten sind im Roman am Ende abgedruckt.

Kein leichtes Lesevergnügen

Auf knapp 700 Seiten erzählt Autor Hans Fallada in „Jeder stirbt für sich allein“ sehr eindrücklich vom Berlin Anfang der 1940er-Jahre. Es ist ein Roman, der mich sehr traurig machte und tagelang intensiv beschäftigte.

Das Buch ist zwar kein leichtes Lesevergnügen, aber ein unglaublich wertvolles. Es zeigt in aller Deutlichkeit, wie toxisch und voller Angst die Stimmung in der deutschen Bevölkerung war und wie jeder, der Zweifel an Hitler hatte, sich automatisch in großer Lebensgefahr befand.

Bereits im Vorwort schreibt Hans Fallada:

„Mancher Leser wird finden, dass in diesem Buch reichlich viel gequält und gestorben wird. Der Verfasser gestattet sich, darauf aufmerksam zu machen, dass in diesem Buch fast ausschließlich von Menschen die Rede ist, die gegen das Hitlerregime ankämpften (…) In diesen Kreisen wurde in den Jahren 1940 bis 1942 ziemlich viel gestorben. (…) Es hat dem Verfasser auch oft nicht gefallen, ein so düsteres Gemälde zu entwerfen, aber mehr Helligkeit hätte Lüge bedeutet.“

Sehr nah an der Realität

Hans Fallada hat den Roman bereits 1946 geschrieben. Die Ereignisse um das Ehepaar Quangel sind fiktiv, aber sehr nah an der Realität angelehnt. Der Autor erzählt die Geschichte aus den Perspektiven unterschiedlicher Protagonisten – dadurch entsteht ein sehr facettenreiches Bild, wie die Menschen die Zeit Anfang der 1940er-Jahre wahrnahmen.

Dreh- und Angelpunkt ist das Haus in der Jablonskistraße 55, in dem die Quangels im zweiten Obergeschoss wohnen. Über ihnen lebt eine ältere jüdische Dame, deren Ehemann bereits von der SS abgeholt wurde. Unter ihnen überwacht eine linientreue Familie, die Persickes, das Treiben und ganzen unten hat ein pensionierter Richter, Herr Fromm, seine Wohnung.

Im Hinterhof haust der skrupellose Barkhausen samt Frau und Kinder. Er ist ein Denunziant, der für Geld alles tut. Das Haus in der Jablonskistraße 55 zeigt durch diese heterogene Zusammensetzung einen Querschnitt der deutschen Bevölkerung.

Nazis sind überall

Eine wichtige Rolle spielt in der Geschichte außerdem die ehemalige Verlobte von Quangels Sohn, Trudel. Sie ist ebenfalls im Widerstand aktiv und stellt irgendwann mit ihrem neuen Lebensgefährten fest, dass es im gesamten Land kein Entkommen vor dem Nazi-Regime gibt.

„Wie viele Großstädter hatten sie sich dem irrigen Glauben hingegeben, die Bespitzelung sei nur in Berlin so schlimm, auf dem Lande, in einer kleinen Stadt herrsche noch Anstand. Und wie viele Großstädter hatten sie erfahren müssen, dass gerade das Denunziantentum, das Aushorchen und Bespitzeln, in einer kleinen Stadt noch zehnmal schlimmer war als in der Großstadt.

Und:

Sie hatten noch nicht begriffen, dass es in diesem Kriegs-Deutschland ein privates Leben überhaupt nicht mehr gab. Kein Sichzurückziehen rettete davor, dass jeder Deutsche zur Allgemeinheit der Deutschen gehörte und das deutsche Schicksal miterleben musste – so wie ja auch die immer zahlreicher werdenden Bomben wahllos auf Gerechte wie Ungerechte fielen.“

Einblick in die Gestapo-Arbeit

Der Roman ist in vier Teile und 76 Kapitel unterteilt. Während sich der erste Teil vorrangig um die Berliner Bevölkerung dreht, tauchen ab dem zweiten Teil Perspektiven von der Gestapo auf. Unter anderem Kommissar Escherich ist dem Postkarten-Schreiber auf der Spur. Dadurch gewährt Hans Fallada den Lesenden einen Einblick in das unmenschliche Arbeiten dieser Behörde.

Auch wenn es wenig überraschend ist, wie verroht und moralisch deformiert die Kommissare waren. Es ist trotzdem nochmals hart zu lesen, wie gewaltvoll und unbarmherzig der Umgang mit Andersdenkenden und selbst untereinander war. Dass viele Gestapo- und SS-Mitarbeiter nach 1945 wichtige Positionen in der Bundesrepublik Deutschland übernahmen, ist eine Tragödie.

Sehr klare Sprache!

Dass ich „Jeder stirbt für sich allein“ tatsächlich in einer gewöhnlichen Arbeitswoche komplett gelesen habe, liegt daran, dass Hans Fallada einen unfassbar eingängigen Schreibstil hat. Seine Sprache ist klar, einfach und schnörkellos. Dadurch fiel es mir leicht, stundenlang am Feierabend zu lesen.

Der Autor schafft es außerdem, durch seine genauen Beschreibungen Bilder im Kopf entstehen zu lassen und brachte mir die Protagonisten dadurch sehr nahe.

Durch die Perspektivenwechsel entsteht außerdem eine spannende Dynamik, die mich immer wieder antrieb, weiter zu lesen. Mir aber auch Erholungspausen gab, wenn es in einem Kapitel sehr düster war.

Hans Fallada hat das Buch selbst innerhalb nur weniger Wochen geschrieben – wohl auch ein Ergebnis seiner berauschenden Morphiumsucht. Nur einige Monate nachdem er das Buch fertig hatte, starb er.

Später Erfolg und Hollywood-Verfilmung

Den großen Erfolg bekam er selbst gar nicht mehr mit. Denn „Jeder stirbt für sich allein“ erschien 2002 in einer Neuauflage und war dann vor allem in den USA, in Israel und Frankreich ein Beststeller. 2016 erschien außerdem die Verfilmung mit bekannten Hollywood-Stars wie Emma Thompson.

„Jeder stirbt für sich allein“ ist ein Buch, das ich trotz des schweren Themas bedingungslos empfehle. Das Leben im Dritten Reich war der Horror. Es ist deshalb wichtig, sich das immer wieder vor Augen zu führen – und alles zu tun, um eine Wiederholung zu vermeiden. Wehret den Anfängen.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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