4. August 2020

Ein Abend mit Marc Süß und Hirad Akbary vom Podcast „Fugengold“

Marc Süß und Hirad Akary
Das sind Marc (links) und Hirad.

Scheitern als Chance: der Podcast “Fugengold”

Sie reden vom Scheitern, der Angst, etwas zu verpassen und davon, wie schwer es sein kann, im Leben die passende Rolle für sich selbst zu finden: Marc Süß und Hirad Akbary setzen in ihrem Podcast „Fugengold“ den Schwerpunkt auf die kleinen Risse im Alltag, auf die Brüche in der Biografie. Dabei verknüpfen sie persönliche Anekdoten mit recherchiertem Wissen aus der Soziologie, der Psychologie und aus dem Designbereich.

An einem sommerlichen Juli-Abend habe ich mich mit Marc im Iuno in der Karlsruher Südstadt getroffen und ihn unter anderem gefragt: Worin liegt die Chance am Scheitern? Und was genau verbirgt sich hinter einem „Spoken-Word-Format“, wie sie ihr Podcast-Projekt ebenfalls nennen.

Hallo Marc, wie seid ihr auf die Idee gekommen, gemeinsam ein Projekt zu starten?

Marc: Wir kennen uns schon sehr lange, waren sogar auf der gleichen Schule in Karlsruhe. Danach haben wir uns dann aber aus den Augen verloren. Hirad hat hier Germanistik und Geschichte studiert und arbeitet nun als Lehrer an einem Gymnasium. Mich hat der Medienbereich gereizt, nach dem Studium bin ich in Hamburg gelandet und habe inzwischen ein eigenes Designstudio gegründet.

Das Iuno hat uns dann aber vor zwei Jahren wieder zusammengebracht. Wir trafen uns zufällig dort, kamen ins Gespräch und stellten fest: Obwohl wir unterschiedliche Studiengänge gewählt hatten, interessieren wir uns für dieselben Dinge – sehen aber mit unterschiedlichen Brillen darauf.

Für was genau interessiert ihr euch?

Marc: Wir finden es spannend zu beobachten, wie sich die Gesellschaft verändert, wie Menschen ticken, wie sie ihr Leben gestalten, was sie bewegt. Als wir vor zwei Jahren zufällig ins Gespräch kamen, konnten wir gar nicht mehr aufhören zu reden, wir kamen einfach von einem Thema zum nächsten – bis wir um 4 Uhr quasi aus der Bar rausgekehrt wurden.

Das Interessante war: Menschen, die um uns herum saßen und Fetzen unseres Gesprächs mitbekamen, fanden das so spannend, dass sie sich einklinkten und mitreden wollten. Oder Fragen hatten wie „Was ist das für ein Buch, von dem ihr redet?“ Und: „Was ist das für eine spannende App?“ Da haben wir zum ersten Mal bemerkt, dass andere von unseren Gesprächen inspiriert sind.

Und das war dann der erste Anstoß, über einen gemeinsamen Podcast nachzudenken?

Marc: Genau. Die Idee, aus dieser Erfahrung etwas zu machen, schwelte dann aber erstmal eine Weile. Wir trafen uns bewusst immer wieder, hatten jedes Mal gute Gespräche und im Sommer 2019 war uns dann klar: Daraus müssen wir einen Podcast machen.

Wie seid ihr dann von dieser ersten Idee zum Konzept von „Fugengold“ gekommen?

Marc: Zwei Monate lang haben wir uns nur um das Konzept und die Infrastruktur für den Podcast gekümmert. Offen war ja: Wie produzieren wir ihn, wo laden wir ihn hoch und so weiter. Außerdem beschlossen wir, dass wir für die Folgen einmal die Woche telefonieren. Jeder sollte sich dafür in Ruhe auf ein vorher festgelegtes Themen vorbereiten. Also sich dazu persönliche Anekdoten überlegen und recherchieren.

Hattet ihr dann am Anfang schon einen klaren Fahrplan, wo es hingehen soll?

Marc: Ja, auf jeden Fall. Uns war es wichtig, von Anfang an eine klare Struktur zu haben. Der Podcast-Wettbewerb ist ja groß gerade und ich finde, in Deutschland ist die Qualität oft im Vergleich zu den USA noch relativ schlecht – inhaltlich und auch audiotechnisch. In den USA ist das ein ganz anderes Niveau.

Zu der „Fugengold“-Idee kamen wir, da Hirad zu der Zeit gerade eine Japanreise hinter sich hatte. Ich selbst hatte damals gerade mein altes Unternehmen verlassen und befand mich in einer Phase, in der ein relativ großer Bruch in meinem Leben war. Deshalb las ich zu der Zeit viel und suchte Input, wie ich mit Lebensveränderungen am besten umgehen kann. Dadurch kamen wir beide auf die Idee von Wabisabi.

Was steht dahinter?

Marc: Das ist ein japanisches Konzept der Ästhetik, das auf Klarheit und dem Unperfektem beruht. Eine Methode, die sich davon ableitet, ist Kintsugi. Bei ihr geht es darum, zerbrochene Keramik wieder zu reparieren – aber nicht so, dass es am Ende so aussehen soll wie am Anfang. Sondern dass die Makel der Reparatur sichtbar sind und eine völlig neue Schönheit und Wertschätzung des ursprünglichen Objekts entsteht. Dafür wird beim Reparieren Fugenkleber mit Gold vermischt. Das Ergebnis ist eine vergoldete Fuge.

Und damit hattet ihr dann einen Namen…

Marc: …. genau, wir haben dann eine Weile herumgetüftelt. Wir überlegten uns: Wie können wir das vereinfachen, damit ein Slogan für einen Podcast entstehen kann? Und dann lag die Goldfuge eben nahe.

Warum findet ihr Brüche und Scheitern so spannend?

Marc: Jede Biografie hat Brüche. Aber von Instagram angefangen, wo viele Menschen mit vielen Filtern ihr scheinbar perfektes Leben inszenieren, bis hin zu unserer gesamten Gesellschaft, in der alles, was mit Fehlern zu tun hat, gerne verdrängt wird, hat Scheitern kaum Raum in der öffentlichen Wahrnehmung. Also Themen wie Scheidung, Jobverlust oder auch der Tod.

Brüche in einer Biografie werden gerne als negativ konnotiert und man setzt sich nicht damit auseinander. Dabei sind Brüche gerade das, was alle vereint – über alle sozialen Klassen hinweg. Jeder scheitert mal in seinem Leben.

Seht ihr Scheitern also auch als Chance?

Marc: Ja, auf jeden Fall. Also es ist nicht so, dass wir es toll finden zu scheitern, aber es ist eben etwas Unausweichliches. Wenn wir es annehmen und uns damit auseinandersetzen, ist es die beste Chance, zu lernen. Wenn immer alles glatt und rund läuft, geraten wir schnell in eine Routine, werden nachlässig und unreflektiert.

Wie bringt ihr die Message dann konkret in euren Folgen unter?

Marc: Angelehnt an das Prinzip von Kintsugi geht es uns darum, dort hinzusehen, wo die Risse vergoldet worden sind. Heißt konkret: Jeder von uns hat in seiner Biographie, in seinem Leben, Situationen erlebt und Erfahrungen gemacht, welche eine besondere Bedeutung in sich tragen – also beispielsweise harte Trennungen oder einen Jobverlust. Oftmals verstehen wir erst in der Rückschau, für was diese Erfahrungen gut waren. Im Podcast versuchen wir im Dialog miteinander genau dieses Gold in der Fuge zu finden und sichtbar zu machen.

Dafür brauchen wir aber verschiedene „Brillen“. Ein Beispiel dafür sind die Ansichten des Soziologen Erving Goffman. Mit ihm kann man die soziale Welt und die darin stattfindende Interaktion als Bühne lesen. In anderen Folgen beziehen wir uns auf die Psychiater Jacques Lacan oder Sigmund Freud. Aber auch die Philosophen Søren Kierkegaard oder Martin Heidegger liefern interessante Perspektiven auf das Leben. Letztlich geht es darum, die eigens erfahrene Welt und unser Leben zu verstehen.

Nun gibt es bereits eine zweite Staffel, in der ihr das Überthema „Bruchbiografie“ habt – was ist da die Idee dahinter?

Marc: Oft war unseren Hörern in der ersten Staffel bei Titeln wie „Lie with with“ oder „Filth“ nicht ganz klar, was auf sie zukommt, also was drinsteckt – ob es um Psychologie, Soziologie oder eher Design geht.

Für die zweite Staffel haben wir nun ein Überthema: die Biografie. In den einzelnen Folgen zeigen wir dann die Bruchstellen auf, die es im Leben geben kann – wie Schule, Studium, Beruf, Liebe.

Um den Inhalt klarer zu machen, haben wir die Folgen deshalb auch konkreter benannt. Wir haben in der zweiten Staffel immer deutsche Titel, beispielsweise „Tinder“, „Beziehung“ oder „Bildung“.

Wie wählt ihr die Themen aus?

Marc: Die Fugen oder Bruchstellen, die wir finden, kommen aus unserer eigenen Erfahrung. Oder auch von unseren Freunden und der Familie. Wir haben einen riesigen Pool an Themen, die aus Gesprächen entstehen. Manchmal bemerken wir auch während des Aufnehmens beim Diskutieren: Ah, das ist ja auch noch ein interessanter Aspekt! Lass da mal noch später eine Folge dazu machen.

Ihr nennt euer Format auch „Spoken Word“. Was steckt da dahinter?

Marc: Der Kerngedanke ist, dass man bei einem Spoken-Word-Format bewusst etwas recherchiert und schreibt, um es dann auf eine Bühne zu bringen. Oft wird es mit Poetry Slams verwechselt, was wir beide nicht so gut finden. Uns ist das oft zu oberflächlich. Wir gehen sehr bewusst in die Tiefe und schreiben auf unserer Webesite auch Texte dazu.

Ihr seid gerade mitten in der zweiten Staffel, was ist eure Aussicht, was habt ihr nun noch in der Planung?

Marc: Wir freuen uns sehr auf eine Live-Podcast-Nacht im Englischen Theater in Hamburg am 21. August. Diese findet mit zwei anderen Podcasts statt. Einer heißt „Verlängertes Wochenende“, der andere „Ausgesprochen, ausgetrunken“. Das wird cool. Es wird ein Publikum dabei sein und es wird alles gefilmt.

Außerdem möchten wir uns stetig weiterentwickeln mit „Fugengold“, wir sind offen für konstruktive Kritik von außen und setzen uns immer damit auseinander. Der Podcast ist für uns ein Projekt, das uns unwahrscheinlich viel Spaß macht – und wir freuen uns über jeden Hörer, den wir damit inspirieren können.

Auf der Fugengold-Webseite sind alle Folgen abrufbar. Oder auch über Spotify.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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