Buchkritik: “Schilf” von Juli Zeh
“Schilf” von Juli Zeh: Lebt Kennedy noch in einem Paralleluniversum?
„Alles was möglich sei, könne auch gesehen.“ Bis ich den Krimiroman „Schilf“ von Juli Zeh in den Händen hielt, hatte ich mir noch nie Gedanken über die Vielewelten-Theorie gemacht. Ich hatte ehrlicherweise nicht einmal davon gehört. Als ich dann aber durch die beiden “Schilf”-Protagonisten Oskar und Sebastian, zwei Physiker, damit konfrontiert wurde, kam Neugier auf. Was verbirgt sich hinter der Annahme, dass es eine unendliche Anzahl an Universen gibt, in denen unter anderem unsere Doppelgänger leben – und beispielsweise Kennedy nicht erschossen wurde?
Verrückte Fantasie oder reale Theorie aus der Physik? Ich war verwirrt – und begann im Netz zu stöbern. Dabei stieß ich auf einen Artikel aus der „Welt“, der das ganze theoretische Gerüst zu Juli Zehs Werk erklärt.
Ahja.
Danach verstand ich mehr. Kapierte, was hinter der Geschichte um Oskar und Sebastian stecken soll: Eine wissenschaftliche Diskussion, die tatsächlich Physiker und Philosophen beschäftigt. Gleichwohl: Am Ende des Buches saß ich immer noch mit einigen Fragezeichen über dem Kopf auf meinem Bett. Juli Zehs Werk ist besonders, die Sprache, der Plot, die Charaktere. Es ist klug, interessant und brachte mich sehr zum Nachdenken. Aber ein ungetrübtes Lesevergnügen ist es trotzdem nicht, es knirscht.
Wohin führt das?
Dass „Schilf“ nicht rund ist, liegt für mich besonders daran, dass durch diese ganze verschwurbelte Theorie die Charaktere samt Handlung in den Hintergrund rücken. Ab der Hälfte liest sich „Schilf“ wie eine wissenschaftliche Satire eines Kriminalromans. Der Ausgang: spielt keine Rolle mehr (wird dann letztlich auch völlig absurd). Ich fragte mich streckenweise nur noch: Wohin soll das eigentlich alles führen?
Kurz, um nicht zu viel von der Handlung zu verraten: Im Mittelpunkt stehen zwei befreundete Physiker, die sich streiten, ein scheinbar entführtes Kind, ein Mord, ein Kommissar, der an einem Gehirntumor leidet und zwei Enten, Bonnie und Clyde, die immer wieder Erwähnung finden.
Juli Zehs Stärke ist die Sprache. Die Sätze sind filigran, klug, anders. Ich staunte des Öfteren über ihre Konstruktionen. Auch der Plot, eine abstrakte Theorie als Krimi zu verpacken, ist äußerst mutig. Aber da die Geschichte nach der Hälfte sehr stark ins Straucheln kommt, ist “Schilf” gegen Ende nur noch anstrengend. Ich war auf der letzten Seite regelrecht froh, dass es vorbei ist.
Außerdem muss ich gestehen, dass ich den Schluss nicht vollkommen verstanden habe, vielleicht habe ich das letzte Drittel zu schludrig gelesen oder die Parallelwelten-Theorie einfach noch nicht richtig verstanden. Es wird vorerst ein Rätsel bleiben.
Juli Zeh bekommt noch eine Chance
Ich versuche es nun mit “Unterleuten” von Juli Zeh. Trotz aller Kritik: “Schilf” hat mich neugierig gemacht auf weitere Werke der Autorin – ohne Physik eben.
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