13. August 2022

Buchkritik: “Heimkehren” von Yaa Gyasi

Heimkehren - Yaa Gyasi

“Heimkehren”: ein wunderbares Buch mit bewegenden Geschichten

Erst Sophie Passmann, dann Sarah Kuttner: In den vergangenen Wochen erlebten gleich zwei weiße Frauen einen tobenden Shitstorm in den sozialen Medien. Der Grund: Sie äußerten sich unangebracht (Passmann) und sehr borniert (Kuttner) über Schwarze Menschen.

Es wunderte mich sehr, dass beide Frauen in der Öffentlichkeit überhaupt etwas Kritisches zum Thema Rassismus sagten. Es gibt eine Sache, die ich in den vergangenen Jahren gelernt habe: Als weiße Frau halte ich mich verbal zurück, wenn Betroffene von ihren Erfahrungen und Bitten zum Thema Rassismus erzählen – vor allem in den sozialen Medien.

Stattdessen versuche ich, viel darüber zu lesen – um die Geschichte besser zu verstehen und sensibel für Ungerechtigkeiten zu sein. Neben Sachbüchern greife ich gerne zu Literatur von Schwarzen Autor*innen, beispielsweise von Chimamanda Ngozi Adichi, Bernadine Evaristo und Colson Whitehead. Nun habe ich zufällig beim Dumont-Verlag „Heimkehren“ von Yaa Gyasi entdeckt – und bin unfassbar begeistert von diesem ganz besonderen Roman.

Eine Zeitreise mit Effias und Esis Kinder und Kindeskinder

Es ist vor allem der außergewöhnliche Aufbau des Romans, der mich bereits nach zwei Kapiteln komplett in den Bann gezogen hat. Die Geschichte beginnt bei den beiden Schwestern Effia und Esi. Sie leben getrennt voneinander im 18. Jahrhundert in Ghana. Während Effia einen Sklavenhändler aus England heiratet und zu ihm in eine Festung am Wasser zieht, landet Esi im Keller dieses Gebäudes, wo die Sklaven festgehalten werden.

Es herrschen dort die elendigsten Bedingungen – Exkremente auf dem Boden, Hunger, Enge. Esi wird vergewaltigt und später mit ihrer kleinen Tochter Ness mit dem Schiff nach Amerika gebracht, wo sie auf Baumwollplantagen arbeiten müssen.

Effias Sohn Quey, den sie mit dem Sklavenhändler James bekommt, hat dagegen ein privilegiertes Leben in Afrika und wird von seinem Onkel Fiifi zum Häuptlings-Nachfolger der Asante ausgewählt. Er soll ein bedeutender Mann im Sklavenhandel werden und die weißen Händler mit Menschen-Nachschub versorgen. Doch will er das überhaupt?

Jedes Kapitel im Buch von Yaa Gyasi ist einer anderen Person gewidmet – den Beginn machen Effia und Esi im 18. Jahrhundert, danach folgen deren Kinder und Kindeskinder bis am Ende die heutige Zeit erreicht ist. Es entstehen dadurch viele spannende Kurzgeschichten, die über einen roten Familien-Faden miteinander verknüpft sind und am Ende auf schöne Weise wieder zueinanderfinden.

Einblick in die Geschichte der Sklaverei

Durch diese besondere Zeitreise über etwa 300 Jahre gibt die Autorin in „Heimkehren“ einen vielseitigen Einblick in die Geschichte der Sklaverei.

„James wusste, dass die Briten seit Jahren Stammeskriege schürten, da ausnahmslos alle Kriegsgefangenen an sie verkauft wurden. Seine Mutter sagte immer, dass die Goldküste wie ein Topf voller Erinnerungen sei. Ihr Volk, die Asante, sei die Brühe, und das Volk seines Vaters, die Fante, sei die Erdnüsse, und die vielen anderen Völker, die von der Atlantikküste bis weit nach Norden lebten, seien das Fleisch, der Pfeffer und das Gemüse. Der Topf sei bereits randvoll gewesen, bevor die Weißen gekommen seien und Feuer darunter angezündet hätten.“

Durch die Geschichten von Effia und ihren Nachkommen wird deutlich, wie die weißen Männer überhaupt an die Schwarzen Sklaven kamen, die sie dann nach Amerika oder Jamaika verkauften. Auch die Konflikte und Grausamkeiten, die damals zwischen den Stämmen in Afrika herrschten, erzählt die Autorin. Es entsteht ein vielseitiges Bild, das ich so im Detail selbst noch nicht kannte. Auch auf das übergriffige Verhalten der weißen Missionare geht Yaa Gyasi in ihren Erzählungen ein.

Sehr interessant sind außerdem die Geschichten von Esis Nachfahren in den USA. Beispielsweise von H, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unschuldig verurteilt wird und in einem Bergwerk einen harten Knochenjob erledigen muss. Platz im Roman finden auch die „Great Migration“ der Schwarzen Menschen in den Norden der USA und die Drogenprobleme in den 1980er-Jahren in Harlem. Personifiziert werden sie durch Sonny, den Enkel von H.

So viel Schmerz und Ungerechtigkeiten

Jedes der insgesamt 14 Kapiteln erzählt eine traurige und zugleich mitreißende Geschichte. Sie erklären, wie viel Ungerechtigkeiten und Schmerz die Schwarzen Menschen in den vergangenen Jahrhunderten erfahren haben – und es heute noch tun. Es macht deutlich, wie sich bereits seit vielen Generationen Traumata vererben.

Dieses Buch ist vor allem deshalb ein kleines Juwel, weil all diese Geschichten trotzdem nie schwer zu lesen sind. Im Gegenteil: Sie sind wunderschön und einfühlsam geschrieben. Ich habe es geliebt, jede einzelne Seite zu lesen und fühlte mich auf kluge Weise bereichert.

Gelernt habe ich beispielsweise wieder:

„Das ist das Problem mit Geschichte. Was wir selbst nicht gesehen, gehört oder erlebt haben, können wir nicht wissen. In früheren Zeiten erzählten Augenzeugen die Geschichten ihren Kindern, damit ihre Kinder Bescheid wussten und es ihren Kindern weitererzählen konnten. Und immer so weiter. Doch an dieser Stelle ergibt sich das Problem sich widersprechender Geschichten. (…) Wir glauben dem, der Macht hat. Er darf seine Geschichte schreiben. Wenn ihr Geschichte studiert, müsst ihr euch deswegen immer fragen: Wessen Geschichte bekomme ich nicht zu hören? Wessen Geschichte wurde unterdrückt, damit die andere Stimme zu hören ist.“

Lest deshalb unbedingt „Heimkehren“ und hört Betroffenen zu. Von toxischen Shitstorms halte ich mich aber lieber fern, für mich ergibt es keinen Sinn, Menschen geballt niederzumachen – auch wenn sie Fehler gemacht haben. Hass und Niedertracht sind einfach nie die Lösung.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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