Buchkritik: “Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war” von Joachim Meyerhoff
Toller Teil 2 der Romanreihe „Alle Toten fliegen hoch“
Das erste Mal sieht Joachim Meyerhoff einen toten Menschen, als er mit sieben Jahren auf dem Weg zur Schule einen kleinen Umweg durch eine Schrebergartensiedlung nimmt. Ein vornehm gekleideter Mann liegt dort im Gras, sein hellbrauner sommerlicher Schuh ist ihm vom Socken gerutscht, sein Hemd steckt noch akkurat in der Hose.
Als Joachim zunächst in der Schule und später seiner Familie aufgebracht von der Entdeckung erzählt, will ihm keiner glauben. Egal wie er sich dreht und wendet. Alle sind skeptisch. Joachim beginnt deshalb, die Geschichte wild auszuschmücken, zu verfeinern, dichtet dabei unbeabsichtigt ein wahres Detail dazu. Als er das feststellt, läuft ihm eine heiße Schauer über den Rücken, er erkennt für sich: Erfinden heißt Erinnern.
Es ist deshalb mehr als fraglich, wieviele von den Anekdoten, die Joachim Meyerhoff in seinem Buch „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ erzählt, tatsächlich so geschehen sind. Das macht aber nix, denn unterhaltsam sind sie auf jeden Fall.
Ein bewegender Roman!
„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ist der zweite Band der sechsteiligen Literaturreihe „Alle Toten fliegen hoch“, die der Schauspieler und Autor Joachim Meyerhoff geschrieben hat. Er blickt darin mit viel Humor, aber auch Ernsthaftigkeit auf seine skurrile Kindheit und Jugend zurück.
Auf Empfehlung habe ich nicht mit dem ersten, sondern mit dem zweiten Band der Reihe gestartet, da die Erlebnisse dadurch chronologisch geordnet sind. In seinem ersten Buch „Amerika“ erzählt Joachim Meyerhoff von seiner Zeit als Austauschschüler in den USA. „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ setzt dagegen früher an und zieht sich bis ins junge Erwachsenenleben des Protagonisten.
Eine Kindheit mitten in der Psychiatrie
Joachim Meyerhoff wächst mit seinen zwei Brüdern, einem Hund und seinen Eltern in einer Villa inmitten der Kinder- und Jugendpsychiatrie „Hesterberg“ in Schleswig-Holstein auf. Sein Vater ist dort Direktor. Das bedeutet für Joachim: Eine Kindheit und Jugendzeit zwischen 1500 Patienten, die geistig und körperlich behindert sind. Darunter sind viele jüngere Menschen, aber auch ältere, die niemals verlegt wurden.
Es ist ein liebevoll-sarkastischer Umgang, den die drei Meyerhoff-Brüder mit den Kranken haben. Joachim erzählt:
„Wir nannten sie knallhart Idioten, Irre oder Verrückte. Aber auch die Dödies, die Blödies, die Tossen, Spaddel, Spackos und Spasties. Oder die Psychos, Mongos, die Deppen, Debilen und Trottel – der Favorit meines ältesten Bruders war: die Hirnies.“
Neben den Unscheinbaren, die deutlich in der Überzahl sind, in sich versunken herumsitzen, brabbeln oder rastlos auf dem Gelände herumtigern, gibt es Patienten, die Joachim besonders auffallen. Beispielsweise Egon, der gerne Drahtkleiderbügel zusammenbiegt und sie anderen in den Hintern steckt.
Oder Rudi, genannt Tarzan, der gerne auf Bäume klettert oder bewegungslos im Gras auf der Lauer liegt. Rudi hat außerdem immer einen sehr echt aussehenden Revolver bei sich, der im Laufe der Handlung dazu führt, dass der damalige Ministerpräsident bei einer Veranstaltung der Psychiatrie vor Schreck im Dreck landet.
Ein leicht schräger 40. Geburtstag
Das Familienleben der Meyerhoffs ist von konservativen Strukturen geprägt. Der Vater ist das Oberhaupt. Er raucht Roth Händle, liebt Nierchen mit Reis, verdient das Geld, betrügt seine Frau. Die Mutter kümmert sich um den Haushalt, um die Kinder und stellt jahrelang ihre eigenen Interessen zurück.
Wie sehr der Vater mit seiner Arbeit verbandelt ist, zeigt sich, als er zum 40. Geburtstag vier Patienten zum Kaffeekränzchen einlädt. Ein Nachmittag, der an Absurditäten kaum zu übertreffen ist: Da sitzt Ludwig am Tisch, der Todesangst vor dem Hund hat, ihn aber trotzdem unbedingt streicheln will. Dietmar, der alle umarmen möchte und unendlich viele Fragen stellt. Margaret, die aus jedem Satz ein Wort bastelt: „Ohhsiehtderkuchenleckerausichglaubichwerdnichtmehr.“ Und schließlich noch Kimberly, die einen deformierten Kopf hat.
Joachim Meyerhoff erzählt im ersten Teil seine bizarren Geschichten mit viel Leichtigkeit, Schwung und nimmt ihnen dadurch alles Schwere. Dabei geht er auch nicht chronologisch vor, sondern greift sich einzelne Anekdoten aus seiner Kindheit heraus und schmückt sie detailliert aus – dabei verliert er aber nie den Respekt vor den Patienten. Da er sehr angenehm und einfach schreibt, lässt sich das Buch sehr schnell lesen.
Hallo, Melancholie!
Im zweiten Teil breitet sich dann die Melancholie aus. Ein dramatischer Unfall, Krebs, Altersschwäche. Der Tod begegnet Joachim Meyerhoff wieder, hat viele Gesichter. Die Geschichten, die er nun erzählt, sind oft tieftraurig. Vor allem drehen sie sich um seinen Vater, den hochintellektuellen Mann, der im Alltag jedoch oft an einfachen Aufgaben scheitert.
„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ist dadurch ein sehr abwechslungsreiches und kurzweiliges Buch – das mich oft zum Lächeln brachte, am Ende aber auch emotional sehr mitnahm.
Joachim Meyerhoff schreibt liebevoll über seine Kindheit und Jugendzeit und widmet vor allem seinem Vater einen großen Teil. Gelesen habe ich das Buch vor einem Jahr, eigentlich wollte ich schon lange den ersten Teil „Amerika“ kaufen – das werde ich in den nächsten Tagen auf jeden Fall tun.
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