28. Februar 2021

Flimmerkasten: “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”

Amazon-Prime-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“: ein teures Desaster!

Das Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ fiel mir nur wenige Monate nach dem Heroin-Tod meiner 19-jährigen Nachbarin in die Hände. In den 1990er-Jahren war das.

Die Ereignisse um meine Nachbarin waren dramatisch und tieftraurig. Sie spielten sich dabei keineswegs in einer Grossstadt ab, sondern in meinem beschaulichen Heimatdorf im Süden Deutschlands.

Ihr Zimmerfenster war von unserem Balkon aus und dem Hof sichtbar. Ich sah sie oft aus dem Fenster gelehnt rauchen, laute Musik wummerte dazu. Dass sie Probleme hatte, davon hörte ich die Erwachsenen ständig reden. Zunächst war alles abstrakt, wurde aber konkreter, als meine Cousine und ich Spritzen beim Spielen fanden, wir danach Orte meiden mussten.

Irgendwann war sie nicht mehr da. Wir schnappten Gesprächsfetzen auf, in denen von Entziehungskuren die Rede war, Hilfe bei der Jobsuche, Hoffnung. Vergeblich. Meine Nachbarin starb an einer Überdosis.

Als ich kurze Zeit später „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ las, war ich noch relativ jung, gerade auf dem Gymnasium. Es prägte mich zutiefst. „Nie möchte ich Drogen nehmen“ – ein Vorsatz, der tatsächlich nie ins Wanken kam, egal wie sehr mein Umfeld durchdrehte. Nun wurde das Buch als Serie verfilmt. „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist auf Amazon Prime zu sehen. Selten habe ich mich so sehr über eine Serie aufgeregt.

Konzeption ist völlig schief!

Knallbunte Bilder, hippe Outfits: „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ wurde von den Produzenten Oliver Berben und Sophie von Uslar umgesetzt. Es ist die teuerste deutsche Serie überhaupt – und eine, die in der Konzeption völlig schiefgelaufen ist. Warum? Dafür gibt es mehrere Gründe.

Die Zeiten gehen durcheinander!

Die Geschichte um Christiane F. (Jana McKinnon) spielt in den 1970ern. In dieser Zeit ist auch die Serie angesetzt. Um den damaligen Flair einzufangen, wurde nicht nur in Berlin, sondern teilweise auch in Prag gedreht.

Jedoch ist diese zeitliche Verortung nicht konsequent umgesetzt. Christianes Mutter (Angelina Häntsch) trägt beispielsweise „Veja“-Schuhe, die Clique geht zum „Späti“ und im legendären Club „Sound“ legen die DJs Techno auf. Der Soundtrack der Serie besteht außerdem aus Songs von Santigold, Bloc Party und Damien Rice. Hä?

Diesen Anachronismus habe ich überhaupt nicht verstanden. Zunächst dachte ich in den ersten Folgen noch, dass es vielleicht Absicht ist, es gar zeitlos sein soll. Aber nein, dann gibt es wieder zeitliche Bezüge wie ein Konzert von David Bowie oder Jahreszahlen, die auftauchen.

Was ist die Idee dahinter? Entweder sollte der Zeitbezug konsequent umgesetzt sein oder ganz aufgelöst, wie es beispielweise im Film „Berlin Alexanderplatz“ gelungen ist. Dort ist die Handlung in die heutige Zeit transportiert – auf sehr sehenswerte Weise.

Warum nicht also ein „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo 2.0“ mit MDMA, Koks und Berghain. Dann auch gerne mit Vejas, Späti und Techno.

Die Amazon-Prime-Serie „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist dagegen ein Hybrid, der ständig irritiert.

Komplettes Wirrwarr der Geschichte!

In der Serie sind die Figuren rund um Christiane F. komplett verändert. Ihr Freund Detlev fehlt, stattdessen gibt es eine neue Clique mit Personen, die Benno (Michelangelo Fortuzzi) oder Axel (Jeremias Meyer) heißen. Auch ihre kleine Schwester gibt es in der Serie überhaupt nicht. Das habe ich ebenfalls nicht verstanden.

Stella (Lena Urzendowsky) und Babsi (Lea Drinda) tauchen zwar auch im Buch auf, aber in einem ganz anderen Kontext.

Im Buch ist Christiane 12 oder 13 Jahre alt, als sie mit Drogen in Kontakt kommt. In der Serie wirkt sie so, als sei sie mindestens 15 Jahre alt. Es ist kaum verwunderlich, denn Jana McKinnon ist 1999 geboren. Ich verstehe, dass die harte Thematik für sehr junge Schauspielerinnen zu herausfordernd gewesen wäre – aber so ist der Altersunterschied doch sehr groß.

Für mich stellt sich dadurch die Frage: Wenn es darum geht, eine facettenreiche Geschichte um junge Menschen und ihre Drogenabhängigkeit zu zeigen, warum den Titel eines Buchs nehmen und so vieles verfremden? Warum nicht einfach eine neue Serie drehen? Ist es nur wegen des starken Titels?

Tatsächlich sind vor allem die Geschichten von Stella und Babsi interessant, zeigen noch am deutlichsten, warum Jugendliche überhaupt in den Drogenstrudel rutschen. Die Geschichten an sich haben Potenzial, sind erzählenswert. Aber auch in diesem Fall ist keine Stringenz in der Serie vorhanden.

Völlig Verharmlosung der Geschichte

Die Geschichte von Christiane F. hat mich damals sehr mitgenommen, der ständige Kampf mit dem Heroin, die Turkeys, die Rückfälle nach mehreren Entzugsversuchen. Es war hart zu lesen.

1981 wurde das Buch verfilmt – unter anderem mit David Bowie. Mit 15 Jahren schaute ich ihn mir mit Freunden an. Er ist rau, kalt, zeigt den Schrecken, der mit Drogen einhergeht.

Ganz anders die Serie: Die Schauspieler*innen sind adrett, haben die hippsten Outfits, sehen bis zum Ende der Serie fast durchgehend hübsch aus. Einzig Stella und Benno verwandeln sich in einigen Einstellungen auch optisch zu Junkies.

Es gibt außerdem zahlreiche Specialeffekts. Sie sind ohne Frage toll gemacht. Wie sich in Babsis Zuhause beispielsweise eine Bilderwand öffnet, sich ein langer Tunnel auftut, der im „Sound“ endet – das sieht super aus.

Aber es passt alles einfach nicht zur Thematik. Es ist merkwürdig, wenn die Schauspielerinnen im „Sound“ durch die Luft fliegen, nachdem sie Pillen eingeschmissen haben und „Set me free“ als Song ertönt. Das animiert doch vielmehr zum Drogennehmen, als es abstößt.

Als sich die Clique bei einer Beerdigung wie Rockstars am Tor aufstellt, wirkt es wie ein Shooting für ein Album-Cover. So jung, so cool, so stark. So scheint es nach außen. Aber letztlich sind alle Jugendlichen tieftraurig und verloren. Dieses Gefühl transportieren die ästhetisch schönen Bilder viel zu selten.

Auch die Geschichte von Axel verwirrte mich. Er nimmt von Anfang an schon Heroin, wird nur einmal bei der Arbeit erwischt. Ansonsten sieht er normal aus, schafft es scheinbar auch, immer pünktlich anzufangen. Ist das glaubhaft? Für mich nicht.

Verwandlung von Christiane F. nachvollziehbar

Dazu die Verwandlung von Christiane. Sie ist zu Beginn eine unauffällige Schülerin, die ihr Abitur machen möchte. Im Buch gibt es eine Gras-Phase, die in der Serie komplett fehlt. Wie schnell es dann geht, dass sie sich beim David-Bowie-Konzert Heroin spritzt, ist kaum nachvollziehbar.

Als sie wegen Gelbsucht im Krankenhaus landet, wird kaum thematisiert, woran es liegt oder wie schlecht es ihr geht. Ihre kriminellen Delikte finden ebenfalls keinen Platz in der Serie. Auch ihre Prostitution wird nur schemenhaft gezeigt. Ihrem Charakter fehlt es dadurch am meisten an Dramatik. Mit Stella litt ich beispielsweise viel mehr mit.

Heroin-Abhängigkeit und schöne Bilder: ein Widerspruch!

Für mich ist fraglich, welche Idee hinter der Konzeption der Serie steckt. Es wirkt, als wollten die Produzent*innen eine optisch schöne Serie machen – mit viel Glitzer und Blingbling. Aber dafür taugen das Thema und die traurige Drogen-Szene am Berliner Bahnhof Zoo in den 1970er-Jahren einfach nicht. Heroin-Abhängigkeit und schöne Bilder. Was soll das? Diese teure Serie ist deshalb ein Desaster für mich.

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One thought on “Flimmerkasten: “Wir Kinder vom Bahnhof Zoo”

  1. Hartmut Hensgen sagt:

    Sehr aufschlussreiche Stellungnahme zu diesem Film, fand ich sehr interessant.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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