24. September 2021

Schmöker: “Das weibliche Prinzip” von Meg Wolitzer

"Das weibliche Prinzip" von Meg Wolitzer

Ein sanftes Buch mit weisen Ansichten: “Das weibliche Prinzip” – Kritik

Der Roman „Das weibliche Prinzip“ von Meg Wolitzer war mir bereits 2018 in den Buchhandlungen aufgefallen – vor allem wegen seines tollen Covers, das Weiblichkeit auf abstrakte und bunte Weise darstellt.

Dass das Buch trotzdem nicht sofort in meiner Einkaufstasche landete, lag vor allem am Titel. Ich erwartete eine trockene, sachbuchartige Geschichte. Erst als ich im vergangenen Winter von Meg Wolitzer „Die Interessanten“ las, unglaublich berührt von diesem Buch war, begann ich mich ernsthaft mit ihren weiteren Werken auseinanderzusetzen. So landete nun „Das weibliche Prinzip“ doch noch bei mir – zum Glück.

Vier Perspektiven auf das Leben

Die Geschichte ist kein anstrengendes oder belehrendes feministisches Manifest. Vielmehr erzählt Meg Wolitzer von vier Menschen in den USA, die mit ganz unterschiedlichen Herausforderungen in ihrem Leben zu kämpfen haben und versuchen, etwas zu bewegen – im Großen oder im Kleinen.

Dabei wechseln die Perspektiven immer wieder, ergänzen sich, erklären Ereignisse aus einem neuen Blickwinkel und schaffen dadurch Verständnis für die einzelnen Befindlichkeiten. „Das weibliche Prinzip“ ist dadurch ein kluges Buch, das ohne Drama auskommt. Wie nebenbei beschreibt Meg Wolitzer, wie sich der Feminismus in den vergangenen vier Jahrzehnten verändert hat – ohne Theorie, sondern mit konkreten Erlebnissen aus der lebendigen Praxis.

Geer findet ihre Stimme

Im Mittelpunkt der Geschichte steht Geer. Sie ist das Bindeglied zu den anderen drei Figuren und zu Beginn gerade frisch am College. Sie ist hochintelligent, aber auch schüchtern und zurückhaltend. Mit ihrem Schulfreund Cory führt sie eine Fernbeziehung.

Als sie eines Abends mit ihrer Freundin Zee auf eine Party geht, wird sie von einem betrunkenen Kommilitonen sexuell belästigt. Gemeinsam mit Zee beginnt sie, für eine gerechte Strafe des Täters zu kämpfen und bemerkt, wie schwierig dieses Unterfangen ist.

Als sie kurze Zeit später bei einer Veranstaltung die Frauenrechtlerin Faith Frank kennenlernt, ist ihre Begeisterung für die 63-Jährige groß. Sie fühlt sich inspiriert, möchte selbst ihre eigene Stimme finden und bekommt wenige Jahre später die große Chance, für Faith zu arbeiten.

Aus der Sicht von Geer, Cory, Zee und Faith wird die Geschichte nun abwechselnd erzählt. Während es bei Geer vor allem um ihre Persönlichkeitsentwicklung geht, steht bei Cory im Mittelpunkt, wie er mit einem schweren Schicksalsschlag umgeht. Zee ist homosexuell, Tochter von konservativen Eltern, und muss ebenfalls ihren Platz in der Gesellschaft finden.

Faith Frank kämpft für die Rechte von Frauen

Spannend ist vor allem die Geschichte von Faith Frank. Sie hat 1984 das Manifest „Das weibliche Prinzip“ herausgebracht und dafür viel Aufmerksamkeit bekommen.

„US-Firmen, so Faith Frank, hätten versucht, die Frauen zu dem gleichen üblen Verhalten zu verleiten, wie es Männer praktizieren, aber die Frauen müssen nicht kapitulieren, sondern könnten Stärke und Macht zeigen, ohne Integrität und Anstand einzubüßen.“

Viele Jahre führte sie voller Idealismus eine kleine Zeitschrift, die es im Lauf der 2000er-Jahre aber durch progressive Blogs immer schwerer hat. Anhand der Erzählungen von Faith Frank wird klar, wie groß inzwischen die Generationenkonflikte im Feminismus sind. Für Faith unverständlich. Für sie gibt es für alle Ansichten und Meinungen Platz.

„Meine Art, den Feminismus zu praktizieren, ist nur eine von sehr vielen Arten. Es gibt zig andere, und das ist toll. Heute gibt es junge, leidenschaftliche, radikale Frauen, die ganz unterschiedliche Geschichten erzählen. Wir brauchen so viele Streiterinnen wie möglich.“

Mit wunderbarer Sprache erzählt


Ich habe den Roman innerhalb weniger Tage durchgelesen. Auch wenn kein überdimensionierter Spannungsbogen vorhanden ist, fand ich die Erzählungen sehr angenehm, legte das Buch deshalb am Feierabend kaum zur Seite, griff immer wieder gerne danach.

Es ist auch die Sprache von Meg Wolitzer, die mich jedes Mal wieder begeistert. Sie schafft es, komplexe Dinge einfach und kleine Details mit großer Liebe zu beschreiben – wie ein Sandwich.

„Es trat ein kurzes, unterkühltes Schweigen ein, das Zee nutzte, um in das Sandwich zu beißen, das sie morgens in ihrer winzigen Küche zusammengeklatscht hatte. Nun fiel der Belag aus dem weichen, pappigen Brot, ein Sturzbach von Zutaten, die man nie hätte kombinieren dürfen: Apfelscheiben, ein paar vorzeitig abgehende Babykarotten und ein Kohlstück wie eine Halskrause aus elisabethanischer Zeit, alles lose durch einen Klecks Miso und einem Spritzer fettarmen Mayonnaise aus einer Tube zusammengehalten…“

Wunderbar.

Wer Lust auf ein kurzweiliges Lesevergnügen hat, das einem noch spielerisch und unangestrengt näher bringt, wie Feminismus in der Praxis funktionieren kann, der ist bei „Das weibliche Prinzip“ genau richtig.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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