10. Juli 2023

Buchkritik: “Amerika” von Joachim Meyerhoff

"Amerika" von Joachim Meyerhoff

Teil 1 der tollen Reihe „Alle Toten fliegen hoch“: “Amerika”

Es ist ungewöhnlich, dass ich bei einer Romanreihe den zweiten Teil vor dem ersten lese. Bei Joachim Meyerhoffs sechsteiligem Zyklus „Alle Toten fliegen hoch“ habe ich das ganz bewusst getan – auf Empfehlung von Leuten, die schon mehrere Bücher des Schauspielers gelesen haben. 

Der Hintergrund für diese Entscheidung war: Nur so stimmt die Chronologie in der Entwicklung des Protagonisten: von Joachim Meyerhoff selbst. In seinen autobiografisch angehauchten Geschichten erzählt der Schauspieler und Autor nicht im ersten, sondern im zweiten Teil „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ von seiner Kindheit in den 1980er-Jahren in Schleswig-Holstein. Ein Roman, der mal lustig, mal gefühlvoll und an manchen Stellen auch traurig ist. Mehr dazu habe ich schon in der Rezension geschrieben. 

Der erste Teil des Zyklus beschäftigt sich dagegen mit seiner Jugend und allem, was dazu gehört: erste Liebe, Partys und die typischen Unsicherheiten. Nun war ich gespannt, ob der erste Roman von Joachim Meyerhoff auch so unterhaltsam ist wie der zweite.

Um was geht es in „Amerika“? 

In „Amerika“ ist Joachim also ein Teenager. Er hat seine erste Freundin, spielt gerne Basketball und weiß noch nicht so genau, wohin es in seinem Leben gehen soll. Aber eines ist sicher: Er will raus aus der deutschen Kleinstadt und ein Austauschjahr in den USA machen.

„Ich wollte es so sehr. Ich wollte unbedingt weg. Weit, weit weg. Es waren Dinge vorgefallen, die ich hinter mir lassen wollte.“

Quelle: “Amerika”

Kulturschock in Hamburg

„Amerika“ beleuchtet etwas mehr als ein Jahr im Leben von Joachim. Außerdem erinnert er sich immer wieder an Geschichten aus der Vergangenheit, die er den Lesenden erzählt. Die Ereignisse beginnen damit, dass Joachim aus der Kleinstadt nach Hamburg fährt, um sich für das Austauschjahr in den USA zu bewerben. Dort trifft er vor allem auf Gleichaltrige aus der Großstadt, die gestylt, besser gekleidet und selbstbewusster sind. Joachim fühlt sich schnell als Außenseiter.

„Es gab einen riesigen Unterschied zwischen mir und den Jungs hier. Sie hatten Frisuren und ich nicht. Sie hatten ausrasierte Nacken, gelegte Scheitel oder absichtlich verwuschelte Haare, die wie zufällig in die Stirn, über ein Auge fielen. Meine Haare wurden nicht geschnitten, sie wurden gebändigt. (…) Für mich sollte es ein Weltenwechsel werden, der totale Bruch, die Flucht nach vorne. Plötzlich kam ich mir in meiner Nullachtfünfzehn-Kleinstadtmontur – Sweatshirt, Jeans, Turnschuhe – deplatziert, ja armselig vor.“ 

Quelle: “Amerika”

In dieser unsicheren Situation kommt ihm der Gedanke, dass er einer amerikanischen Großstadt nicht gewachsen ist. Spontan füllt er den Fragebogen mit Präferenzen für das Hinterland aus. Religion und die Nähe zur Natur seien ihm wichtig, kreuzt er zum Beispiel an. Kein Wunder, dass er nicht in New York, sondern in Laramie im Bundesstaat Wyoming bei einer christlichen Familie landet.

Wunderbar eingängige Sprache

Was Joachim mit ihr erlebt, nimmt einen großen Teil des Romans ein und ist wunderbar unterhaltsam geschrieben. Er erzählt von seinen Erlebnissen in der High School, von seinen Fortschritten beim Basketball, von Partys und Ausflügen in die Umgebung. Doch plötzlich reißt ihn ein tragisches Ereignis in seiner deutschen Heimat aus dem amerikanischen Alltag.

Das Besondere an diesem Roman ist, dass Joachim Meyerhoff wie schon im zweiten Band ein hervorragender Erzähler ist. Die Geschichten an sich sind nicht besonders außergewöhnlich, aber der Schauspieler schafft es, sie mit einer eingängigen und bildhaften Sprache sehr lesenswert zu machen. So habe ich „Amerika“ in nur zwei Tagen durchgelesen.

Sensibilität gegenüber Begriffen und Beschreiben

An einigen Stellen wird jedoch deutlich, wie sich die Sprache und die Sensibilität für Begriffe und Beschreibungen seit dem Erscheinen des Buches im Jahr 2011 verändert haben. Ob Wörter wie „Spacko“ heute noch in einem Roman auftauchen würden oder ob er das Erlebnis mit der Schwarzen Prostituierten noch einmal so beschreiben würde, ist fraglich. Ich bin jedenfalls über diese Passagen gestolpert. Lesenswert ist der Roman trotzdem.

Mir hat „Amerika“ so gut gefallen, dass ich mir nun auch den dritten Teil holen möchte. „Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke“ heißt er. In diesem Buch wird Joachim Meyerhoff von Zuhause ausziehen und seine Schauspiel-Karriere starten. Ich bin gespannt. 

„Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ wurde verfilmt

Der zweite Teil „Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war“ ist übrigens auch als erstes der Reihe verfilmt worden. Ins Kino habe ich es leider nicht geschafft – es wird also auf ein Streamingerlebnis auf der Couch hinauslaufen. 

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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