9. Mai 2023

Buchkritik: “Was ich euch nicht erzählte” von Celeste Ng

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„Was ich euch nicht erzählte“: ein interessanter Roman über die Sprachlosigkeit in Familien 

Mitten in der Nacht steht Lydia Lee auf. Heimlich verlässt sie das Haus ihrer Eltern und läuft davon. Einige Tage später wird sie tot aus einem See geborgen. Was ist passiert? Ein Unfall, Mord oder Selbstmord? 

Diese Frage beantwortet Autorin Celeste Ng in ihrem Debütroman „Was ich euch nicht erzählte“ auf knapp 280 Seiten. Auch wenn es zunächst nach Krimi oder Thriller klingt, geht es vielmehr um das gesellschaftliche Zusammenleben der Menschen in den USA. Themen wie Feminismus, Rassismus und die Auswirkungen zu hoher Erwartungen innerhalb einer Familie stehen im Mittelpunkt.

Vorgänger von „Kleine Feuer überall“

Auf „Was ich euch nicht erzählte“ stieß ich, weil ich den Bestseller „Kleine Feuer überall“ von Celeste Ng so gerne gelesen hatte, und gezielt nach weiteren Büchern der Autorin suchte. Der Kauf war eine gute Entscheidung.

Obwohl ich nach dem Klappentext mehr klassische Spannung erwartet hatte, brauchte ich nur zwei Tage, bis ich „Was ich euch nicht erzählte“ durchhatte. Das Schicksal der Familie Lee ließ mich nicht mehr los – auch ohne Blutbad und andere Krimielemente. 

Um was geht es in „Was ich euch nicht erzählte“? 

Die Familie besteht aus dem Vater James, Sohn chinesischer Einwanderer, der ur-amerikanischen Mutter Marylin und den drei Kindern Nathan, Lydia und Hannah. Schnell wird klar, dass in der Familie viele Dinge unausgesprochen bleiben. 

Vater James leidet noch als Erwachsener darunter, dass er bei armen Migranteneltern aufwuchs, sich seinen Job als Universitätsprofessor hart erarbeiten musste und schon als Kind rassistische Erfahrungen machte. Als Schüler und junger Erwachsener fühlte er sich oft einsam. Für seine Kinder wünscht er sich deshalb, dass sie beliebt sind und viel Zeit mit Freund*innen verbringen.

Seine Frau Marylin trägt ebenfalls Ballast mit sich herum. Das Verhältnis zu ihrer alleinerziehenden Mutter war immer schwierig. Als Studentin war Marylin außerdem ihrem Traum ganz nah, Medizinerin zu werden. Dann lernte sie jedoch James kennen, wurde schnell schwanger und unterbrach ihr Studium. Danach schaffte sie es nicht mehr, es abzuschließen – auch weil ihr Ehemann nicht wollte, dass sie überhaupt arbeitet. 

Die Folge: Marilyn wird zur unglücklichen Hausfrau, die all ihre unerfüllten Wünsche auf ihre älteste Tochter Lydia projiziert. Sie erwartet von ihr, dass sie gut in der Schule ist und später einmal Ärztin wird. Deshalb gibt sie ihr immer wieder Übungsaufgaben, schenkt ihr Anatomiebücher und geht fest davon aus, dass Lydia in der Schule nur gute Noten bekommt. Dabei übersieht sie jedoch, wie sehr sie Lydia damit überfordert und ihre wirklichen Bedürfnisse ignoriert.

Sehr angenehmer Schreibstil!

In „Was ich euch nicht erzählte“ wird von Kapitel zu Kapitel klarer, was genau zum Verschwinden von Lydia führte. Die Auflösung kommt schon in der Mitte des Buches. Danach hat mich vor allem das „Warum“ am Lesen gehalten. Das erklärt Celeste Ng dann in mehreren Zeitsprüngen und aus verschiedenen Perspektiven.

Wie schon bei „Kleine Feuer überall“ ist der angenehme Schreibstil der Autorin sicherlich eine Stärke des Romans. Sie erzählt in einfachen Sätzen, bildhaft und bringt den Lesenden ihre Figuren sehr nahe. „Was ich euch nicht erzählte“ ist zwar kein Buch mit großem Wow-Effekt am Ende. Aber ich habe es sehr gerne gelesen.

Es macht deutlich, wie wichtig es ist, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, sich als Mensch gegen konservative Strukturen zu wehren und seine Kinder so zu nehmen, wie sie sind – ohne bestimmte Erwartungen. Alles andere führt nur zu einem giftigen Klima.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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