30. September 2021

Schmöker: “Allegro Pastell” von Leif Randt

"Allegro Pastell" von Leif Randt

Kritik von “Allegro Pastell” von Leif Randt: “Germany’s next Lovestory”!

Sie sind hip, erfolgreich und ihr Leben ist eine große Performance: Tanja Arnheim und Jerome Daimler führen eine Fernbeziehung zwischen Berlin und dem Maintal. Während Tanja als Autorin für ihren Debütroman große Aufmerksamkeit bekam und in der Hauptstadt nun an ihrem zweiten Buch arbeitet, ist Jerome als Webdesigner gefragt. Er erledigt vom Bungalow seiner Eltern aus seine zahlreichen und gutbezahlten Aufträge.

Ihre Beziehung: zunächst scheinbar makellos. Alles ist bis ins letzte Detail durchgeplant. Gefühle, Outfits, Partys: Sie analysieren sich und ihr Verhalten ständig. Was nicht stimmig ist, wird optimiert, bis zur absoluten Perfektion. Doch nach Tanjas 30. Geburtstag kippt die Stimmung. Wird „Germany’s next Lovestory“ trotzdem ein Happy End haben?

Sprachgewaltig und mitreißend erzählt

„Allegro Pastell“ von Leif Randt stand schon lange auf meiner Leseliste. Zahlreiche positive Kritiken hatte ich über das Buch gelesen. Die Geschichte von Tanja und Jerome soll exemplarisch für viele Millennials sein. Ist da was dran?

Tatsächlich bin auch ich begeistert. Leif Randt hat einen großartigen Roman geschrieben. Die Geschichte von Tanja und Jerome ist mitreißend, sprachgewaltig und so zeitgemäß erzählt, dass ich das Buch wie im Rausch durchgelesen habe – und am Ende richtig traurig war, dass es nicht mindestens doppelt so dick ist. Ich hätte die beiden Protagonisten wirklich gerne noch eine Zeit lang weiter begleitet.

„Allegro Pastell“ ist in drei Phasen unterteilt. Sie spielen zwischen Frühling 2018 und Sommer 2019. Leif Randt greift auf verschiedene Erzählstile zurück. Neben der klassischen Prosaform baut er Email-Konversationen ein und am Ende einen Brief. Die Perspektiven von Tanja und Jerome wechseln sich ab.

Alltägliche Erlebnisse mit philosophischen Gedanken aufgeladen

Besonders bemerkenswert finde ich an „Allegro Pastell“, dass Leif Randt nahezu alltägliche Erlebnissen so kurzweilig erzählt, dass daraus große Szenen werden – nicht zuletzt wegen seiner tollen Sprache und der vielen interessanten Beobachtungen über das Leben. Als Jerome beispielsweise mit seinem Vater in einem Restaurant sitzt, kommt es zu diesem Gedankengang:

“Jerome schätzte es, wenn Menschen in der Lage waren, Wehmut zu entwickeln. Nostalgie bewertete er deutlich kritischer. Jerome glaubte, dass Wehmut als politisch links und Nostalgie als politisch rechts einzustufen war. Im Aufkommen von Wehmut erkannte er ein Eingeständnis von Schwäche und Schutzbedürftigkeit, während Nostalgie die selbstgerechte und zumeist stolze Glorifizierung einer Vergangenheit war, die es nie gegeben hatte. Jerome äußerte diesen Gedanken aber nie, da er ihm nie gänzlich valide vorkam.“

Weiß und keine existentiellen Probleme

Die beiden Protagonist*innen stehen exemplarisch für so viele kreative und urbane Menschen, die zwischen den frühen 1980ern- und 1990ern geboren sind – und besonders häufig in Berlin anzutreffen sind. Sowohl Tanja als auch Jerome sind primär mit sich selbst beschäftigt und kreisen um sich.

Das ist möglich, da sie selbst keine tiefgehenden Probleme haben. Ihre Eltern sind Akademiker, sie sind weiß, gesund und haben keine Kinder. Auch soziale Ungerechtigkeiten scheinen sie nicht umzutreiben. Sie haben deshalb genug Kapazitäten übrig, um sich mit sich und den Oberflächlichkeiten des Lebens zu beschäftigen.

Wie bekomme ich Aufmerksamkeit?

Ihr Handeln ist besonders davon abgeleitet, was gerade hip und angesehen ist. So leiht sich Jerome immer ein Elektroauto von Tesla, wenn er das Maintal verlassen möchte. Auch hinsichtlich der Wahl von Musik, Restaurants und Kleidung spielt es nicht nur eine Rolle, was selbst gefällt, sondern auch, welche Wirkung dadurch erzeugt wird. Drogen gehören bei ihnen wie Accessoires zum Leben dazu, als kleine bunte Abwechslung bei Sex-Partys oder Hochzeiten beispielsweise.

Wichtig ist, Aufmerksamkeit von außen zu bekommen – egal auf welche Weise. Als Jerome Tanja in Berlin besucht, hat er stolz einen gefälschten Dior-Rucksack dabei.

„Tanja konnte Jeromes Freude zu 100 % nachvollziehen. Auch sie mochte den Charme gut gefälschter Luxusprodukte. Die irritierten Blicke der Leute, die glaubten, dass man allen Ernstes so viel Geld für Kleidung oder Accessoires ausgab, deckten sich mit den irritierten Blicken der Leute, die fachkundig erkannten, dass man eine dreiste Fälschung trug. Unbeliebt machte man sich gewiss.”

Ganz bei sich sein, das Leben einfach passieren lassen, das schafft vor allem Tanja nicht. Am deutlichsten wird ihr Zwang, indem sie bei ihren Begegnungen eine stille, 30-minütige Teezerenomie einführt.

„Eigentlich redeten sie schrecklich gern miteinander. Doch durch die Teezeremonie bewiesen sie sich gegenseitig, dass sie auch miteinander schweigen konnten.“

Dass es ihr schwerfällt, langfristige und tiefgehende Beziehungen zu führen, kommt deshalb wenig überraschend. Mitunter fand ich ihre Gedanken zutiefst narzisstisch und unsympathisch, selbst wenn sie das selbst reflektierte.

“Im Gegensatz zu Tanja sah Caro eindeutig wie über dreißig aus, und obwohl Tanja sich fest vorgenommen hatte, das Älterwerden auch bei Frauen zu akzeptieren, ihnen vor allem auch ihre Lust zuzugestehen, dachte sie, dass sie es Caro mit ihrer Kurzhaarfriseur nur bedingt gönnen würde, mit ihr rumzumachen. Wie entsetzlich eitel und lebensfeindlich dieser Gedanke war, gestand Tanja sich sofort ein, als sie, nachdem sie die Klospülung betätigt hatte, vor dem Waschbecken stand und die Klospülung betätigt hatte.”

Steril erzählt und trotzdem viele Emotionen

Leif Randt erzählt die Liebesgeschichte in „Allegro Pastell“ in einer fast schon sterilen Sprache. Große Gefühlsausbrüche, Wut oder Tränen? Fehlanzeige. Es herrscht eine unglaubliche Kontenance. Auch Jerome reagiert gefasst, als Tanja nach ihrem 30. Geburtstag auf Distanz geht. Trotzdem sprangen Emotionen zu mir über, fieberte ich mit und wollte ich unbedingt wissen, wie es weitergeht. Ein weiterer großer Pluspunkt des Romans.

Außerdem mochte ich die vielen aktuellen Bezüge, die Leif Randt in den Roman einbaut. Es wird über den Film „Call me by your name“ gesprochen, über den Club „Robert Johnson“, über die Marke “Acne“ oder die Hasenheide in Berlin. Dadurch tauchten spielend leicht präzise Bilder in meinem Kopf auf.

„Allegro Pastell“ ist von Anfang bis Ende gelungen, es gibt keine Längen, keine Schwächen. Es ist ein Roman, der den Zeitgeist unglaublich gut trifft und einen tiefgründigen Einblick in das Leben einer Generation gibt, in der die Individualisierung für viele das bestimmende Thema ist. Im Gegensatz zur Generation Z, die der Klimawandel auf die Straße treibt und bei der es wieder mehr um die Gemeinschaft geht.

Außerdem ist „Allegro Pastell“ eine Liebesgeschichte, die komplett ohne Kitsch auskommt. Es ist ein Buch, das bestens unterhält und viele kluge Sätze bereithält. Toll!

Info zu neuen Buch-Kritiken

Du möchtest wissen, wann ich neue Buchkritiken online stelle? Auf meinem Instagram-Account poste ich das immer. Hier findest du ihn: Schmöker-Sammelsurium.

(Visited 1.161 time, 1 visit today)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

Newsletter abonnieren
Etwas verloren?
Vergangenes
Facebook
Instagram
Instagram@miriam_steinbach