3. Oktober 2022

Buchkritik: “Komplett Gänsehaut” von Sophie Passmann

"Komplett Gänsehaut" von Sophie Passmann

„Komplett Gänsehaut“: Irritation und Kopfschütteln

Als ich „Komplett Gänsehaut“ von Sophie Passmann zu lesen beginne, bin ich komplett unvoreingenommen, wirklich. Ich hätte sonst keine zwölf Euro für ein Buch ausgegeben, nur um einen Verriss zu schreiben – dann hätte ich es mir ausgeliehen oder gebraucht gekauft. Aber ich bin zuversichtlich. Die Kritiker*innen-Stimmen auf der Rückseite des Buches sind schließlich voller Lob: „Brillant formuliert“, „Bissig, aber nicht verbissen“, „In einem fort Sätze, bei denen man den Like-Button sucht.“

Ich fange neugierig an zu lesen. Doch bereits nach 16 Seiten mache ich mir einen Knick in die Seite, weil ich irritiert bin. Sophie Passmann schreibt:

„Ich könnte jetzt also einer dieser Menschen werden, die bei eBay-Kleinanzeigen Art-déco-Möbel kaufen oder Sukkulenten züchten, ich könnte so tun, als hätte ich das schon immer so gemacht, das ist ein offenes Geheimnis unter Leuten in meinem Alter, dass wir Dinge plötzlich beginnen und dennoch so tun, als hätten wir das schon immer so gemacht“

Ohne Zwischentöne

Hmmm. Als ich zum Buch greife, gehe ich davon aus, dass Sophie Passmann differenziert über ihre Generation, die Millennials, schreibt. Auch in „Alte weiße Männer“ hatte sie ja versucht, verschiedene Perspektiven aufzuzeigen.

Aber mir ist schnell klar: „Komplett Gänsehaut“ ist anders. Es ist eine Abrechnung. Aber keine besonders originelle. Vielmehr haut Sophie Passmann die nächsten knapp 180 Seiten verbal einfach nur drauf – auf lesende Männer, auf ihre Freund*innen, auf Menschen in der Medienbranche und auf reiche Großeltern mit Nazi-Vergangenheit, die das Silberbesteck weiter vererben.

Das mag an vielen Stellen ironisch gemeint sein, aber in Summe ist es für mich einfach nur nervtötend. Denn: Sophie Passmann und ich scheinen in komplett konträren Welten zu leben, all ihre Beschreibungen habe ich selbst nie oder nur selten erlebt – obwohl ich ja auch zu den Millennials gehöre.

Für mich sind die frustrierenden Anekdoten von Sophie Passmann vielmehr individuelle Erfahrungen und sprechen nicht für eine Generation. Im Gegensatz zu ihr hatte ich in meiner Teenager-Zeit nie Probleme, mit Jungs in Kontakt zu kommen und tiefgründige Gespräche zu führen. Auch ist bei meinen Eltern daheim keine zweierlei Bündnerfleisch im Kühlschrank zu finden.

Hipster-Blase statt Generation

Schreibt die Autorin deshalb vielmehr über eine sehr kleine hippe Großstadt-Blase, anstatt über eine Generation? Und ganz ehrlich, gibt es nicht schon genug Klischees und abschätzige Witze über Berliner Hipster?

Denn in meiner Heidelberger und Karlsruher Welt ist mir das Phänomen fremd, dass ich auf Partys nur mit Männern ins Gespräch komme, die ausschließlich Bücher von weißen männlichen Autoren lesen und mir Literatur erklären wollen. Im Gegenteil: Ich kenne einige Herren, die Schriftstellerinnen wie Juli Zeh, Donna Tartt oder Margaret Atwoood sehr gut kennen und mich sogar nach Rat fragen, was sie lesen sollen. Von einem Freund bekam ich zum Geburtstag ein Buch von Sally Rooney geschenkt, weil er so begeistert davon war.

Ein Literatur-Männer-Bashing kann ich deshalb nicht betreiben. Da finde ich Unterhaltungen mit Frauen, die nur Chick-Lit lesen, weitaus frustrierender. Bei Sophie Passmann bleibt es aber an vielen Stellen sehr eindimensional.

Komische Freund*innen

Was mich weiter verstört, sind die Erzählungen der Autorin über ihre Treffen mit Freund*innen. Das klingt alles so gequält und anstrengend.

Ehe ich Nüsschen aufmachen kann (…) läuft schon die betont lässige Diskussion über meine sexuelle Orientierung (…) als wäre ich nicht da, als wüssten nicht alle, dass ich so heterosexuell bin wie schlecht sitzende Jeans, natürlich der kritische Einwand, dass Sexualisierung immer ein Gewaltakt sei, wer hat das geschrieben, frage ich sehr wütend, ich werde immer wütend in diesem Freundeskreis, so was gibt es immer, das muss wirklich passieren, dass einer nach Belegen fragt, als wäre das keine Freundschaft, sondern ein Proseminar.

Puh, das klingt wirklich nach einem unentspannten Abend. Dabei gibt es doch so viele tolle Menschen in unserer Generation, mit denen ein gutes Abendessen mit intelligenten Gesprächen möglich ist – ohne dass es um dem ständigen Beweis von Wissen, sondern um Inspiration und echten Austausch geht.

Leider ist das gesamte Buch nur eine Aneinanderreihung an ironischen Beschreibungen der Millennials – kein Erkenntniswert springt für mich heraus. Mir hat das Buch deshalb überhaupt nichts gebracht, außer Irritation und Kopfschütteln. Es beschreibt für mich nur das Lebensgefühl von jungen Menschen aus sehr bürgerlichen Familien, die um sich selbst kreiseln.

Dann lieber “Allegro Pastell”

Leif Randt hat sie in seinem Roman „Allegro Pastell“ wunderbar beschrieben – mit glasklarer Sprache, klugen Sätzen und einer ausgefeilten Geschichte. Da ist aber deutlich, dass es eine Großstadt-Blase ist, er spricht nie von einer Generation. Außerdem ist sein Roman mit Tiefgang und Emotion.

„Komplett Gänsehaut“ ist dagegen nur zynisch und platt. Außerdem werde ich das Gefühl nicht los, dass Sophie Passmann eine unglückliche Jugend hatte und deshalb immer noch grundfrustriert ist. Meine Jugend war toll, mein Freundeskreis ist es auch, meine Uropa war Jude, der vor den Nazis fliehen musste, und mit meinem Körper bin ich auch okay. Vielleicht kann ich deshalb mit diesem Buch überhaupt nichts anfangen.

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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