Schmöker: „Kim Jiyoung, geboren 1982“ von Cho Nam-Joo
Kritik von „Kim Jiyoung, geboren 1982“: Eine Frau, die an der patriarchalen Gesellschaft zerbricht!
Kim Jiyoung ist 33 Jahre alt, als etwas in ihr zerbricht und sie beginnt, in bestimmten Situationen ihre Identität zu wechseln. Mit den Stimmen ihrer Mutter und einer verstorbenen Studienfreundin kritisiert sie plötzlich all die Dinge, die sich wie selbstverständlich im patriarchalen Alltag in Südkorea abspielen.
Dazu gehören Frauen, die sich für Familienessen bis zur völligen Erschöpfung verausgaben und stundenlang in der Küche stehen. Sowie Mütter, die für die Kindererziehung ihre beruflichen Ambitionen aufgeben und für all ihre Mühen im Haushalt keine Anerkennung bekommen.
Schnell ist klar: Es ist eine Psychose, an der Kim Jiyoung leidet. Wie es dazu kam, erzählt Autorin Cho Nam-Joo im Roman „Kim Jiyoung, geboren 1982“ nun ausführlich und chronologisch – sachlich, unaufgeregt, aber trotzdem sehr eindrücklich und bewegend.
Kim Jiyoung steht exemplarisch für Millionen von Frauen
Die Geschichte von Kim Jiyoung hat mich deshalb so beschäftigt, weil ihre Biografie so gewöhnlich ist. Sie steht dadurch exemplarisch für zig Millionen Frauen aus Südkorea und wohl auch für so viele andere aus den westlichen Ländern. Denn auch in Deutschland beispielsweise verdienen Frauen immer noch weniger als Männer und leiden häufiger an Altersarmut.
Was es bedeutet, eine Frau zu sein!
Kim Jiyoung wächst in einer Familie mit einer großen Schwester und einem kleinen Bruder auf. Es ist selbstverständlich, dass der Junge ein eigenes Zimmer hat, während die beiden Mädchen sich eines teilen. Sie müssen der Mutter auch bei der Hausarbeit helfen, während der Bruder spielen darf.
Es sind Ungleichgewichte, die wie selbstverständlich in der koreanischen Kultur innewohnen. Frauen haben nicht den gleichen Stellenwert wie Männer.
Als Kim Jiyoung als Teenagerin im Bus von einem jungen Mann belästigt wird und danach in Tränen ausbricht, wird sie von ihrem Vater ausgeschimpft.
„Warum trägst du überhaupt so einen kurzen Rocken? (…) Du bist selbst daran schuld, weil du dich nicht an die Regeln gehalten hast.“
Auch an der Universität bemerkt Kim Jiyoung, wie verschieden das Leben für Männer und Frauen ist. In einem studentischen Wanderverein gelten folgende Regeln: Die Frauen dürfen die Lokale und das Essen aussuchen, die Männer treffen im Vorstand die wichtigen Entscheidungen.
Der Arbeitsmarkt ist die Hölle für Frauen
Noch schwieriger wird es für sie, als sie auf Jobsuche ist. Unzählige Bewerbungen schreibt sie, ohne Erfolg. Sie muss sich vom Dekan der Universität anhören: „Wenn Frauen zu klug sind, fürchten Firmen, dass sie sich mit ihnen nichts als Ärger ins Haus holen.“ Kim Jiyoung fragt sich:
Was hieß das also unterm Strich? Hatte eine Frau Schwächen, kam sie deshalb nicht infrage. War sie brillant, galt sie als Unruhestifterin. Und was sagte man ihr, wenn sie mittelmäßig war? Tut uns leid, Sie sind zu durchschnittlich?
Auch bei den Bewerbungsgesprächen bekommt sie Fragen gestellt, die an Dreistigkeit kaum zu übertreffen sind:
„Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Meeting bei einem Kunden. Der Chef der Firma wird (…) zudringlich. Er berührt Sie wie zufällig an der Schulter und am Oberschenkel. (…) Wie würden Sie darauf reagieren?“
„Me too“ lässt grüßen.
Für viele Menschen ist das Ungleichgewicht selbstverständlich
Es sind nur wenige Beispiele aus dem Roman, die zeigen, wie Kim Jiyoung immer wieder gedemütigt wird. Autorin Cho Nam-Joo geht in ihrem Buch auf all die drängenden Probleme der fehlenden Gleichberechtigung ein: Sie zeigt den enormen Gender-Pay-Gap in Südkorea auf sowie die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn Frauen, die gerade ihre ersten erfolgreichen Schritte im Arbeitsleben machen, schwanger werden.
Das große Problem in Südkorea, aber auch in vielen anderen konservativen, patriarchalgeprägten Milieus: Die Unterdrückung der Frauen hat sich so stark ins Wertesystem gefressen, dass sie vielen Menschen gar nicht auffällt beziehungsweise sie überhaupt nicht stört -auch viele Frauen nicht.
Anhand der Geschichte von Kim Jiyoung zeigt sich: Wer den Ist-Zustand aber als ungerecht empfindet, seinen eigenen Weg sucht, stößt immer wieder an Grenzen, findet kaum einen Ausweg. Die fast schon logische Konsequenz: eine psychische Erkrankung.
Ohne Schnörkel, aber mit viel Aussagekraft
Cho Nam-Joo hat mit „Kim Jiyoung, geboren 1982“ einen Roman geschaffen, der sich fast wie ein sachlicher Bericht liest, sie verwendet Fußnoten für einzelne soziologische Belege und schreibt sehr klar, ohne Schnörkel, ohne emotionale Ausschweifungen. Da das Buch nur 207 Seiten hat, habe ich es tatsächlich an einem Tag durchgelesen.
Für mich ist es deshalb so bedeutsam, weil es auf sehr leise, aber wirkungsvolle Weise zeigt, wie Frauen in Südkorea, aber eben auch in so vielen anderen Ländern, immer noch nicht ihren eigenen Weg gehen können.
Cho Nam-Joo benennt konkret die Ungerechtigkeiten, macht deutlich, wo es dringend Handlungsbedarf gibt. Ein wichtiger Schritt, um etwas zu verändern. „Kim Jiyoung, geboren 1982“ ist deshalb ein sehr bedeutendes Buch – für Frauen in Südkorea, aber auch darüberhinaus.
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