4. März 2024

Buchkritik: “Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe” von Susanne Abel

Stay away from Gretchen - Susanne Abel

Buchkritik von “Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe”: wie toll Kitsch sein kann!

Selbst hätte ich mir „Stay away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe“ wohl nie gekauft. Zu kitschig klang mir der Titel. Auch die Beschreibung auf der Rückseite des Buches überzeugte mich nicht. Ein Nachrichtensprecher aus Köln, dessen demente Mutter sich an die Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg erinnert. Hmmm. Klang für mich nicht besonders innovativ.

Mein Skepsis verstärkte sich, als ich sah, dass das Buch bei einem Online-Shop über 1.000 Bewertungen hat – vorrangig sehr gute. Seit ich „Der Wal und das Ende der Welt“ und „Die Geschichte der Bienen“ mehr mit Qualen als mit Freude gelesen habe, bin ich vorsichtig mit solch extrem positiv bewertenden Bestsellern. Meistens driften sie ins Triviale ab.

Dass ich dem Buch von Autorin Susanne Abel dann aber doch eine Chance gab, lag an der whatsapp-Nachricht einer Freundin. Sie schwärmte im Gruppenchat davon, fragte, ob es eine von uns ausleihen möchte – und ich sagte spontan ja. Zum Glück.

Eine mitreißende Geschichte über die “Brown Babies”!

Innerhalb weniger Tage habe ich „Stay away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe“ nun wie im Rausch gelesen. Der Roman hat tatsächlich kitschige Züge, die Hauptfigur Tom ist an manchen Stellen sehr klischeehaft und einige Handlungselemente sind vorhersehbar.

Aber: Susanne Abel schafft es, eine spannende, außergewöhnliche und gut recherchierte Geschichte über die Zeit rund um den Zweiten Weltkrieg zu erzählen – mit Aspekten, die ich bislang kaum kannte: Rassismus im amerikanischen Militär und die Diskriminierung der sogenannten „Brown Babies“.

Als Brown Babies (…) werden nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die von deutschen Müttern geborenen Besatzungskindern mit afroamerikanischen Vätern bezeichnet. Die zwischen 1948 und 1955 (…) entstandenen etwa 4800 Kinder waren in den Besatzungszonen und später in der jungen Bundesrepublik versteckten und offenen Diskrimierungen ausgesetzt – wie auch ihre unverheirateten Mütter, die häufig als „Negerhure“, „Ami-Flittchen“ oder „Gefallenes Mädchen“ beschimpft wurden.

Zwei zeitliche Ebenen, die zueinanderfinden

Es gibt zwei Handlungsstränge in „Stay away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe“, die sich abwechseln:

1) Die Hauptgeschichte spielt im Jahr 2015: Tom ist ein attraktiver Nachrichtensprecher, der für seinen Beruf lebt und mit Frauen nur Unverbindliches eingeht. Als sich seine Mutter Greta eines Nachts verwirrt in ihr Auto setzt und quer durch Deutschland fährt, wird klar, dass ihr Gedächtnis nachlässt und sie an Demenz leidet.

Wegen ihrer Krankheit verbringen Tom und Greta nun wieder mehr Zeit zusammen. Dadurch bemerkt der Journalist, dass es Dinge in der Vergangenheit seiner Mutter gibt, die sie ihm bislang verschwieg. Er beginnt zu recherchieren.

2) Diese zunächst unbekannte Geschichte von Greta ist der zweite Handlungsstrang, der im Buch chronologisch von den 1930er- bis in die 1950er-Jahre erzählt wird. Sie handelt vom Dritten Reich, dem Zweiten Weltkrieg, der Vertreibung aus Ostpreußen und vom Leben in der Besatzungszone in Heidelberg. Nach und nach wird klar, welche Trauma Greta damals widerfahren ist.

Autorin Susanne Abel verknüpft diese Flucht-Aspekte vor mehr als 70 Jahren immer wieder mit den Ereignissen im Jahr 2015, als Angela Merkel die Grenzen öffnete und es in Deutschland harte Diskussionen darüber gab, ob die Menschen aus Syrien oder Afghanistan bei uns willkommen sind.

Rassismus im amerikanischen Militär

Die starken Momente hat der Roman definitiv bei der Geschichte um Greta. Obwohl ich bereits viele Bücher gelesen habe, die sich um den Schrecken des Zweiten Weltkriegs drehen, gelingt es Susanne Abel, die Zeit damals mit einem anderen Blickwinkel sehr mitreißend zu beschreiben.

Spannend ist vor allem die Zeit Gretas in Heidelberg. Ihre Familie hat alles verloren. Zufällig freundet sie sich mit Bob an, einem Schwarzen Trompeter, anhand dessen Biografie klar wird, wie groß der Rassismus nicht nur vonseiten der Deutschen war, sondern auch innerhalb des amerikanischen Militärs.

Eine Liebe zwischen deutschen Frauen und Schwarzen Soldaten: unmöglich. „Stay away from Gretchen“ – so lautete damals der Appell in der Army. Es galt:

„(..) sich von deutschen Frauen fernzuhalten, weil diese sie mit Syphilis anstecken könnten..“

Kleine Schwächen rund um Tom

Während in der Geschichte um Greta alles sehr rund und nachvollziehbar wirkt, stolperte ich im ersten Handlungsstrang des Öfteren. Die Tom-Figur rutscht für mich an manchen Stellen zu sehr in eine Macho-Karikatur.

Wie er sich ständig den Alkohol reinschüttet oder plump mit Frauen umgeht, das ist irgendwann zu überspitzt. Oder der Name seines Kneipen-Freunds: Gas-Wasser-Scheiße-Hansi. Da ist mir zu viel Testosteron im Spiel.

Auch hat für mich die Geschichte im Jahr 2015 einige unrealistische Stellen – beispielsweise ist es nicht nachvollziehbar, dass zig Medien darüber berichten, dass die unbekannte Mutter eines Nachrichtensprechers verwirrt mit dem Auto durch die Gegend fährt. Wen interessiert das denn?

Aber da sich der Roman so federleicht lesen lässt und dann auch wieder mit sehr starken Stellen glänzt, verzieh ich solche Irritationsmomente gerne.

„Stay away from Gretchen – Eine unmögliche Liebe“ hat mich letztlich emotional sehr bewegt und mitgerissen – Kitsch hin oder her. Ich wollte das Buch gar nicht mehr zur Seite legen. Es ist äußerst gelungene Unterhaltung, die einem spielerisch noch historisch interessante Fakten liefert – mehr muss ein Roman doch gar nicht können. Fünf Sterne.

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4 thoughts on “Buchkritik: “Stay away from Gretchen – eine unmögliche Liebe” von Susanne Abel

  1. Vanessa sagt:

    Habe das Buch geschenkt bekommen und fand es – bis auf einige doch etwas unrealistische und teils etwas gewollt wirkenden Stellen gegen Ende hin – sehr gut, Man erhält Einblick in ein doch recht unbekanntes Kapitel des zweiteren Weltkriegs bzw. der Nachkriegszeit. Die beiden Hauptfiguren Tom und Greta gewinnt man trotz ihrer Schrullen und Merkwürdigkeiten irgendwie lieb.

    Schockierend ist aber auch zu lesen, wie blauäugig und gutmütig Hitler und das Naziregime von Kindern/ Jugendlichen gesehen wurden und der Glauben an das Gute daran viel zu lange Bestand hatte..

  2. Kunisch Dr. Hermann-Adolf sagt:

    Miriam Steinbachs Rezension trifft sowohl mit den Worten „Schmöker“ und „Kitsch“ wie mit dem Hinweis auf eine spannende und gut recherchierte Unterhaltung den Nagel auf den Kopf. Wegen der Schwächen sind fünf Sterne aber sehr wohlwollend.

  3. Thomas Mayer sagt:

    Ich hätte dieses Buch wohl auch nie gelesen, wenn ich nicht die Reaktionen meiner Frau beim Lesen erlebt hätte. Sie hatte den Buchvorschlag aus einer Empfehlung eines Chats ihrer Firma. Selbst beruflich viel mit dem Thema Demenz beschäftigt, fand ich im Buch eine sehr gute Wiedergabe dieser unheilvollen Erkrankung in der Hauptperson Greta, verknüpft mit der Darstellung der Probleme des Umfelds und der Angehörigen in Form von Tom. Die spannende Verknüpfung ergibt sich durch die Einarbeitung einer Geschichte um Flucht, Ausgrenzung und Rassenwahn. In Gegensatz zur Rezensentin war mir die Problematik der Rassentrennung beim amerikanischen Militär bekannt, jedoch erschütterte mich die Beschreibung der besiegten Deutschen in ihrem ideologischen Verhaftetsein in jahrzehntelang erlernten nationalsozialistischen Mustern, das im Tragen des Hitlerbärtchens und der Diffamierung als Amiliebchen etc. seinen Ausdruck findet. Ein lesenswertes Buch, das man wirklich weiterempfehlen kann.

  4. Regina Voigt sagt:

    Sie schreiben mir aus der Seele.
    Ich wollte das Buch schon weglegen. Tom nervt mich so unfassbar aber dennoch fand ich die Geschichte spannend und lehrreich.
    Wenn man darüber hinweg sieht, dass Tom ein ziemlicher Knalli ist!

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Hallo, ich bin Miriam

Stets bin ich auf der Reise: durch Karlsruhe, die Kultur und die Welt. Dabei begegnen mir immer wieder interessante Menschen, Bücher, Filme und anderer Krimskrams. Damit all diese Erfahrungen und Eindrücke nicht einsam in meinem Kopf schwirren, gibt es diesen Blog. Aus Grau wird Kunterbunt.

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